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Ausgabe:

Oktober/2023

Spalte:

944-945

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Persig, Anna

Titel/Untertitel:

The Vulgate Text of the Catholic Epistles. Its Language, Origin and Relationship with the Vetus Latina.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2022. 336 S. = Vetus Latina, 42. Kart. EUR 80,00. ISBN 9783451329388.

Rezensent:

Heinrich Holze

Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um die überarbeitete und erweiterte Fassung einer Dissertation, die 2021 von den Universitäten Birmingham und Nottingham angenommen wurde. Anna Persig, Postdoctoral Researcher im Projekt »New Testament in Translation« an der Faculty of Theology and Religious Studies der Katholischen Universität Löwen (KU Leuven), legt darin eine umfassende und detaillierte linguistische Untersuchung der lateinischen Versionen der Katholischen Briefe vor.

Die Analyse ist von der Grundannahme getragen, dass Sprachuntersuchungen aussagekräftige Ergebnisse zur Erforschung der lateinischen Textgeschichte der Katholischen Briefe liefern können. Die Arbeit verfolgt einen komparatistischen Ansatz. Gegenstand ist zum einen das Verhältnis der Vetus-Latina-Texte zum griechischen Text und zum anderen das Verhältnis zwischen der Vetus Latina und der Vulgata. Dabei wird deutlich, dass die Katholischen Briefe der Vulgata keineswegs eine homogene Textgruppe bilden, sondern erst im 5. Jh. mit dem Alten Testament des Hieronymus verbunden wurden, vermutlich um sie durch die Autorität seines Namens aufzuwerten. Der Fokus der Untersuchung liegt daher nicht auf der Frage nach der Autorschaft, sondern auf dem sprachlichen Charakter der Texte. Um diese in lexikalischer, morphologischer und syntaktischer Hinsicht zu untersuchen, wendet P. qualitative wie quantitative Methoden der Sprachanalyse an. Durch diachrone und synchrone Beschreibungen der Sprache gelingt es ihr, die linguistischen Spezifika der lateinischen Brieftexte herauszuarbeiten und ihr Verhältnis zu früheren und zeitgenössischen Schriften zu beleuchten. Die Verfasserin stellt ausdrücklich fest, dass die umfangreichen Detailanalysen nur unter Verwendung elektronischer und online zugänglicher Hilfsmittel wie dem Thesaurus Linguae Latinae, der Library of Latin Texts, der Database of Latin Dictionaries, der Vetus Latina Database sowie dem Biblindex möglich waren. Mit diesen Instrumenten aber gelingt es der Autorin eindrucksvoll, die linguistischen Techniken herauszuarbeiten, die von den Übersetzern der Vulgata und der Vetus Latina eingesetzt wurden. Dabei zeigt sie, dass die Vulgata, die oft als der Vetus Latina sprachlich und stilistisch überlegen angesehen wird, erheblich vom griechischen Text abhängig ist, insbesondere im Vokabular und in der Syntax. Zudem bilden die Katholischen Briefe der Vulgata, die im Zentrum der Untersuchung stehen, keine einheitliche Textgruppe. Sprachliche Besonderheiten, linguistische Phänomene und Überarbeitungsprinzipien belegen die unterschiedliche Herkunft der Briefe, die sich aus der mehr oder weniger großen Abhängigkeit von der Vetus Latina erklären lassen. Rezeptionsgeschichtlich hat sich zwar die Textfassung der Vulgata durchgesetzt, was sich bereits in Augustins antipelagianischen Schriften zeigt. Gleichwohl fällt auf, dass bei allen Katholischen Briefen die wechselseitigen textlichen Beeinflussungen zwischen der Vulgata und der Vetus Latina so groß sind, dass ein gemeinsamer Grundtext vermutet werden darf.

Insgesamt bietet die vorliegende Untersuchung wertvolle Einblicke in die Sprachgeschichte der beiden lateinischen Textgruppen. Die Analysen erhellen nicht nur den Ursprung der Vulgata-übersetzung der Katholischen Briefe und ihre Verbindungen zu der Vetus Latina. Sie liefern auch gute Gründe für die Vermutung, dass die lateinischen Übersetzungen von einem gemeinsamen Archetyp stammen und damit gleichermaßen vom griechischen Ausgangstext wie vom nicht-standardisierten lateinischen Text beeinflusst sind.