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Ausgabe:

Oktober/2023

Spalte:

962-964

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Chouliaras, Alexandros

Titel/Untertitel:

The Anthropology of St Gregory Palamas. The Image of God, the Spiritual Senses, and the Human Body.

Verlag:

Turnhout: Brepols Publishers 2020. XVI, 243 S. = Studia Traditionis Theologiae, 38. Kart. EUR 70,00. ISBN 9782503589411.

Rezensent:

Theodoros Alexopoulos

Diese interessante und innovative Dissertation von Alexandros Chouliaras, die von der Fakultät von Religion und Theologie der Vrije Universität in Amsterdam angenommen wurde und im Jahr 2020 im renommierten Verlag Brepols (Turnhout, Belgien) erschienen ist, untersucht systematisch und detailliert die theologische Anthropologie einer herausragenden Figur der griechisch-byzantinischen patristischen Tradition, des Hl. Gregor Palamas.

Die Arbeit, die zweifellos dem Forschungsfeld der Patristik einzuordnen ist, beginnt – wie es sich bei einer wissenschaftlichen Studie gehört – mit einer ausführlichen Darlegung des Status quo der Forschung (5–16) und referiert andere Studien zu Palamas (von Mantzaridis, Meyendorff, Sinkewicz, Flogaus, Yangasoglou u. a.), die sich auf die Thematik der betreffenden Arbeit direkt beziehen oder in ihrem Umfeld bewegen. Der Vf. stellt am Ende fest, es existiere keine Studie, die explizit der theologischen Anthropologie des Gregor Palamas gewidmet sei, sondern es gebe nur Arbeiten, die diese Thematik peripher oder partiell behandeln (15). Andere Fachstudien zum Thema der Anthopologie aber beziehen sich auf andere Kirchenväter, und zwar auf Maximos Confessor (wie z. B. die von L. Thunberg, Microcosm and Mediator. The Theological Anthropology of Maximus the Confessor [19952] oder die noch neuere von A. Cooper, The Body in St. Maximus the Confessor. Holly Flesh, Wholly Deified [Oxford University Press, 2005]).

Im Folgenden biete ich dem Leser eine Darlegung und Auswertung der vorliegenden Arbeit, indem ich mich nach ihrer Gliederung richte. Im ersten Teil behandelt der Vf. die Lehre des Palamas vom Menschen als Imago Dei. Dabei zeigt er in überzeugender Weise, dass beim Erzbischof von Thessaloniki der Mensch in Bezug auf seine Ebenbildlichkeit mit Gott einen besonderen, noch höheren Stellenwert als die Engel hat (besonders in Hinblick auf das Sakrament der Eucharistie, 106–112). In diesem ersten Teil wird auch die Analogie zwischen Trinität und der menschlichen Existenz hervorgehoben und diesbezüglich die Frage untersucht, wie der Mensch Abdrücke der innertrinitarischen Unterscheidung in sich trägt. Genau wie bei Gregor von Nyssa, Johannes von Damaskus, Symeon von Thessaloniki u. a. sieht man auch bei Palamas eine Manifestierung der Trinität in der dreifachen Teilung des Menschen in Seele, Geist und Vernunft. Wie die drei göttlichen Personen miteinander wesensgleich und gleichewig sind, genau so verhalten sich im Menschen die drei Elemente ψυχή, νοῦς und λόγος zueinander. Sie sind koexistent und wesensgleich (63–65).

Einen äußerst spannenden Teil der Arbeit bildet außerdem die Frage, inwieweit und in welcher Art Augustinus im Werk von Palamas präsent ist. Dieser Frage geht der Vf. auf den Seiten 72–85 nach und gelangt zu wichtigen Schlussfolgerungen. Es liegt auf der Hand, dass Palamas von Augustinus von Hippo den Begriff des »Eros« übernimmt und ihn in sein System einbaut, um u. a. die Idee der ewigen Manifestation des Hl. Geistes zu unterstreichen (81). Der Hl. Geist sei nach Palamas »die unaussprechliche Liebe des Erzeugers (scil. des Vaters) seinem in unaussprechlicher Weise geborenen Sohn gegenüber« (73). Mit diesen Feststellungen, auf die schon andere Fachleute (Sinkewicz, Golitzin, Martzelos, Floghaus) aufmerksam gemacht haben, bestätigt der Verfasser die schon längst in der Forschung etablierte Ansicht, dass Palamas mit dem Werk des Augustinus schöpferisch umgegangen ist, ohne sich aber dessen trinitarisches Denkschema zu eigen zu machen. Trotz aller Ähnlichkeiten bleiben gewichtige Unterschiede zwischen diesen beiden Kirchenlehrern bestehen (73). Mit Recht sieht der Vf. wie andere Autoren (Larchet, Ware, Bobrinsky, Savvatos) – und damit unterscheidet er sich vom R. Floghaus – in der Person des Gregor von Zypern den Gewährsmann des Palamas in Bezug auf die zwei Arten – heilsgeschichtlich und ewiglich – der energetischen Manifestation des Geistes (80).

Im zweiten Teil der Arbeit beschäftigt sich der Vf. mit dem Begriff der »spirituellen Sinne« (πνευματικές αἰσθήσεις), der einen zentralen Platz in der Anthropologie Gregors einnimmt. Genauer untersucht der Verfasser (in Kap. 6) in diesem Kontext den Begriff der »αἴσθησις νοερά«, der für die griechisch-patristische mystische Theologie von ausschlaggebender Bedeutung ist. Damit sei nach Palamas das Erfassen und der Genuss der »unaussprechlichen göttlichen Güter-Gaben« gemeint, der das menschliche Denken übersteigt (147). »Wegen der Emporhebung des (menschlichen) Geistes, verwandelt sich der Körper, mit dem er vereinigt ist, zum Göttlicheren (πρὸς τὸ θειότερον μετασκευάζεται)« (147). Dabei stellt man bedauerlicherweise fest, dass in diesem äußerst spanenden Zusammenhang auf die Anknüpfungspunkte im Denken des Gregors von Nyssa mangelhaft, d. h. allein mit einer Fußnote, hingewiesen wird. Meines Erachtens sollte man in diesem Kontext die Verbindung mit Gregor von Nyssa deutlich hervorheben und auf die Homilien des Nysseners in Canticum Canticorum (beHom. I und VI) sowie auf Vita Moysis verweisen. Trotz dieses Mangels bleiben die Ausführungen und die Analyse des Vf.s stichhaltig und aufschlussreich.

Auf den Seiten 150 bis 197 (Kap. 6 und 7) beschäftigt sich der Vf. – umfassend und zugespitzt ausgedrückt – mit der »mystischen Theologie« des Hl. Gregor Palamas. Bezüglich dieser Thematik bespricht er die Stufen-Voraussetzungen, die nach Palamas zu der Schau des göttlichen Lichtes führen sollen: das Licht der Verklärung Christi, die Ekstase und Theoptie und vor allem die Vergöttlichung, die für die Mystik der Ostkirche als das oberste Ziel im Leben des Christen gilt. In seinen Ausführungen über die Etappen zur göttlichen Schau macht der Vf. den Leser auf den Begriff der Epektasis (ἐπέκτασις) aufmerksam, der eine zentrale Rolle in der Mystik Gregors von Nyssa spielt, und stellt zutreffend die Beobachtung an, dass auch bei Palamas der Aufstieg zu Gott ein kontinuierlicher Prozess ist (156).

Hier hätte man auch einen ausführlicheren Vergleich mit den drei Stufen zur Vergöttlichung bei Gregor von Nyssa (Canticum Canticorum Hom. 11) machen können. Des Weiteren schneidet der Vf. in diesem Kontext die Frage des Tabor-Lichtes an, des Lichts der Verklärung, das für die Antihesychasten als Trugbild gilt. Dabei hätte er m. E. zur Präzisierung und Information des Lesers die entsprechenden Verweise auf Barlaam und Gregorios Akindynos vorbringen sollen. Darüber hinaus und in Hinblick auf das Thema der Ekstase-Vergöttlichung bespricht der Vf. mit zutreffender Bezugnahme und Verweis auf Dionysios Areopagita (167, 168, 169, 175 u. a.) die Idee der Negation (Apophasis) bzw. die Überzeugung, dass Gott jede intellektuelle Fähigkeit und selbst die der verneinenden Redeweise übersteigt. Die Schau Gottes erfolgt in einer Weise, die sowohl jede Erkenntnis als auch jede Unkenntnis transzendiert (168). An der mystischen Einung mit Gott, anders gesagt an der Vergöttlichung, nimmt die ganze menschliche Existenz, auch der Körper, Anteil. Da das göttliche Licht kein erschaffenes Licht ist, bedeutet die Teilnahme an diesem Licht die Verklärung-Vergöttlichung auch des menschlichen Körpers, der mitsamt der Seele durch die Erfahrung der göttlichen Gnade zum göttlicheren verwandelt wird (194). Das ist eines der wichtigsten Ergebnisse der patristischen Anthropologie, die auch in der Person des Palamas den materiellen Teil des Menschen, seine Körperlichkeit, nicht negativ (wie z. B. der Platonismus und Neuplatonismus), sondern positiv auswertet, indem Gregor zeigt, dass auch der Leib (mittels der Askese) imstande ist, der Vergöttlichung teilhaftig zu werden.

Fazit: Trotz mancher Mängel, die ich hauptsächlich in der fehlenden Untersuchung und Auswertung der Anknüpfungspunkte der palamitischen Anthropologie mit dem neuplatonischen Gedankengut der griechischen Antike (siehe die Studien von S. Lilla, Neuplatonisches Gedankengut in den Homilien über die Seligpreisungen Gregors von Nyssa, Boston 2004; Th. Kobusch, Christliche Philosophie, Darmstadt 2006) erkenne, stellt die vorliegende Arbeit eine innovative Bereicherung für die Forschung dar. In welcher Hinsicht?

Weil sie ein breites Fenster zur Erhellung der griechisch-byzantinischen, patristischen Anthropologie anhand des Gregor Palamas eröffnet und uns damit weiterhilft, den inneren Kern der mystischen Theologie des Hesychasmus, eines der Bausteine der orthodoxen spirituellen Lehre und Erfahrung, besser zu verstehen und zu würdigen.