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Ausgabe:

Juli/August/2000

Spalte:

717 f

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

[Frey, Christofer]

Titel/Untertitel:

Konfliktfelder des Lebens. Theologische Studien zur Bioethik. Zum 60. Geburtstag des Verfassers hrsg. u. eingel. von P. Dabrock u. W. Maaser.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1998. 236 S. gr.8. Kart. DM 64,-. ISBN 3-525-58128-9.

Rezensent:

Hartmut Kreß

Der vorliegende Band enthält Aufsätze, die Christofer Frey in den Jahren 1993-1997 zu Grundlagen der theologischen Ethik und zu Einzelfragen der medizinischen Ethik oder Bioethik verfasst hat. Der Band wurde von den Herausgebern aus Anlass von Freys sechzigstem Geburtstag zusammengestellt. Der erste der insgesamt zehn Beiträge behandelt Möglichkeiten und Grenzen der Vernunftbegründung in der Ethik (33-48). F. legt unterschiedliche Aspekte von Vernunft sowie voneinander zu unterscheidende Ebenen des Begriffs ethischer "Begründung" dar (Begründen als Rückführung von Normen auf allgemeine Bestimmungsgründe, als lebensweltlich-soziale Legitimation, u.a.). Eine Begründung theologischer Ethik durch die bloße Deduktion von Normen aus Bibelbelegen wird zu Recht problematisiert. Statt dessen plädiert F. für ein dynamisches, lebenswelt- und realitätsbezogenes Verständnis von Normen, für eine "biblisch-theologische Perspektivierung von Normensystemen" (47) bzw. für eine evangelische Ethik auf der Grundlage christlich-anthropologischer Perspektiven. Aus der evan- gelischen Ethiktradition, insbesondere aus dem Bezug auf Bonhoeffer resultiert es, dass er ethische Urteilsfindungen nicht allein in der Logik rationaler Güterabwägungen versteht; sittliche Verantwortung wird vielmehr auch im Horizont von Schuld und Schuldübernahme gedeutet (125).

Eingehend widmet sich das Buch einem heute adäquaten Verständnis von Leben und Natur. Vor allem die aristotelisch-teleologische Sicht des Lebendigen und ihre neueren Aktualisierungen (etwa bei Jonas oder bei Spaemann) werden erörtert (85 ff.). Zur Position von Hans Jonas erfolgt eine kritische Stellungnahme; in seinem Werk seien die philosophisch unhaltbar gewordene aristotelische Teleologie in schwacher Version und ein unausgewiesener Essentialismus sowie Neovitalismus anzutreffen (z. B. 92 ff.). In anderer Hinsicht greift F. allerdings explizit auf Jonas zurück, und zwar darauf, dass dessen Konzeption ethischer Verantwortung das Phänomen der asymmetrisch strukturierten Verantwortung ins Licht gerückt hat. Eine solche Asymmetrie von Verantwortung hatte Jonas am Beispiel des Verhältnisses von Eltern und Kindern erläutert (114, 122). Die elterliche Verantwortung für Kinder ist für F. von Belang, wenn er die Frage aufwirft, ob Eltern ein "Recht" auf ein Kind besitzen. Ein überdehntes Recht auf ein eigenes Kind, in dessen Dienst sich die heutige Reproduktionsmedizin zu stellen hätte, wird von ihm bestritten; denn Kinder sind nicht als verfügbare Sache, sondern als eigene Personen zu betrachten (104).

Zu den Einzelfragen medizinischer Ethik, auf die der Aufsatzband eingeht, zählt sodann das Thema der Patientenautonomie bzw. des informed consent. Das Leitbild der Patientenautonomie, so wie es gegenwärtig stark diskutiert wird, soll den ärztlichen Paternalismus, der herkömmlich für die Rolle des Arztes gegenüber dem Patienten leitend war, ablösen. F. macht freilich auf die Vielschichtigkeit von "Freiheit" und "Autonomie" aufmerksam (Freiheit als bloße Wahl zwischen vorgegebenen Alternativen oder als tiefgreifende Selbstwahl, d. h. als bewusste Wahl einer fundamentalen Lebensorientierung [57 f.]). Konkret weist er auf das Dilemma hin, dass Patienten faktisch, aus physischen Gründen oder auf Grund psychischer Belastungen zu einer selbstbestimmten, freien Entscheidung oftmals gar nicht in der Lage sind. Da im Arzt-Patienten-Verhältnis der Arzt stets einen Informationsvorsprung besitzt, ist Patientenautonomie als eine vom Arzt "gestützte Autonomie" (59) zu interpretieren. - Ausgehend von der Einsicht, dass theologische Ethik stets an der Identität von Menschen interessiert sein soll ("Identitätsethik"), reflektiert F. ferner das gesellschaftlich und kirchlich strittige Thema der Homosexualität (153 ff.). Hierzu bringt er die Kategorie des sittlich Erlaubten, die zwischen dem Ver- und dem Gebotenen angesiedelt ist, ins Spiel (157 f.). Seinem Fazit, dass der Lebensführung gleichgeschlechtlich veranlagter Menschen verbesserte Gestaltungsmöglichkeiten zuzugestehen sind, kann nur zugestimmt werden. Die Debatte, die inzwischen auch in Deutschland zur rechtlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften eingesetzt hat, spielt in F.s aus dem Jahr 1994 stammendem Beitrag freilich noch keine Rolle.

Orientiert an der Personwürde, der Wahrung ganzheitlicher personaler Identität und der Leitidee verantwortlicher Lebensführung werden noch weitere Themen angesprochen: das Leben im Alter (161-176), Organtransplantation (177-196) und Sterbehilfe (197-210). Insgesamt leitet das Buch dazu an, ethische Urteile aus der Perspektive eines evangelischen Verständnisses von menschlichem Leben sowie auf der Basis philosophisch geschärfter, methodisch geklärter Begriffsanalysen vorzunehmen.