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Ausgabe:

September/2000

Spalte:

881 f

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Bergen, Wesley J.

Titel/Untertitel:

Elisha and the End of Prophetism.

Verlag:

Sheffield: Sheffield Academic Press 1999. 200 S. gr. 8 = Journal for the Study of the Old Testament, Suppl. Series 286. Lw. £ 37.50. ISBN 1-85075-949-9.

Rezensent:

Hans-Christoph Schmitt<

Die überarbeitete Fassung dieser von Brian Peckham betreuten Dissertation der Toronto School of Theology untersucht das Prophetenverständnis, das dem Leser der Geschichtsdarstellung von Genesis bis 2. Könige durch die Zeichnung Elisas in 1Kön 19,15-21; 2Kön 2-9; 13,14-21 (auf dem Hintergrund des Bildes von Mose, Samuel, Nathan und Elia) vermittelt wird. Dabei geht die Untersuchung davon aus, dass die Darstellung von Genesis bis 2. Könige in den herrschenden Kreisen des perserzeitlichen Israel (zu ihnen gehörten nach Meinung des Vf.s keine Propheten) entstanden ist, sie klammert jedoch eine diachrone Untersuchung von Vorstufen der jetzt vorliegenden Elisadarstellung bewusst aus. Vielmehr geht es dem Vf. um eine "narratologische" Auslegung der Elisageschichten, in der die Dichotomie zwischen "reader-oriented" und "author-oriented" "readings" überbrückt ist: Jeder Text stehe zwar unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten durch den Leser offen, doch sei auch "the effect of the text on our constructed world" (36) im Blick zu behalten. Zur Klärung dieser methodischen Fragen behandelt der Vf. nach einem einleitenden Kapitel in Kap. 2 "narratology" (15-36) und in Kap. 3 "the text, the reader and the reading" (37-41), um sich erst danach in dem zentralen Kap.4 dem Elisabild von 1Kön 19 und 2Kön 2-13 und der Darstellung der Prophetie nach Elisa zuzuwenden (42-174). Abgeschlossen wird die Studie durch eine "Conclusion" (175-179), eine ausführliche Bibliographie (180-192) und Bibelstellen- und Autoren-Register (193-200).

Zwar liegt in der Arbeit von Norbert C. Baumgart ("Gott, Prophet und Israel", Leipzig 1994) bereits eine narratologische Analyse der Elisaerzählung von 2Kön 5 vor, doch zeichnet sich die vorliegende Studie durch das bewusste In-Beziehung-Setzen der Elisadarstellung mit den anderen Prophetenbildern der Bücher Genesis bis 2. Könige aus. Auf dem Hintergrund dieses Vergleichs konstatiert der Vf. in der Zeichnung Elisas eine "absence of a general sense of prophetic mission": "He does not lead Israel as Moses and Samuel did. He does not challenge the people to return to YHWH as Elijah did. He does not act as conscience to the king of Israel as Nathan did. He brings no ethical imperative to either king or people" (175 f.). Zwar verkündet Elisa das Wort Jahwes (vgl. 2Kön 2,21.24; 3,16; 4,43 u.ö.), doch wird nach Meinung des Vf.s dies vom Autor der Elisadarstellung selbst relativiert (vgl. 2Kön 2,22: "nach dem Wort Elisas" nach 2,21 "so spricht Jahwe").

Überhaupt tritt Elisa in der Sicht des Vf.s oft an die Stelle Jahwes (vgl. nur 2Kön 5,8, wo es um die Erkenntnis des Propheten, nicht Jahwes geht). Dies zeige sich besonders daran, dass Elisa in erster Linie als Wundertäter dargestellt wird. Dabei geschehen diese Wunder nicht nur in der Welt der Könige (2Kön 3; 5,1-18; 6,8-7.20; 8,7-15), sondern auch im Bereich des israelitischen Volkes (2Kön 2,19-25; 4,8-37.42-44) und hier vor allem bei den "Prophetensöhnen" (2Kön 2,1-18; 4,1-7.38-41; 6,1-7). Aber auch als Wundertäter habe Elisa nicht immer Erfolg, wie 2Kön 3,27; 6,23-24 verdeutlichten. Problematisch wirke auch, dass der König Joram als Sohn Ahahs und Isebels, deren Nachkommen Elia den Untergang geweissagt hat (vgl. u. a. 1Kön 21,22), von Elisa mehrfach gerettet wird. Zwar bleibe Elisa für den Leser ein wahrer Jahweprophet, doch würden die Erwartungen an einen Propheten von ihm nur teilweise erfüllt.

Allerdings nimmt der Vf. an, dass Elisa in einer Funktion, nämlich in der als Orakel für den König von Israel, seiner prophetischen Rolle durchgehend gerecht wird: In ihr bleibt der Prophet jedoch immer nur Diener des Königs. Auch wenn Elisa auf den Befehl Jahwes hin (2Kön 9,1 ff.) einen König beseitigt, so setzt er dabei doch einen neuen König ein, der dann ohne prophetische Unterstützung den Willen Jahwes realisiert (2Kön 9,25-26; 10,11.17.18-27). Die Darstellung von Mose, Samuel, Nathan und Elia in Genesis bis 2. Könige hatte nach Meinung des Vf.s dem Leser "the possibility of a world under prophetic control" (46) vermittelt. Die Elisadarstellung von 2Kön 2 ff. stelle jedoch diese prophetische Welt in ein negatives Licht. Die Zeichnung Elisas und der "Prophetensöhne" zeige dem Leser, dass eine solche "prophetische Herrschaft" unrealistisch ist. Den Propheten bleibe daher von 2Kön 2 ab nur die Rolle, den Königen zu dienen. Dies bestätigten die Prophetendarstellungen von 2Kön 14-25. Hier seien die prophetischen Gestalten eines Jona (2Kön 14,25), eines Jesaja (2Kön 18-20) und einer Hulda (2Kön 22,13-20) ausschließlich als Orakelgeber für den König verstanden. Die Erwähnung von Propheten in 2Kön 17,13.23 verwiesen demgegenüber auf eine Prophetie, wie sie vor Elisa auftrat und wie sie durch Elisa ihr Ende gefunden hat.

Das Buch arbeitet in anregender Weise die Sonderstellung des Elisabildes innerhalb der Prophetendarstellungen von Genesis bis 2. Könige heraus. Nicht dem Textbefund gerecht wird jedoch die These des Vf.s, in 2Kön 2 ff. werde dem Leser eine Darstellung des Endes der "Prophetie" nahegebracht.

2Kön 20,12-19; 21,10-15; 22,14-20 zeigen ein Prophetenbild, das sich nicht wesentlich von dem eines Ahia von Silo (1Kön 14,7-16), eines Jehu ben Hanani (1Kön 16,1-4), eines Elia (1Kön 21,17-26) und eines Micha ben Jimla (1Kön 22) unterscheidet (vgl. auch bei Elisa 2Kön 9,1-10). Auch kann die Tatsache, dass in der Elisadarstellung der Prophet die Stelle Jahwes einnimmt, nicht negativ beurteilt werden, da sich ähnliche Befunde bereits in der Mosedarstellung (Ex 4,16; 7,1; 14,31; 19,9 u. ö.) finden. Außerdem stellt die Zuordnung des Propheten zum König bei Elisa kein neues Element dar: Auf Vergleichbares stößt man bei Samuel, Gad und Nathan. Schließlich liegt die Verbindung von Prophet und Wundertäter in ähnlicher Weise schon bei Mose (vgl. besonders Dtn 34,10-12) und bei Elia (vgl. 1Kön 17; 2Kön 1) vor. M. E. zeigt sich dabei in der nachexilischen Endfassung der Elisaüberlieferung ebenso wie in der Mose- und der Eliaüberlieferung eine Ausweitung des prophetischen Handlungsfeldes auf den kreatürlichen Bereich. Auch ist - anders als dies die vorliegende Studie wahrnimmt - in diesem Zusammenhang eher ein Zurücktreten des Interesses am Königtum zu beobachten.

Trotz dieser Anfragen stellt die Arbeit von W. J. Bergen einen wichtigen Forschungsbeitrag zur Klärung der theologischen Intention der Endgestalt der Elisadarstellung und ihres Prophetenbildes dar, der auch der diachron arbeitenden Exegese der Königsbücher anregende und die bisherige Forschung weiterführende Impulse vermitteln kann.