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Ausgabe:

Juli/August/2000

Spalte:

729–731

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Waardenburg, Jacques

Titel/Untertitel:

Classical Approaches to the Study of Religion. Aims, Methods and Theories of Research. Introduction and Anthology.

Verlag:

New York-Berlin: de Gruyter 1999. XXIV, 742 S. gr.8 = Religion and Reason, 3. ISBN 3-11-016328-4.

Rezensent:

Andreas Grünschloß

Es gilt ein Buch zu besprechen, das allen Fachwissenschaftlern in der Regel schon seit langem bekannt ist, denn die 1973 erschienenen Classical Approaches aus der Hand des namhaften niederländischen Religionswissenschaftlers Jacques Waardenburg (emeritiert in Lausanne) stellen geradezu einen modernen internationalen ,Klassiker' für die Einführung in die Disziplingeschichte der Religionswissenschaft dar. Nachdem das hilfreiche Quellenwerk für längere Zeit vergriffen war, wurde es nun erfreulicherweise in einer Paperback-Ausgabe wieder zugänglich gemacht (allerdings ohne den zweiten, rein bibliographischen Band). Abgesehen von einem neuen Vorwort, das eine zeitgenössische Perspektive bzw. Retrospektive auf das Buch und seine Inhalte entwirft, ist es unverändert geblieben.

Disziplingeschichte und fundamentale Fragestellungen der Religionswissenschaft (hinsichtlich Epistemologie und Empiriebezug, Erklären und Verstehen, Perspektive, Theorie und Methode) werden anhand einer repräsentativen Textauswahl von 41 Forscherpersönlichkeiten aus rund 100 Jahren (ca. 1850-1950) erschlossen - angefangen bei F. M. Müller, C. P. Tiele und P. D. Chantepie de la Saussaye. Alle diese Textbeispiele sind mit einem biographisch-bibliographischen Vorspann zu dem betreffenden Autor versehen. Allerdings werden nicht nur Repräsentanten der Religionswissenschaft im engeren Sinne vorgestellt (z. B. G. van der Leeuw, R. Otto, F. Heiler, J. Wach, R. Pettazzoni u. a.), sondern auch Vertreter unmittelbarer Nachbardisziplinen, sofern sie sich mit dem Phänomenbereich ,Religion(en)' in einer disziplingeschichtlich relevanten Weise auseinandergesetzt haben (J. J. Bachofen, J. Wellhausen, E. B. Tylor, J. G. Frazer, M. Weber, S. Freud, C. G. Jung, B. Malinowski, W. F. Otto u. v. a.) - und fast alle lassen sich zu Recht als "klassische" Persönlichkeiten der Religionsforschung ansprechen (vgl. analog J. Wachs "concept of the 'classical'", v.a. 506 f.). Lediglich an manchen Stellen schimmern die wissenschaftlichen Präferenzen des Herausgebers mit seinem bekannten Engagement für eine "new style phenomenology" durch (so vor allem im fünften und letzten Teil der Quellensammlung).

Dieser fast 600-seitigen Anthologie (79-666) geht wiederum eine ausführliche "Einleitung" voraus (1-78). Sie skizziert die Geschichte der Religionsforschung und vermittelt einen kommentierenden Überblick über die gesamte Anthologie: Die Textbeispiele werden hier bereits in Kürze inhaltlich vorgestellt, charakterisiert und vor dem Hintergrund des geistes- und forschungsgeschichtlichen Kontextes einer kritischen Würdigung unterzogen, wobei der Vf. einen Bezug zu vielen weiteren Vertretern und Publikationen der Religionsforschung aus dieser Epoche herstellt. - Zusätzlich abgerundet wird das Werk nicht nur von dem üblichen Personen- und Sachindex, sondern auch von einem besonders ausführlichen "Index of Scholarly Subjects" (686-736), der sich als ein hervorragendes Hilfsmittel für die wissenschaftsgeschichtliche Erschließung relevanter Themen, Begriffe und Theoriekomplexe erweist.

W. hat sich strikt an die Grundregel gehalten, keine damals (1973) lebenden Persönlichkeiten in die Anthologie aufzunehmen. Aus diesem Grunde fehlen viele Stimmen, die für die neuere religionswissenschaftliche Diskussion um die Mitte des 20. Jh.s bereits eine wichtige Rolle spielten: W. selbst nennt M. Eliade, W. C. Smith, E. E. Evans-Pritchard, C. Lévi-Strauss, V. Turner, U. Bianchi, G. Widengren u. v. a. (VII). Gerade aus heutiger Sicht stellt sich dies als eine empfindliche Lücke dar. Ferner wird man im Kontext einer deutsch(sprachig)en Universität nach wie vor bedauern, dass diejenigen Autoren, deren Beiträge ursprünglich auf Deutsch (oder Französisch) erschienen sind, ,nur' in englischer Übersetzung vorliegen. Dies hat zwar den internationalen Erfolg der Publikation beflügelt, beschränkt aber die sinnvollen Nutzungsmöglichkeiten im hiesigen Kontext - z. B. als alleiniges, handliches ,Lesebuch' für ein disziplingeschichtlich orientiertes Methoden-Seminar. Dennoch wird man kaum einen Einführungskurs in die Geschichte der Religionswissenschaft und ihre klassischen Theorie-Ansätze konzipieren, ohne sich von der hier getroffenen Auswahl erneut anregen zu lassen oder den Band wenigstens als Teil der Erschließungsliteratur zu nutzen und in einem Seminarapparat zugänglich zu machen (etwa zusammen mit J. de Vries, Forschungsgeschichte der Mythologie, G. Lanczkowski, Selbstverständnis und Wesen der Religionswissenschaft, W. A. Lessa & E. Z. Vogt, Reader in Comparative Religion, C. Colpe, Die Diskussion um das "Heilige", R. T. McCutcheon, The Insider/Outsider Problem in the Study of Religion, A. Michaels, Klassiker der Religionswissenschaft, H. Kippenberg, Die Entdeckung der Religionsgeschichte, u. a.).

Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass mittlerweile fast dreißig Jahre seit dem ersten Erscheinen verstrichen sind und dass sich dadurch der zeit- und wissenschaftsgeschichtliche Abstand zu den hier versammelten Quellen spürbar vergrößert hat. Da die Autoren mit ihren Texten aber größtenteils zum repräsentativen ,Urgestein' der sich allmählich in verschiedenen methodischen Ausprägungen konsolidierenden Religionsforschung gehören, ist dieser Abstand weniger dramatisch, als es vielleicht scheinen mag. Der Bedarf an einer demgegenüber vervollständigten, interkulturellen Geschichte der Religionswissenschaft im 20. Jh. und an einer entsprechend aktualisierten Anthologie wird zu Beginn dieses Jahrtausends zwar weiter steigen, aber für die typischen Entstehungsbedingungen, Abgrenzungsdiskussionen und methodischen Ausdifferenzierungen der akademischen Religionsforschung als solche bleibt das Werk nach wie vor ein äußerst hilfreiches Textbuch, auch wenn (oder gerade weil) die Ära dieser "Klassiker" in vieler Hinsicht längst vorüber ist. Denn wie W. selbst in seinem Vorwort betont: Angesichts einer weitgehenden religionskundlichen Orientierungslosigkeit - "I am profoundly disturbed by the prevailing lack of good information and degree of ignorance in matters of religion(s) at the end of this century" (XVII) - bleibt die Religionsforschung im Bemühen um eine adäquate Erschließung historischer und v. a. zeitgenössischer religiöser Lebensäußerungen durchaus auf die inspirierenden Aufbrüche dieser Klassikergeneration verwiesen, natürlich ohne sich von ihr und ihrer zeitbedingt eurozentrischen Perspektive kritiklos beherrschen oder einschränken zu lassen.