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Ausgabe:

Oktober/2023

Spalte:

979-981

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Puzio, Anna

Titel/Untertitel:

Über-Menschen. Philosophische Auseinandersetzung mit der Anthropologie des Transhumanismus.

Verlag:

Bielefeld: transcript Verlag 2022. 389 S. m. 2 Abb. = Edition Moderne Postmoderne. Kart. EUR 45,00. ISBN 9783837663051.

Rezensent:

Elisabeth Gräb-Schmidt

Zu den Versprechen der (globalen) Bewegung des sogenannten Transhumanismus oder Posthumanismus gibt es bereits kritische Untersuchungen. Die Besonderheit der im Mai 2022 bei transcript erschienenen Dissertation Über-Menschen von Anna Puzio ist es, dass sie die Diskussionen über und die Selbsteinschätzung des Transhumanismus zum Ausgangspunkt nimmt, die Vorstellungen des Transhumanismus – in Unterscheidung verschiedener Strömungen des Posthumanismus und des kritischen Transhumanismus – in eine grundlegende anthropologische Debatte einzubinden. Dabei setzt sie sich mit einschlägigen Positionen, wie etwa denen Nick Bostroms oder Donna Haraways auseinander, die sich affirmativ und kritisch mit technischen Menschheitsvisionen befasst haben. Die Vorstellungen des Transhumanismus bzw. Posthumanismus sind geleitet von einer Erweiterung menschlicher Fähigkeiten durch modernste technologische Möglichkeiten und oft begleitet von der Verabschiedung biologischer, körperlicher und leib-seelischer Bestimmungen des Menschseins.

Die Arbeit ist in drei Teile gegliedert, deren erster den Transhumanismus näher bestimmt als anthropologische Vision, die von der Perfektionierung des Menschen (Human Enhancement, 45) bis hin zu dessen Überwindung und der Verheißung ewigen Lebens reicht. So scheint ein uralter Menschheitstraum nach Unsterblichkeit wahr zu werden. Nicht nur dem Posthumanismus, auch dem Transhumanismus scheint es dementsprechend um eine Überwindung und Ersetzung der körperlichen Existenz des Menschen zu gehen, etwa durch mind-uploading (64). Solche Vorstellungen fordern grundlegende anthropologische Fragen heraus, die im zweiten Teil behandelt werden.

Dieser Teil zeichnet im Detail fünf Diskurse nach (über die Natur des Menschen, den Maschinendiskurs, den genetischen und neurobiologischen Diskurs und den Diskurs über das Körper- und Geistverhältnis), die aufzeigen, dass der Transhumanismus eine Verschmelzung von Körper und Technik anstrebt, durch die die Technologien dem Körper nicht äußerlich bleiben (124), sondern mittels Gleichsetzung des Menschen mit der Maschine dessen Substitution durch die Maschine erfolgt (129). Damit werden die etwa durch Descartes und La Mettrie traditionsbestimmenden Vorstellungen einer Mechanisierung des Körpers jetzt weiterentwickelt. Das mechanistische Paradigma weicht dem der Information. Dies hat entscheidende Konsequenzen für das Körper- bzw. Leib-Seele-Verständnis. Mit Information als leitendem Kriterium wird die Körperlichkeit im Grunde abgelöst durch etwas Immaterielles. So greift die Vorstellung Raum, dass das Weiterleben des Menschen gar keines Körpers mehr bedarf, sondern über Informationen vonstattengehen kann. Die Vorstellung eines ewigen Lebens erscheint so über die Auslagerung des Bewusstseins möglich werden zu können. Diese Vorstellung wird unterstrichen durch die Metaphern, die in den zwei unterschiedlichen Diskursen – dem genetischen und neurobiologischen– verwendet und im Transhumanismus dadurch verbunden werden, dass von einem in den Genen gespeicherte Programm die Rede ist, das den Lebensplan des Organismus abbilde. So wird suggeriert, dass grundsätzlich alles programmiert und daher auch alles programmierbar (140) ist, auch das Ende des Lebens bzw. das Weiterleben. Hier werden schließlich die religiösen Bezüge der Untersuchung (Kap.4.2, 50 f.) relevant. Abgesehen davon, dass die Rezeptionen beider wissenschaftlichen Diskurse den wissenschaftlichen Standards nicht genügen, führen sie jedoch auch zu falschen Metaphern. Eine solche Metaphorologie ist jedoch insofern gefährlich, als diese auch falsche Deutungen mittransportiert, die »die Umsetzung der transhumanistischen Visionen plausibel erscheinen lassen« (159). Die darin liegende Instrumentalisierung des Menschseins bringt P. deutlich zum Ausdruck, indem sie in Anlehnung an Michael Foucault von einer neuen Form der »Biomacht« spricht, die mit Donna Haraway als »Technobiomacht« bezeichnet werden kann (141). Mit solcher ist eine beliebige Neugestaltung des Menschen möglich geworden. Durch die Verwendung des Informationsparadigma wird diese Vorstellung zementiert.

Hier setzt nur die Kritik P.s ein (149 ff.), indem sie luzide aufzeigt, dass die genetischen Kenntnisse, auf die sich der Transhumanismus bezieht, nicht mehr dem heutigen Forschungsstand der Genetik entsprechen und insofern die mittransportierten Metaphern eine epistemische Normativität suggerieren, die aus zwei Gründen problematisch wird, wenn sie erstens nicht wissenschaftlichen Standards entspricht und wenn sie zweitens instrumentalisiert eingesetzt wird, etwa um bestimmte (ökonomische oder politische) Interessen zu verfolgen (159 f.). Darüber hinaus entlarvt P. die sogenannte humanistische Agenda des Transhumanismus als bloß vermeintliche. Seinem Humanismus steht entgegen, dass seine vermeintlich humanistische Intention einer Verbesserung des Menschen letztlich darin besteht, dass die Körperlichkeit abgeschafft wird, damit aber auch die leib-seelische Einheit, auf deren humanistische Bedeutung P. mit Blick auf Waldenfels und Plessner abhebt. Hier muss beachtet werden, dass P., wenn sie vom Körper spricht, dies lediglich als eine verkürzte Redeweise versteht, indem sie mit einem an Waldenfels geschulten phänomenologischem Verständnis den Körper als im Leibsein eingebettet versteht. Die Tücken solcher Verkürzung liegen spätestens dann auf der Hand, wenn unter transhumanistischen Voraussetzungen der Körper selbst den technologischen Vereinnahmungen zum Opfer fällt (223 ff.). Das aber wäre selbst eine Grundannahme, die wie P. aufzeigt, in wissenschaftlich nicht haltbaren Verkürzungen der Genetik und auch der Evolutionsbiologie zu suchen ist.

Zu Recht stellt P. daher die Frage, ob es sich beim Transhumanismus nicht um eine Ideologie handelt (269 ff.), aber eben auch, inwiefern die Auseinandersetzung mit ihm relevant ist für grundlegende anthropologische Überlegungen. Selbst wenn seine vermeintlich wissenschaftlichen Grundlagen bei näherem Blick zur bloßen Ideologie gerinnen, beflügeln die neuen Technologien – wenn auch vielfach utopische – Visionen und Fantasien, denen in kritischer Auseinandersetzung zu begegnen ist. P. wählt daher – und das macht die Lektüre spannend – einen dialogischen Zugang, der sie in die Lage versetzt, traditionelle philosophisch-anthropologische Aussagen zu verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen von Genetik, Neurowissenschaften, Soziologie, Kulturwissenschaften, in Beziehung zu setzen. Was daraus deutlich wird ist, dass Anthropologie nur als interdisziplinäres Projekt zu verstehen ist. So entwickelt P. selbst in Teil III im Anschluss an den kritischen Posthumanismus von Donna Haraway mit einer »Anthropologie 2.0« neue (flexible) anthropologische Perspektiven (338 f.) in kritischer Absicht. Hierbei muss klar sein, dass die Reduktion des Menschen auf den Körper und dessen physiologische Prozesse bereits Indiz eines reduktionistischen Verständnisses ist, welche die mit dem Leibbegriff intendierte Ganzheitlichkeit des Menschen außer Acht lässt.

Die Arbeit bietet eine gründliche Darlegung des wissenschaftlichen Stands der Transhumanismusdebatte, die auch dessen Defizite und Unzulänglichkeiten aufdeckt. Sie ist zugleich eine über das Technikverhältnis des Menschen, das mit dem technologischen Fortschritt anthropologische Konzepte vor neue Herausforderungen stellt. Insofern der Transhumanismus eine rein technologische Transformation des Menschseins zu entwickeln beabsichtigt, steht er in der Fluchtlinie der bereits bestehenden Vorstellungen der Vermischungen von Natur auf der einen und Technik auf der anderen Seite im Menschen, die dadurch nicht mehr in der traditionellen Gegenüberstellung begegnen. Was dabei in Mitleidenschaft gezogen wird, ist nicht nur der Begriff des Menschen, sondern auch der der Natur und damit auch die normative Ebene, über die spätestens seit der Amalgamierung von Technik und Natur neu nachgedacht werden muss. Diese normativen Konsequenzen hätten in einer Studie, die sich einer Anthropologie verpflichtet fühlt, noch stärker problematisiert werden können.

Einen veritablen und lesenswerten Forschungsbeitrag bietet die Arbeit jedoch, weil sie den Versuch, die verschiedenen Disziplinen, der Naturwissenschaften, Geisteswissenschaften und Philosophie miteinander ins Gespräch zu bringen unternimmt, um dabei aufzuzeigen, dass die Vorstellungen über Anthropologie sich nur auf diese Weise angemessen profilieren können.