Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2000

Spalte:

718–720

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Hermisson, Hans-Jürgen

Titel/Untertitel:

Studien zu Prophetie und Weisheit. Gesammelte Aufsätze. Hrsg. von J. Barthel, H. Jauss u. K. Koenen.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 1998. VIII, 333 S. gr. 8 = Forschungen zum Alten Testament, 23. Lw. DM 168,-. ISBN 3-16-146966-6.

Rezensent:

Jürgen van Oorschot

In fünfzehn Aufsätzen spiegelt sich die Forschungsarbeit des Verfassers aus den Jahren 1971-1996. Die Herausgeber, Jörg Barthel, Hannelore Jauss und Klaus Koenen, präsentieren damit eine gelungene Gabe zum 65. Geburtstags ihres Lehrers im Mai 1998. Im Wesentlichen unverändert erscheinen dabei zwei Beiträge (5. und 13.) zum ersten Mal in deutscher Sprache. Die vier thematischen Schwerpunkte markieren das Forschungsinteresse des Vf.s: Jeremia, Jesaja und Deuterojesaja, die Gestalt des Gottesknechtes und die Weisheit. Die entsprechenden vier Kapitel werden jeweils durch eine kurze Orientierung H.s eingeleitet.

Drei Beiträge beschäftigen sich mit dem Jeremiabuch.

Der Aufsatz zu Jahwes und Jeremias Rechtsstreit. Zum Thema der Konfessionen (5-36; Erstveröffentlichung 1987) vollzieht eine deutliche Abkehr von einer psychologischen bzw. biographischen Deutung der Konfessionen. Der Vf. findet in ihnen den Kern einer vordtr Sammlung Jer 10-20*. Sie stellen die "Innenseite der Unheilsverkündigung" dar. "Stammen sie von Jeremia, so sind sie zuerst Texte der Selbstverständigung des Propheten über sein Amt." (35) Mit dem Beitrag Die ,Königsspruch'-Sammlung im Jeremiabuch. Von der Anfangs- zur Endgestalt (37-58; 1990) zeichnet H. die Geschichte der Spruchsammlung nach (Sammlung jeremianischer Worte; erste dtr Bearbeitung; Redaktion zu Recht und Gerechtigkeit im Königtum; zweite dtr Bearbeitung; Endredaktion). Dabei problematisiert er einen flächig verwandten Begriff der Endgestalt. Vor uns haben wir mit dem "fertigen Produkt" eines, das "die deutlichen Spuren einer langen Geschichte" (58) aufweist. Zugleich warnt er vor zuviel exegetischem Scharfsinn, ein auch ansonsten charakteristischer Zug seines Forschens. Die langanhaltende Diskussion zu Kriterien ,wahrer' und ,falscher' Prophetie im Alten Testament vertieft der gleichnamige dritte Beitrag Zur Auslegung von Jeremia 23,16-22 und Jeremias 28,8-9* (59-76; 1995).

Gleich fünf Aufsätze widmen sich Jesaja und Deuterojesaja.

Mit dem Beitrag Zukunftserwartung und Gegenwartskritik in der Verkündigung Jesajas (81-104; 1973) beteiligt sich H. an einer in den 70er Jahren vehement geführten Diskussion zum Charakter der vorexilischen Ge- richtsprophetie. Beschränkt sich diese Untersuchung ganz auf Protojesaja, so nehmen die folgenden drei jeweils das gesamte Prophetenbuch in den Blick. Unter dem Titel Der verborgene Gott im Buch Jesaja (105-116; frz. 1994) geht H. der Rede von der Verborgenheit Gottes als einem Grundmotiv der Klage nach. Damit erschließen sich sowohl Bezüge innerhalb des Jes.-Buches als auch solche zu den Konfessionen Jeremias (der richtende Gott) und dem Hiobbuch (Gottes Zorn). Die eigene Sicht des Grundbestandes in Jes 40-55 und damit die formale und inhaltliche Struktur einer ersten Prophetenschrift "Deuterojesaja" entwerfen die Beiträge Jakob und Zion, Schöpfung und Heil. Zur Einheit der Theologie Deuterojesajas (117-131; 1990) und Einheit und Komplexität Deuterojesajas. Probleme der Redaktionsgeschichte von Jes 40-55 (132-157; 1989).

Im Unterschied zu neueren Arbeiten begründet H. darin die ursprüngliche Zusammengehörigkeit der Jakob/Israel anredenden Abschnitte in Kap. 40-48 und mit den an Zion/Jerusalem gerichteten Texten in Kap. 49ff. Der komplexe Grundbestand, der nach H. aus sechs Sammlungen besteht, wird nach 539 v. Chr. durch eine sogenannte qarob- oder Naherwartungsschicht ergänzt. Neben den Götzenbildertexten und kürzeren Zusätzen rechnet er nur noch die Gottesknechtslieder zu den ehemals selbständigen und wenige andere Abschnitte (44,5.28b; 48,1-11; 50,10; 52,3-6 sowie 48,22 und 50,11) zu den jüngeren Ergänzungen. Mit der formgeschichtlichen Studie zu den Diskussionsworte(n) bei Deuterojesaja (158-173; 1971) wurde der älteste Beitrag abgedruckt. Darin verneint H. die These, dass es sich bei dieser Klassifizierung um eine präzise definierbare Gattung handelt. Die Bezeichnung benenne eher die Funktion dieser Texte in der Auseinandersetzung mit den deuterojesajanischen Hörern. Sie spiegle im Sinne des Propheten "die Beurteilung der religiösen Lage seiner Hörer, somit zugleich seine Weise der theologischen Verantwortung des Jahweworts." (173)

In direkter Fortsetzung der Arbeiten zu Deuterojesaja stehen die Beiträge zum Gottesknecht.

Die erste mit dem Titel Der Lohn des Knechts (177-196; 1981) zeichnet die entsprechenden Abschnitte in den redaktionsgeschichtlichen Entwurf H.s ein. Im Spannungsfeld der kollektiven und individuellen Deutungen des Knechtes gelingt ihm eine profilierte Verankerung der Gestalt: "Der Knecht der Gottesknechtslieder ist Israel - aber Israel ist nicht der Knecht. Der Knecht ist vielmehr der Prophet ,Deuterojesaja', aber das ist nun in striktem Sinn weder eine ,autobiographische' noch eine ,individuelle' Deutung: Als Prophet hat er ein Amt, in dem er Israel vor Jahwe und Jahwe vor Israel und mit Israel vor der Welt vertritt." (176) Diesen Knecht sieht er als die verborgene Mitte der deuterojesajanischen Verkündigung an, die allerdings kein Teil der öffentlichen Botschaft war. Es handele sich bei den Gottesknechtsliedern "ein Stück weit ... um Texte der prophetischen Selbstverständigung" (177). Zuletzt weisen sie nach H. allerdings über den Propheten hinaus auf Jahwes geschichtliches Handeln an Israel und der Völkerwelt. Wir kennen diese Denkfigur aus der Arbeit zu den Konfessionen Jeremias. Ihre Problematik wurde anhand der jeremianischen Texte wiederholt diskutiert. Wenn auch derartig interne Klärungsprozesse nicht auszuschließen sind, so erklären sie doch kaum eine Verschriftung der für den Binnenraum gedachten Worte. Die skizzierte Deutungslinie wird in dem Beitrag Israel und der Gottesknecht bei Deuterojesaja (197-219; 1982) weiter ausgezogen. Nunmehr fragt er nach der deuterojesajanischen Knechtsgestalt außerhalb der Lieder und profiliert erneut den Gottesknecht Israel und den Knecht "Deuterojesaja" in ihrer wechselseitigen Bezogenheit. Eine eigene Auslegung erfährt Jes 52,13-53,12 im Rahmen dieser Gesamtsicht im Beitrag Das vierte Gottesknechtslied im deuterojesajanischen Kontext (220-240; 1996). Der Geist der exegetischen Bemühungen H.s wird in zwei Eingangsbemerkungen deutlich: "Erstens wird das historische wie das theologische Verständnis des großen Textes bis zum Jüngsten Tag umstritten bleiben. Zweitens wird man eine gänzlich neue historische Erklärung des Textes ... nur noch beibringen, wenn man sich auf das reich bestellte Feld der Absonderlichkeiten begeben will." (220) Dass damit kein Stillstand der Forschung impliziert ist, macht die nachfolgende Untersuchung und ihre methodische Einbindung deutlich: "Man muß also, um aus dem exegetischen Patt herauszukommen, erst einmal die Redaktionsgeschichte als Geschichte wechselnder Perspektiven ernst nehmen." (221) Dieser Aufgabe stellt sich H.

Der letzte Beitrag des Kapitels, Gottesknecht und Gottes Knechte. Zur älteren Deutung eines deuterojesajanischen Themas (241-266; 1996) reflektiert die Wirkungsgeschichte der Ebedgestalt im direkten Umfeld der deutero- und tritojesajanischen Abschnitte. Dazu werden Jes 51,4-8; 51,12-16; 49,7; 54,11-17 und Jes 61 herangezogen. Neben den einzelexegetischen Einsichten, die im Rahmen einer solchen Besprechung nicht vorzustellen sind, macht H. den Vorschlag, nicht die neuzeitlichen Begriffe von Exegese, Auslegung oder Deutung auf die den Gottesknechtsliedern nachfolgenden Texte anzuwenden, sondern sie als "Fortsetzungen" (264 f.) zu bezeichnen. Sie intendierten eine deutende Überführung ihrer Vorlagen in einen neuen Sinnhorizont. Dabei wird der nach H. komplexe Sinngehalt der Vorlage in der Geschichte der Rezeption verändert, es wird - "zumindest vorrangig - nur noch von Israel, nicht mehr von seiner prophetischen Repräsentation gesprochen" (266). Ob dieser Tatbestand auch Anlass für ein neues Nachdenken über eine ursprünglich begrenztere Bedeutung und Reichweite einer Prophetengestalt in den Grundschichten sein könnte, gibt der Rez. zu bedenken.

Mit drei Beiträgen zur Weisheit schließt der Band.

Zunächst unterscheidet H. drei Modelle Zur Schöpfungstheologie der Weisheit (269-285; 1978). In idealtypischer Abgrenzung sucht er solche in den Jahwe-Königs-Psalmen, in der Weisheit, in den weisheitlichen Schöpfungspsalmen sowie in der Priesterschrift auf. Dabei widerstreitet er der allzu schlichten These, nach der sich Schöpfungstheologie erst im Gefolge einer jüngeren Theologisierung in den frühjüdischen Weisheitstexten finde. In den späteren Beiträgen werde vielmehr expliziert, was die ältere Weisheit implizit voraussetze. Mit den Notizen zu Hiob (286-299; 1989) unternimmt H. es, thesenartig den Duktus der Hiobdichtung nachzuzeichnen. Der kundige Leser bekommt dabei in knapper Weise die unterschiedlichen poetischen Teile charakterisiert. Der Vf. streicht insbesondere die Bedeutung der Stichwort- und Themenbezüge heraus. Dem Charakter des gehaltvollen Beitrags entsprechend bleiben manche Begründungen nachzutragen. Unternimmt diese Studie einen Ausgriff in die Breite, so wendet sich die letzte ausschließlich dem 22. Kapitel des Hiobbuches zu. Von Gottes und Hiobs Nutzen. Zur Auslegung von Hi 22 (300-319; 1996). Darin zielt er auf eine einheitliche Lektüre des vorliegenden Kapitels. Ganz in Übereinstimmung mit neueren Versuchen zu den Problemen des dritten Redegangs (vgl. M. Witte, Vom Leiden zur Lehre, BZAW 230, Berlin und New York 1994) erkennt H. in Kap. 22 den ursprünglichen Abschluss der Freundesreden. Mit dem Rückgriff Eliphas auf Themen seiner ersten Rede schließe sich ein Kreis. Die Annahme, dass ein Teil des nunmehr dritten Redegang "noch aus der Werkstatt des Hiobdichters stammt" (268), erscheint zumindest fraglich. Ganz im Sinn seiner Überlegungen zu solch biographischen Konstruktionen in puncto Verfasserschaft bei den deuterojesajanischen Abschnitten relativiert H. selbst die Überlegungen.

Ein Bibelstellen- und Sachregister erschließen den gehaltvollen Band. Er stellt uns die Arbeiten eines Auslegers vor, der um die Zeitverhaftung und das hypothetische Wagnis seiner Beiträge weiß. Zugleich sind es immer wieder die Detailbeobachtungen, die bestechen und das von den Herausgebern vorgeschlagene Motto verständlich machen: "Das Wort nachsprechen" (V). Beides macht einem Exegeten und einem Theologen alle Ehre.