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Ausgabe:

Oktober/2023

Spalte:

947-949

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Basczok, Jan David

Titel/Untertitel:

Szenen, Inszenierungen und Bühnen in der Apostelgeschichte.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2020. X, 189 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 538. Kart. EUR 74,00. ISBN 9783161599958.

Rezensent:

Bernd Kollmann

Die Studie von Jan David Basczok, bei der es sich um die Druckfassung seiner Göttinger Dissertation handelt, leistet einen Beitrag zur literaturtheoretischen Analyse der Apostelgeschichte. B. versucht die in der Apostelgeschichte beschriebenen Stationen der Ausbreitung des Christentums im Mittelmeerraum als Bühnen zu verstehen, mit deren Hilfe Lukas seinem Lesepublikum die Anfänge der Kirche bildlich vor Augen führen und Identifikationsangebote eröffnen wolle.

B. nimmt in der Einleitung (1–3) ein Zitat von Franz Overbeck zum Ausgangspunkt seiner Untersuchung. Der umstrittene Basler Gelehrte hatte einst das Ansinnen des Lukas, der Jesusgeschichte eine Fortsetzung zu geben, als Taktlosigkeit von welthistorischen Dimensionen betrachtet und die Auffassung vertreten, dass die Apostelgeschichte neben den durch ihren Reichtum bestechenden Evangelien als eines der armseligsten und ärmsten Bücher des Urchristentums dastehe. Dieser Schmähung der Apostelgeschichte tritt B. entgegen und will unter Anwendung literaturwissenschaftlicher Methodik nachweisen, dass mit ihr als Fortsetzung des Lukasevangeliums genau das Werk vorliegt, dessen das Christentum in der Zeit um 100 n. Chr. bedurfte. Im ersten Hauptteil (4–24) skizziert B. die Rahmenbedingungen und Grundsatzfragen seines Themas. Zunächst wird eine Rückschau auf die narrativ-kritische Forschung an der Apostelgeschichte gehalten und ein besonderer Fokus auf solche Arbeiten gerichtet, die den Begriff der Bühne auf den zweiten Teil des lukanischen Doppelwerks anwenden. Danach umreißt B. sein eigenes Forschungsvorhaben. Erklärtes Ziel ist es, die Bühnen der Apostelgeschichte einschließlich ihrer jeweiligen Ausstattung (räumliche Gestaltung und Requisiten) zu beschreiben und die auf den gestalteten Schauplätzen stattfindenden Inszenierungen darzustellen. Dabei soll die an die Theorie des kulturellen Gedächtnisses anknüpfende literaturwissenschaftliche Methode der »erinnernden Bühnen(re)konstruktion« zum Einsatz kommen. Auf Grundlage der Einzelanalysen will B. schließlich der im Text erkennbaren Kommunikationsabsicht nachgehen, die Lukas im zweiten Teil seines Doppelwerks verfolgt.

Nach diesen Präliminarien nimmt B. unter der Überschrift »Szenen, Inszenierungen und Bühnen« sein anvisiertes Forschungsvorhaben in Angriff und setzt mit narrativen Analysen ein, die sich zunächst auf den Gesamttext der Apostelgeschichte beziehen (25–64). Konkret werden deren Erzählrahmen, das Verhältnis von Erzählzeit und erzählter Zeit, die räumliche Konfiguration im Sinne der »Vermessung des Spielraums«, die Art der Szenenverknüpfung und die Inszenierung der Figuren unter die Lupe genommen. Als ein relevantes Zwischenergebnis hält B. fest, dass die Selbstinszenierung des als das »andere Ich« des Textes erscheinenden Autors der Apostelgeschichte die durch Theophilus repräsentierten Leserinnen und Leser zum sachgerechten Textverständnis anleiten will. Zudem sieht B. durch seine narrative Analyse die Einsicht von Eckhard Plümacher bestätigt, dass sich Lukas eines dramatischen Episodenstils bedient. Der Verfasser der Apostelgeschichte greife bei seiner Darstellung einzelne kurze Szenen aus dem historischen Kontinuum heraus und verbinde sie nur lose miteinander, um so die frühchristliche Geschichte als Aneinanderreihung von Ereignissen nachvollziehbarer zu machen. Für die einzelnen Episoden errichte Lukas literarische Bühnen, auf denen er die Handlungsabschnitte inszeniere und mit insgesamt 93 nach Art von Schauspielern agierenden Haupt- wie Nebenfiguren besetze.

Nachdem B. auf diese Weise die Apostelgeschichte entlang unterschiedlicher literaturwissenschaftlicher Kategorien als Ganzes analysiert hat, nimmt er nachfolgend konkrete Szenen hinsichtlich ihrer Inszenierung durch den Autor in den Blick (65–137). Dabei handelt es sich nicht etwa um kurze Episoden aus der Apostelgeschichte, sondern um umfangreiche Erzählkomplexe zu Jerusalem als Stadt des Heils (Apg 1–7), zu urbanen Zentren des Römischen Reichs als Schauplätzen der paulinischen Mission (Apg 16–19), zu Jerusalem als Stadt des Unheils für den angeklagten Paulus (Apg 21–23) und zur Reise des Apostels nach Rom ins Zentrum der Macht (Apg 27–28). Aus seinen Einzelanalysen zieht B. den Schluss, dass Lukas mithilfe besonderer Bühnenausstattungen und Staffagen eine Atmosphäre schaffe, in der er das Wahre noch wahrer erscheinen lasse und dabei durch die Bindung seiner theologischen Ausführungen an historische Akteure der eigenen Theologie eine besondere Authentizität verleihe. Abgerundet wird die Analyse von Szenen, Inszenierungen und Bühnen der Apostelgeschichte durch einen dritten Abschnitt, der sich der Erzählung und ihrer Wirkung vor dem historischen Hintergrund zuwendet (138–157). B. betrachtet dabei die Apostelgeschichte als ein Geschichtswerk, das neben der Vergegenwärtigung der Vergangenheit auch zu einer Zukunftsperspektive führe. Als Herkunftserzählung und Gründungsurkunde des frühen Christentums biete die Apostelgeschichte verbindliche Erinnerung, die zur Ausbildung einer christlichen Identität verhelfe. Zugleich seien die Figuren anschlussfähig für die Christen der Abfassungszeit, indem durch das Nacherleben der eigenen Situation in der Erzählung und durch das betonte Rettungshandeln Gottes Identifikationsangebote bereitgehalten würden.

In seinem abschließenden Resümee (158–165) bringt B. den Ertrag seiner Textbetrachtungen auf den Punkt und bietet einen Ausblick. Als Ergebnis der literaturwissenschaftlichen Textanalyse der Apostelgeschichte lasse sich feststellen, dass deren Zweck darin bestehe, in einer die Adressaten fesselnden dramatischen Aufführung die Gründung der christlichen Gemeinde verständlich zu erklären und im Rahmen des kulturellen Gedächtnisses zu speichern. Um die identitätsstärkende Herkunftserzählung des Christentums den Rezipienten nicht nur lesend oder hörend zu vermitteln, sondern auch plastisch vor Augen zu führen, habe Lukas die Handlung auf literarischen Bühnen inszeniert. Dabei sei ihm zugutegekommen, dass er mit großer Sicherheit aufgrund seines Bildungsgrades antike Dramen und Theater gekannt habe. Das scharfe Urteil Overbecks über die Apostelgeschichte sei energisch zurückzuweisen. Mit dem lukanischen Doppelwerk betrete das Christentum zweifellos die Bühne der Weltliteratur und durch die Apostelgeschichte als Fortsetzung des Evangeliums gebe sein Autor der frühen Phase des Christentums eine Meistererzählung von bis heute anhaltender Wirkung.

Unter dem Strich liefert B. eine anregende und mit Gewinn zu lesende Studie, die tiefere Einblicke in die lukanische Gestaltung und Dramatisierung zentraler Ereignisse aus der Geschichte des Urchristentums als Bühnenszenen bietet. Mittels der Methodik der erinnernden Bühnenrekonstruktion gelingt es B., schon seit längerem gewonnene Erkenntnisse der Acta-Forschung weiter zu untermauern und zudem bislang noch nicht wahrgenommene Facetten der literarischen wie theologischen Arbeit des Lukas im zweiten Teil seines Doppelwerkes auszuleuchten.