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Ausgabe:

Oktober/2023

Spalte:

965-967

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Jacobi, Christine

Titel/Untertitel:

Leiblich vermitteltes Leben. Vorstellungen vom Überwinden des Todes und vom Auferstehen im frühen Christentum.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2023. XIII, 317 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 501. Lw. EUR 139,00. ISBN 9783161599507.

Rezensent:

Alexander A. Fischer

Die Arbeit von Christine Jacobi wurde 2020 als Habilitationsschrift von der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin angenommen und für den Druck geringfügig überarbeitet. Es handelt sich um eine Untersuchung im Horizont der Rezeptionsgeschichte neutestamentlicher Texte, die den Leib Jesu in den Blick nimmt und als ein Medium interpretiert, »das die Überwindung des Todes, Auferstehung und vollkommenes Leben an die Glaubenden überträgt« (32).

Das einleitende Kapitel 1 (1–34) führt in die Fragestellung ein, charakterisiert den rezeptionsgeschichtlichen Ansatz und erläutert die Textauswahl. Diese konzentriert sich auf frühchristliche Texte (vornehmlich aus dem 2.–5. Jh.), die sich in Hinsicht auf die soteriologische Bedeutung des (Auferstehungs-)Leibes Christi auswerten lassen. Um einen Einblick in die Studie zu geben, ist es unumgänglich, die einzelnen Texte kurz vorzustellen und Aspekte ihrer Interpretation zu benennen.

Kapitel 2 (35–76) eröffnet die Textanalysen mit dem von Ignatius verfassten Brief an die Smyrnäer. Darin kommt der Bischof von Antiochia auch auf die Erscheinung des Auferstandenen vor den Jüngern zu sprechen (vgl. Lk 24,36-42; Joh 20,19-29). Die betreffende Passage (IgnSm 3,1–3) wird so interpretiert, dass das Berühren und Betasten des Leibes Christi nicht nur der Bezeugung der leiblichen Auferstehung dient. Vielmehr bewirke der Körperkontakt – nämlich die enge Verbindung zum Fleisch Jesu – eine tiefgreifende Transformation der Jünger und lasse sie den Tod »überwinden« (35). Diese These untermauert die Vfn. durch eine ausführliche Analyse des Schlüsselbegriffs sarx in den Ignatiusbriefen. Für das Fleisch Jesu wird festgehalten, dass ihm in der Ostererzählung eine eigene Bedeutung zukommt. Durch Berühren des Auferstehungsleibes kommen die Jünger in den Kontakt mit dem Geist und damit zum Glauben. Die Auferstehung bleibt für die Glaubenden jedoch ein endzeitliches Hoffnungsgut.

Kapitel 3 (77–123) behandelt den Brief an Rheginus, einen ursprünglich auf Griechisch verfassten, aber nur koptisch überlieferten Text (Nag Hammadi Codex I,4). Er stammt aus der zweiten Hälfte des 2. Jh.s, sein anonymer Verfasser lässt sich dem Valentinianismus zuordnen. Gemäß der Gesamttendenz des Briefs können die Glaubenden ihr irdisches Fleisch nicht mitnehmen, wenn sie in die Herrlichkeitsexistenz eingehen. Dennoch, so stellt die Vfn. fest, gäbe es Sprachformen, die mit Leiblichkeit spielen und über die Vorstellung hinausweisen, dass nur der nous aufsteige (86). So wird etwa die Aussage des Briefs, dass die geistige Auferstehung die seelische wie die fleischliche Auferstehung verschlinge, so interpretiert, dass mit dem Verb »verschlingen« nicht die Vernichtung des Fleisches aufgerufen, sondern eine »erneuerte Leiblichkeit« nach dem Tod in Aussicht gestellt werde (122–123).

Kapitel 4 (125–154) wendet sich dem Evangelium der Wahrheit zu, das im Zeitraum zwischen dem 3. und 5. Jh. entstanden und in koptischer Sprache überliefert ist (Nag Hammadi Codex I,3). Bei dem Text handelt es sich nicht um ein Evangelium im herkömmlichen Sinn, sondern um eine »Evangelienmeditation«. Näher untersucht wird ein Abschnitt, der Auferstehungsterminologie verwendet. Für diesen Text wird eine Rezeption der Genesistradition angenommen (Gen 3,5 und 2,7). Näher gelegen hätte allerdings die Annahme, dass der Text auf Ez 37,1-10 zurückgreift, wofür es klare Indizien gibt (»er hat ihn auf seine Füße gestellt« vgl. 37,10; »denn noch war er ja nicht auferstanden« vgl. 37,8; »er [der Geist] blies in sie« vgl. 37,10). Die weitere Aussage, dass den Glaubenden zur Erkenntnis des Vaters (Gnosis) ein Schmecken, Riechen und Berühren des Sohnes gegeben sei, wird sakramental interpretiert: »Der Leib des Erlösers steht für die Erkenntnis, die die Glaubenden in sich aufnehmen« (154).

In Kapitel 5 (155–200) wird das Philippusevangelium in den Blick genommen (Nag Hammadi Codex II,3). Der gnostisch geprägte Text dürfte am Ende des 2. oder im 3. Jh. entstanden sein, seine Gattung bewegt sich zwischen« Spruchevangelium« und »Florilegium«. Interessant an diesem Text ist die Vermittlung von präsentischer und künftiger Eschatologie. Wer nicht während seines Lebens die Gabe des Auferstehungsleibs (sakramental) empfangen hat, wird nach dem Tod nichts empfangen. Besondere Schwierigkeiten bereitet die Interpretation der Spruchgruppe 23a–c. Denn in ihrem ersten Teil argumentiert sie unter Bezug auf 1Kor 15,50, dass das irdische Fleisch abzulegen sei. Dagegen wird im dritten Teil ausgeführt, dass das Fleisch zwar nicht auferstehen werde, aber der »Geist im Fleisch«. Diese Stelle wird wiederum sakramental interpretiert: »Dieses Fleisch« beziehe sich auf den Leib Christi, dessen Empfang in der Eucharistiefeier eine leibliche, ja fleischliche Neugestaltung der Glaubenden einschließe (199). Entsprechend empfangen sie bei ihrer (endzeitlichen) Auferstehung einen von ihrem irdischen Fleisch verschiedenen, andersartigen (pneumatischen?) Auferstehungsleib.

In Kapitel 6 (201–239) folgt die Besprechung einer Passage aus dem fünften Buch der Schrift Adversus haereses, die von Irenäus, dem Bischof von Lyon, im 2. Jh. verfasst worden ist. Darin argumentiert er gegen frühchristlich-gnostische Systeme, die die erschaffene, materielle Welt und damit das menschliche Fleisch abwerten und es von der endzeitlichen Rettung ausschließen (201). Zwar gehört auch für Irenäus das menschliche Fleisch zur vergänglichen Schöpfung. Aber in der Eucharistie empfängt eben dieses Fleisch die Gabe des ewigen Lebens und partizipiert dadurch an der Unvergänglichkeit Gottes. Dabei sei die Eucharistie für Irenäus, so betont die Vfn., ein Geschehen mit geradezu biologisch nachweisbarer Wirkung (235).

Den Abschluss der Textuntersuchungen bildet in Kapitel 7 (241–261) der Liber Bartolomaei. Die Schrift lässt sich ins 5./6. oder noch später ins 8./9. Jh. datieren. Sie bietet eine an der Evangelientradition orientierte Nacherzählung der Passion, Kreuzigung und Erscheinung Christi, erweitert um erbauliche Geschichten, die eine Nähe zu koptischen Homilien zu erkennen geben. Auch hier wird davon gesprochen, dass der Leib Christi die leibliche Auferstehung der Glaubenden ermögliche, aber unter einem neuen Aspekt. Wenn nämlich die Seele sich im Tod vom Leib trennt und bei der Auferstehung in ihn zurückkehrt, stellt sich die Frage nach der Unversehrtheit des toten Körpers. (Die Bedeutung der Mumifizierung im ägyptischen Jenseitsglauben könnte in dem koptischen Text nachklingen.) Als Beispiel für die Bewahrung des Leibes vor Verwesung wird die in die Kreuzigungsszene eingefügte Märtyrerlegende des Ananias angeführt. Dieser sei bei der Kreuzigung anwesend gewesen und habe seinen Körper an den am Kreuz hängenden Leib Jesu und seine Wundmale gepresst. Die Szene unter dem Kreuz resp. der Körperkontakt des Ananias mit dem Leib Jesu wird wiederum so ausgelegt, dass der Kontakt eine unmittelbare, heilvolle Wirkung auf den Körper des glaubenden Ananias ausgeübt habe (151). Bei seinem später erlittenen Martyrium wird ihm vom erhöhten Christus zugesagt, dass sein Leib aufgrund des Körperkontakts nicht verwesen werde.

Fraglos sind die hier untersuchten Texte in Hinsicht auf Entstehungszeitraum, Gattung, Kontext, Abzweckung und Adressaten ziemlich verschieden, so dass sie sich kaum zusammenschauen lassen. Deshalb beschränkt sich das zusammenfassende Kapitel 8 (263–278) auf abschließende Beobachtungen. Es ist unbestritten das Verdienst der Vfn., dass sie diese Quellen für den wissenschaftlichen Diskurs bereitgestellt hat. Ob sich ihre teilweise zugespitzten Interpretationen bewähren, wird die künftige Forschung erweisen müssen. Literaturverzeichnis (279–297), Stellenregister (299–312) und Sachregister (313–317) beschließen den Band.