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Ausgabe:

Oktober/2023

Spalte:

967-968

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Arnold, Matthieu

Titel/Untertitel:

Oscar Cullmann. Ein Leben für Theologie, Kirche und Ökumene.

Verlag:

Zürich: TVZ 2023. 148 S. Kart. EUR 29,80. ISBN 9783290185299.

Rezensent:

Martin Hailer

Lukas Vischer, einer der akademischen Schüler Oscar Cullmanns, sagte einmal, dass die ökumenische Bewegung ein Gedächtnis brauche. Das vorliegende Bändchen, mit gut 110 Textseiten rasch zu lesen, trägt zu ihm bei. Es handelt sich um ein zugewandtes Lebensbild, verfasst vom Straßburger Historiker Matthieu Arnold, der Cullmann im Jahr 1986 kennenlernte, viel von ihm lernte und ihn bald auch als seinen Freund bezeichnete.

Oscar Cullmann (1902–1999) gehört zu den Theologen, die zu Lebzeiten erhebliche Resonanz erfuhren, deren gedrucktes Werk aber – zu Recht oder zu Unrecht – danach nur noch wenig rezipiert wurde. A.s erklärtes Ziel ist, letzteres zu ändern. Dazu erzählt er zuerst rasch die wichtigsten Lebensstationen: Geburt und Aufwachsen in Straßburg, Studium und Dozentur ebd., Professuren in Basel und Paris, das Engagement als Beobachter des II. Vaticanums, die Gründung des Studienzentrums Tantur/Israel und das ökumenische Engagement bis ins höchste Lebensalter. Weitere Kapitel widmen sich den akademischen Schwerpunkten von Cullmanns Arbeit: Die Werke zum Neuen Testament (Kap. 2), zur Tauffrage (Kap. 3) und zur christlichen Weltverantwortung (Kap. 4). Cullmann war vor allem als Vertreter einer heilsgeschichtlichen Exegese des Neuen Testaments bekannt geworden (Christus und die Zeit, 1946; Heil als Geschichte, 1964). A. stellt das vor allem in Kontrast zu Rudolf Bultmanns Existentialtheologie. Das Gespräch mit Karl Barth (Kap. 3) drehte sich zentral um die Frage der Kindertaufe, die der späte Barth bekanntlich als »tief unordentliche Taufpraxis« (KD IV/4, 213) bezeichnete. Die von A. unterstellte glatte Ablehnung ist dies freilich nicht, deutlich ist aber der Kontrast zu Cullmann, der bei Vorliegen bestimmter Kriterien an der Kindertaufe festhielt. In »Jesus und die Revolutionäre seiner Zeit« (1970) setzte Cullmann sich kritisch mit der in jenen Jahren propagierten Theologie der Revolution auseinander. Er betonte den enormen Kontrast von Jesu Reichsverkündigung zum etablierten Werteset, lehnte aber gewaltsame Optionen ab.

Inhaltlicher Kern des Buchs ist Kapitel 5: »Cullmann als Wegbereiter der christlichen Einheit«. A. schildert u. a. den persönlichen Kontakt Cullmanns zu drei Päpsten – der zu Paul VI. wurde beiderseits sogar als Freundschaft bezeichnet. Cullmann zählte, dazu persönlich eingeladen, unter die wenigen nichtkatholischen Konzilsbeobachter. Wie kam es zu dieser ehrenvollen Aufgabe? Cullmann erregte durch eine Arbeit zu Petrus (1952) die Aufmerksamkeit katholischer Theologen, die ihn bei Vorlesungen an der Waldenserfakultät in Rom auch hörten. Später initiierte er die Bewegung, Kollekten für die Gemeinden der jeweils anderen Konfession zu erheben. Sein Programm heißt »Einheit durch Vielfalt« (1986 in Buchform) und sieht vor, dass jede Konfession ein unverwechselbares Charisma hat, ohne das der einen Kirche Christi etwas fehlt. Die ökumenische Versammlung in Basel im Jahr 1989 sah er als eine Vollzugsform dieser Idee.

Das Schlusskapitel lobt Oscar Cullmann für die Größe seiner Kenntnis und die Abgewogenheit seines Urteils. Als Summe kann wohl gelten: »Oscar Cullmann ruft ins Gedächtnis, dass Ökumene nicht nur ein Phänomen schriftlicher Darlegungen, sondern zuallererst die Begegnung von Menschen guten Willens ist.« (132)

Die theologischen Passagen des Buches sind mitunter holzschnittartig geraten, so etwa die Kontrastierungen mit Rudolf Bultmann und Karl Barth, woran man den nichttheologischen Autor erkennen mag. Auch wäre es hilfreich gewesen, Cullmanns Engagement auf dem Konzil mit dem anderer Konzilsbeobachter – etwa Edmund Schlink – zusammenzusehen und ihn nicht nur als großen Einzelnen darzustellen. In der Summe ist ein auch persönlich gefärbter Gedächtnisband vorgelegt worden, der einen Theologen würdigt, der auf seine eigene Art ins Gedächtnis der ökumenischen Bewegung gehört.