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Ausgabe:

Oktober/2023

Spalte:

960-962

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Cerioni, Lavinia

Titel/Untertitel:

Revealing Women. Feminine Imagery in Gnostic Christian Texts.

Verlag:

Turnhout: Brepols Publishers 2021. 231 S. = Studia Traditionis Theologiae, 35. Kart. EUR 65,00. ISBN 9782503586687.

Rezensent:

Silke Petersen

Einen Überblick über weibliche Gestalten und weibliche Metaphorik in christlich-gnostischen Texten möchte man einerseits gerne lesen, andererseits macht jedoch schon vor der Lektüre die Verwendung von »Gnostic Christian« im Titel skeptisch hinsichtlich der Frage, um welche Sorte von Texten – und welche Art von Gnosisdefinition – es sich wohl handeln könnte. Lavinia Cerioni ist sich dieser Schwierigkeiten offensichtlich bewusst und schreibt ein erstes Kapitel eben zu dem dornigen Thema der Begriffsbestimmung (»Methodological Problems in the Study of Gnosticism«, 23–43). In diesem Kapitel referiert sie zwar einige neuere Einwände gegen den Gnosisbegriff, entschließt sich aber dann doch, auf Basis der Messina-Definition von 1966 weiterzuarbeiten, wobei sie diese noch um die Idee der Abbildlichkeit der Gestalten auf oberen und unteren Ebenen der Schöpfung erweitert, die sich allerdings auch schlicht als Verweis auf platonisches Gedankengut verstehen ließe. Zudem möchte sie zwar Texte der Kirchenväter einbeziehen, dabei jedoch im Hinblick auf deren polemischen Charakter kritisch bewerten, wie zuverlässig diese im Einzelfall sind.

Die Darstellung ist im folgenden in drei Abschnitte unterteilt: Zunächst geht es um jene Schriften, die in der Forschung zumeist als »sethianisch« klassifiziert werden. Unter der Überschrift »The Soteriological Feminine in Ophite, Sethian and Barbeloite Texts« (45–97; die Sortierung lehnt sich an Rasimus an) untersucht sie nacheinander die Weiblichkeit im pleromatischen Bereich, die gefallenen Weiblichkeiten (überwiegend Sophia-Gestalten) sowie die inkarnierten weiblichen Gestalten wie Eva und Norea, wobei sie in jedem dieser Unterabschnitte dieselben Texte nacheinander durchgeht. Diese Texte sind das Apokryphon des Johannes (AJ; NHC II,1 / III,1 / IV,1 / BG 2), die Hypostase der Archonten (HA; NHC II,4), Vom Ursprung der Welt (UW; NHC II,5) sowie die beiden dazu passenden Passagen bei Irenäus, Adversos Haereses I,29 und I,30.

Der nächste Unterabschnitt verfolgt einen ähnlichen Aufbau, nun im Hinblick auf valentinianische Texte. Berücksichtigt werden dabei die sogenannte Valentinianische Abhandlung (ExpVal; NHC XI,2), Irenäus, AdvHaer I,1–8 und I,11, die Exzerpta ex Theodoto des Clemens von Alexandrien sowie das Evangelium nach Philippus (EvPhil; NHC II,3). Da sie nicht ergiebig für das Weiblichkeits-Thema sind, fehlen das Evangelium der Wahrheit (EV; NHC I,3/XII,2) und der Tractatus Tripartitus (TractTrip; NHC I,5), die in der Forschung üblicherweise als valentinianisch klassifiziert werden.

Im dritten inhaltlichen Teil geht es unter der Überschrift »Gnostic Case Studies: The Feminine in Other Gnostic Traditions« (149–198) dann um Helena und Simon Magus in den diesbezüglich erhaltenen Quellen (bes. Justin und Irenäus), um das Baruchbuch bei (Pseudo)-Hippolyt und um die Erzählung über die Seele (ExAn; NHC II,6). Das Material ist in diesem Teil offensichtlich noch heterogener als in den beiden vorherigen Abschnitten.

Am überzeugendsten präsentiert sich beim Lesen die Analyse der sethianischen Texte, die für das Thema deutlich am ergiebigsten sind, und in denen weibliche Gestalten bei Schöpfung, Fall und Erlösung eine kaum überschätzbare Rolle spielen. Interessant sind hier auch die Doppelungen traditioneller Gestalten wie der der Eva. Im Hinblick auf den weiblichen Anteil an der Soteriologie schneidet dabei UW am besten ab. Deutlich kritisch sieht C. die polemisch-verkürzende und böswillige Darstellung bei Irenäus AdvHaer I,30; während der Abschnitt I,29 (erwartungsgemäß) nicht viel über das zuvor analysierte AJ hinaus beiträgt.

Schwieriger scheint die Konsistenz des zweiten inhaltlichen Abschnittes, da hier unter den Nag-Hammadi-Texten die nur sehr fragmentarisch erhaltene ExpVal als Zentraltext dienen muss, die Kirchenväter-Auszüge offensichtlich mehrere verschiedene Systeme referieren und vermischen, und das EvPhil nur sehr begrenzte Aussagen zum Thema macht. Im letzteren Falle begegnet C. dem Materialmangel damit, dass sie Sophia umstandslos mit dem heiligen Geist gleichsetzt sowie in Texte einliest, in denen »Sophia« nicht genannt wird (vgl. 124–128), was m. E. beides einer ausführlicheren Begründung bedurft hätte.

Im dritten Teil wird den Quellen im Hinblick auf Helena Unzuverlässigkeit attestiert und das Baruchbuch bleibt letztlich ebenso wie (Pseudo)-Hippolyt rätselhaft, die Mythologie um Elohim und Edem wird als Sonderfall beschrieben. Besonders wenig überzeugend war für mich die Argumentation, ExAn als valentinanischen Text zu lesen. Diese Zuordnung wird zwar mehrfach wiederholend konstatiert, aber letztlich nicht plausibel gemacht, insbesondere im Gegenüber zu vielen Stimmen der Forschung, die diesen Text keinesfalls für gnostisch in irgendeinem Sinne halten, oder, wenn sie ihn denn so lesen, eine valentinianische Zuordnung nicht unterstützen. Die Geschichte vom Exil der Seele und ihrer Rückkehr zu ihrem himmlischen Ursprungsort lässt sich vor einem platonischen Hintergrund gut allgemeinmenschlich lesen, der Gewinn, der sich durch eine Klassifizierung als »gnostisch« etc. mit all den damit verbundenen Unklarheiten ergibt, scheint mir eher fragwürdig.

An einer Stelle gibt C. einen Hinweis auf den möglichen theologischen Sinn der überbordenden Fülle unterschiedlicher weiblicher Gestalten in den untersuchten Texten:

»Therefore, feminine imagery becomes the metaphorical and philosophical way to express the existence of a divine principle which mingles with the material world. Valentinian Gnostics understood the myth of Sophia’s passion as an archetype of the Passion of the Saviour, which they transpose to a protological level due to their typological way of interpreting the evangelical narrative. Therefore, the myth of Sophia becomes the core of Valentinian theology, for it is an attempt to make sense of the Christian mystery of the Saviour’s suffering.« (121)

Es bleibt bei diesen Andeutungen bezüglich des Sinnes der gefallen und gespaltenen Weiblichkeiten, das Thema wird leider nicht wieder aufgenommen. Auch in der abschließenden Zusammenfassung der Ergebnisse fehlt eine theologische Positionierung zu den durch die untersuchten Texte ausgeworfenen Grundfragen. Das Buch schließt mit den Sätzen:

»In conclusion, the study of Gnostic feminine imagery has proven to be particularily fruitful for the identification of the key elements of the Gnostic description of God. In Gnosticism, feminine imagery is not only a powerful rhetorical and mythological tool, but it is also an effective way to convey theological doctrines and teachings. I can only hope that these preliminary findings will stimulate further research into Gnostic feminine imagery for much needs yet to be done in this field.« (203).

Vor allem dem letzten Satz ist nur zuzustimmen.