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Ausgabe:

September/2023

Spalte:

896-908

Kategorie:

Literatur- und Forschungsberichte

Autor/Hrsg.:

Heinrich Holze

Titel/Untertitel:

Neues aus den »Sources Chrétiennes«*

In den zurückliegenden Jahren sind in den Sources chrétiennes zahlreiche wichtige Titel der Kirchen- und Theologiegeschichte erschienen. Sie umspannen den Zeitraum eines Jahrtausends und reichen vom frühen 3. Jh. bis ins späte 12. Jh. Die Sources Chrétiennes erweisen sich damit erneut als eine bedeutsame Quellenreihe zur Erschließung christlicher Literatur aus patristischer und mediävistischer Zeit.

I Ägypten



Wir beginnen den Bericht mit Klemens von Alexandrien, einem der wichtigsten und inspirierendsten Autoren der frühchristlichen Theologiegeschichte. Klemens, dessen Lebensweg nur in Grundlinien nachgezeichnet werden kann, wirkte an der Wende zum 3. Jh. als freier christlicher Lehrer in Alexandrien. Wie kein anderer vor ihm führte er das Gespräch mit den philosophischen Traditionen der Antike. In seinen Schriften entwirft Klemens einen aufwärtsweisenden Erkenntnisweg, der zur christlichen Gnosis führt. Von zentraler Bedeutung sind die Stromata, von denen in den Sources Chrétiennes bereits mehrere Bücher vorliegen. Nach antikem Vorbild verbindet Klemens unterschiedliche Themen wie Fäden eines Teppichs locker miteinander. Er schreibt über den Nutzen der griechischen Kultur für Christen, entfaltet Gedanken zu Glaube, Buße und Tugenden, äußert sich zu Martyrium und Askese, entwickelt Überlegungen zur Schriftauslegung und beschreibt den Christen als den wahren Gnostiker. Von den in gnostischen Kreisen verbreiteten asketischen Tendenzen setzt sich Klemens jedoch nachdrücklich ab. Anknüpfend an Überlegungen, die er im zweiten Buch des Paidagogus entfaltet hatte, kritisiert Klemens im dritten Buch der Stromata, das in dem hier vorzustellenden Band abgedruckt ist, den asketischen Rigorismus der Valentinianer, der Karpokratianer und der Marcioniten ebenso wie die Leibfeindlichkeit Platos und anderer griechischer Philosophen.1 Ihnen gegenüber verteidigt er die Ehe als die den Christen gebotene Lebensform und begründet seine Auffassung mit Aussagen des Neuen Testaments, die er auf der Basis seiner Logoslehre auslegt. Der griechische Text der Stromata ist der kritischen Edition in GCS 52 (Berlin 4. Aufl. 1985), die von Otto Stählin und Ludwig Früchtel herausgegeben wurde, entnommen. Alain Le Boulluec und Patrick Descourtieux, die in den Sources Chrétiennes bereits mehrere Schriften von Klemens veröffentlicht haben, haben den griechischen Text erneut durchgesehen, ihm eine Einführung vorangestellt sowie Register angehängt. Die französische Übersetzung wurde von Marcel Caster angefertigt. Zusammen mit den bereits vorliegenden Büchern I–II und IV–VII ist damit das Projekt der (Neu-)Edition der Stromata in den Sources Chrétiennes abgeschlossen.

Ein Jahrhundert nach Klemens stellt sich die theologische Landschaft in Alexandrien völlig verändert dar. Neue Strömungen haben sich zu Wort gemeldet, zugleich ist eine normative Orthodoxie entstanden, die sich von häretischen Strömungen abgrenzt. In den dreißiger und vierziger Jahren des 4. Jh.s verfasst Athanasius, streitbarer, aber auch umstrittener Bischof der ägyptischen Hafenstadt, seine großen Traktate gegen die Arianer.2 Diese bieten nicht nur Einblicke in sein theologisches Denken, sondern auch in die trinitarischen Debatten der Zeit. Auslöser der Konflikte ist Arius, Presbyter an der Baukaliskirche, der in seinen Predigten die Auffassung vertritt, dass der Sohn Gottes als Erstling der Schöpfung Gottes zwar von herausragender Bedeutung, aber eben nicht gleichen Wesens mit dem Vater, sondern durch einen Willensakt des Vaters ins Leben gerufen worden sei. Athanasius kritisiert vehement diese von platonischem Denken geprägten Aussagen des Arius. In drei Traktaten entfaltet er seine Gegenargumente, die im wesentlichen eine Auslegung der Lehrentscheidungen von Nizäa bieten und ihn damit zu einem der einflussreichsten Interpreten des auf dem Konzil angenommenen Bekenntnisses werden lassen. Zugleich setzt er sich kritisch mit den Argumenten von Arius und seinen Anhängern auseinander und widerlegt ihre Deutung biblischer Textstellen wie Proverbia 8,22. Im ersten Traktat entfaltet Athanasius vier Aspekte des christologisch-soteriologischen Themenfeldes: das ewige Wesen des Sohnes, die Zeugung aus Gott, die Unveränderlichkeit des Sohnes, die Stellung des Sohnes im Heilsplan Gottes. Im zweiten Traktat führt er diese Themen weiter und äußert sich zur Rolle des Sohnes Gottes bei der Schöpfung der Welt sowie seine Stellung im göttlichen Heilsgeheimnis. Der dritte Traktat schließlich lenkt den Blick auf die Inkarnation des göttlichen Logos und auf den Zusammenhang zwischen der Wesenseinheit von Vater und Sohn und der Einheit der Christen in der Kirche. In allen Traktaten zitiert Athanasius seinen Gegner und legt ihm zahlreiche Begriffe und Formulierungen in den Mund, was es ermöglicht, die Argumentation des Arius, dessen Schriften weitgehend verloren sind, jedenfalls teilweise zu rekonstruieren. Der griechische Text wurde der von K. Metzler und K. Savvidis herausgegebenen kritischen Werkausgabe (Athanasius Werke I/1) entnommen. Die französische Übersetzung hat der französisch-kanadische Patristiker Charles Kannengießer, ein ausgewiesener Kenner der Schriften des Athanasius, angefertigt. Die Einführung wurde von Lucian Dîncă, Professor an der katholischen Universität von Bukarest und Autor einer Monographie über die Christologie des Athanasius, geschrieben.

In der Mitte des Jahrhunderts war der arianische Streit zwar abgeklungen, für Athanasius aber hatte er in den theologischen Positionen der Homöer, die eine vom Nizänum abweichende Christologie vertraten, eine Fortsetzung gefunden. Durch Kaiser Konstantius, dessen Religionspolitik die Homöer favorisierte, hatte sich die Lage zusätzlich verschärft. Athanasius wurde gezwungen, ins Exil zu gehen, konnte aber unter Kaiser Julian wieder auf seinen alexandrinischen Bischofssitz zurückkehren. Auf einer Synode (362) rechnete er mit seinen Gegnern, insbesondere den Anhängern des Meletius von Antiochien, ab.3 In dem theologischen Streit stand Athanasius zufolge nicht weniger als die Erlösung des Menschen und mit ihr die Einheit der Kirche auf dem Spiel. In einem großen Traktat, gerichtet an das bischöfliche Kollegium, verteidigt er die volle Gültigkeit des nizänischen Bekenntnisses. Darüber hinaus entwickelt er weitreichende Gedanken zur trinitarischen Hypostasenlehre, zur Inkarnation des Erlösers sowie zur gleichrangigen Stellung des Heiligen Geistes, die für die Rezeption des Nizänums in der zweiten Hälfte des 4. Jh.s wegweisend werden sollten. Die Herausgeber haben dem Traktat drei Briefe zur Seite gestellt, in denen Athanasius seine Argumentation zur Verteidigung des Glaubensbekenntnisses von Nizäa verteidigt. In dem Brief an Rufinus (362) beantwortet Athanasius die von jenem aufgeworfene Frage, ob Geistliche, die eine homöische Bekenntnisformel unterschrieben haben, in die Kirche zurückkehren dürfen. Im Brief an den römischen Kaiser Jovinianus (363), der in Abkehr von seinem Vorgänger Julian zu einer aktiven Kirchenpolitik zurückgekehrt war, begründet der alexandrinische Patriarch, warum vom Nizänum als einem Ausdruck des wahren Glaubens der Kirche nicht abgewichen werden dürfe. Der Brief an die afrikanischen Bischöfe, geschrieben 371, ist einer der letzten, die Athanasius auf den Weg gebracht hat, um für seine Deutung des Nizänums zu werben. Den genannten Texten liegt die von H. C. Brennecke, U. Heil, C. Müller, A. von Stockhausen und A. Wintjes erstellte kritische Werkausgabe (Athanasius Werke II,8 und III,1,4) zugrunde. Die einführenden Kommentare, die Register sowie die Übersetzungen wurden von Annick Martin, Althistorikerin an der Universität Rennes, und Xavier Morales, Mitarbeiter an der Päpstlichen Universität Santiago de Chile, die mehrere Monographien zur Theologie des Athanasius vorgelegt haben, erstellt.

Aus dem umfangreichen Schrifttum, das Cyrill von Alexandrien († 444), der einflussreiche, aber umstrittene Vertreter alexandrinischer Theologie, hinterlassen hat, hebt sich sein apologetisches Werk heraus. In den späten Lebensjahren, als ihn der Nestorianische Streit nicht mehr vordringlich beschäftigte, schrieb Cyrill eine große Widerlegung der antichristlichen Schrift des römischen Kaisers Julian »Adversus Galilaeos«.4 Kaiser Julian, der in der Mitte des 4. Jh.s durch seine Zurückhaltung in kirchenpolitischen Fragen indirekt zum Wiedererstarken der Nizäner beigetragen hatte, war und blieb doch für die Christen der Inbegriff einer christenfeindlichen Grundhaltung, weil er sich nicht nur als Anhänger der römischen Religion bekannte, sondern heftige Angriffe auf den christlichen Glauben damit verband. Seine polemische Streitschrift, die seine Gegner veranlasste, ihm den Beinamen »Apostata«, »der Abtrünnige«, zu geben, ist verloren, sie lässt sich aber durch die umfangreiche Gegenschrift Cyrills, die der Alexandriner fast einhundert Jahre später verfasst hat, teilweise rekonstruieren. Von den insgesamt 30 Kapiteln sind nur zehn erhalten geblieben und von diesen wiederum sind in den Sources Chrétiennes bislang die ersten fünf unter der Herausgeberschaft von Paul Burguière und Pierre Évieux veröffentlicht worden (SC 322/582). Julian beschuldigt in seiner Schrift die Christen moralischer Dekadenz, wirft ihnen Atheismus vor und hält ihnen den wahren Gottesglauben der griechischen Philosophen entgegen. Cyrill weist diese Gedanken vehement zurück, er nimmt sie darüber hinaus zum Anlass, seine Deutung der trinitarischen Theologie auf der Basis der biblischen Schriften und in Auseinandersetzung mit den philosophischen Traditionen zu entfalten. Der hier vorzustellende Band enthält die Bücher VIII und IX, in denen Cyrill die Christen gegen den Vor-wurf verteidigt, sie würden sich zur Begründung ihres Glaubens zu Unrecht auf die jüdische Tradition beziehen. Am Beispiel von Genesis 6 und Leviticus 16 demonstriert Cyrill, dass die Christen die Schriften der Tora mit vollem Recht aufgreifen, freilich nicht in einem wörtlichen, sondern in einem allegorischen Sinn, der die fortwährende Bedeutung für die Christen erschließt. Der griechische Text ist der von Wolfram Kinzig und Thomas Brüggemann in GCS.NF 21 vorgelegten kritischen Edition entnommen. Marie-Odile Boulnois, Direktorin an der École Pratique des Hautes Études (EPHE), die mehrere Untersuchungen zu Cyrill vorgelegt hat, hat der Edition eine ausführliche Einleitung zur Seite gestellt, in der sie die trinitarische Argumentation Cyrills darlegt sowie die von dem Alexandriner herangezogenen Texte der philosophischen Tradition interpretiert. Die gemeinsam mit Jean Bouffartigue († 2013), Gräzist an der Universität Paris Ouest Nanterre La Défense, erarbeitete französische Übersetzung rundet den vorliegenden Band ab.

Wenige Jahrzehnte vor Cyrill lebte Evagrius Pontikus. Sein Lebensweg hatte ihn von Konstantinopel, wo er von Gregor von Nazianz zum Diakon geweiht und später als Prediger gewirkt hatte, zu den Einsiedlern ins Wadi Natrun nicht fern von Alexandria geführt. Unberührt von politischen und kirchlichen Konflikten widmete er sich in der Abgeschiedenheit der Wüste Themen der Schriftauslegung und des monastischen Lebens. Von seinen Werken liegen in den Sources Chrétiennes bereits mehrere Schriften vor, darunter die Kommentare zu den Proverbien (SC 340) und dem Prediger Salomo (SC 397), der Monachikos (SC 170/171/356) sowie geistliche Texte (SC 438.589.591, vgl. ThLZ 105, 1980, 619/20; 119, 1994, 953 ff., 144, 2019, 1067–1078). Mit den beiden anzuzeigenden Bänden sind nun auch seine Scholien zu den Psalmen, die erst Ende der 1950er Jahre entdeckt wurden, in einer textkritischen Edition vollständig verfügbar.5 Da eigenständige Textzeugen nicht mehr existieren, wurden die Scholien aus der Katenenüberlieferung und dem pseudepigraphischen Schrifttum, wo sie teilweise anderen Autoren wie Origenes zugeschrieben werden, erschlossen und von Marie-Josèphe Rondeau, Professorin an der Universität von Caen, in Zusammenarbeit mit Paul Géhin und Matthieu Cassin, Forschungsdozenten am Centre National de la Recherche Scientifique in Paris, zu einem Gesamttext zusammengefügt. Im exegetischen Œuvre des Evagrius nimmt die Psalmenauslegung nicht nur wegen ihres Umfangs, sondern auch wegen ihres geistlichen und theologischen Gehalts einen besonderen Rang ein. Wie die Herausgeber in der Einleitung betonen, wendet sich Evagrius mit seiner Auslegung an die Gläubigen, denen er den zur Erkenntnis Gottes und zum Gotteslob führenden Weg des Glaubens aufzeigt. Zugleich entfaltet er eine geistliche Gesamtschau, die die gesamte Schöpfung in den Blick nimmt und die zentrale Stellung Christi in Gottes Heilswerk unterstreicht. Evagrius behandelt in seiner Auslegung alle Psalmen, freilich bietet er keine Auslegung des gesamten Textbestandes, sondern wählt Verse und Worte aus und deutet diese wie sein Vorbild Origenes auf ihren geistlichen Schriftsinn hin. Seine Auslegung lässt erkennen, wie umfassend die Kenntnis des Psalters unter den ägyptischen Mönchen gewesen ist. Aus den Apophthegmata wissen wir, dass die Psalmen unablässig in den täglichen Gebeten gesprochen wurden. Diese intime Kenntnis des Psalters zeigt sich auch bei Evagrius, dessen Auslegung damit einen tiefen Einblick in die geistliche Lebenswelt der ägyptischen Eremiten bietet. Dass mit dieser Edition der Sources Chrétiennes erstmals der gesamte Bestand der Psalmenauslegung des Evagrius in einer kritischen Ausgabe sowie einer französischen Übersetzung verfügbar ist, wird der Psalmenforschung ebenso wie der Rekonstruktion altkirchlicher Theologiegeschichte wichtige Anstöße vermitteln können.

II Kleinasien



Von Gregor von Nyssa († 394) ist die Edition des ersten Bandes von insgesamt drei Bänden seiner Homilien über das Hohelied anzuzeigen, die den in den Sources Chrétiennes bereits vorliegenden Schriften des Nysseners zur Seite treten.6 Die fünf Homilien, die der erste Band von insgesamt drei Bänden enthält, gehören zusammen mit der »Vita Moysis« (SC 1bis) zu den letzten Schriften, die Gregor geschrieben hat. Sie sind eines der bedeutendsten Zeugnisse der altkirchlichen homiletischen Literatur. Gregor hat sie einer gewissen Olympias, einer in den gehobenen Kreisen Konstantinopels verkehrenden Witwe, gewidmet. Sie sei durch ihre asketische Lebenspraxis ein Vorbild für die geistliche Dimension des christlichen Lebens geworden. Die Homilien, die in den späten 380er Jahren zunächst in Gottesdiensten vorgetragen und offenbar erst nach längerer Überarbeitung aufgezeichnet wurden, weisen eine gleichbleibende Struktur auf. Beginnend mit einer Vorrede, in der sich der Prediger an die Gemeinde wendet, stellt Gregor in jeder seiner Predigten einen kurzen Abschnitt des Hohenliedes in den Mittelpunkt seiner geistlichen Auslegung, die er Vers für Vers entfaltet, wobei er die Personen des Hohenliedes typologisch auf den Logos Christus und die Gemeinschaft der Kirche hin deutet. Inhaltlich entwickelt der Nyssener eine Spiritualität, die in der Metaphorik des Weges das Verhältnis der Gläubigen zu Gott in Bildern der Sehnsucht, des Verlangens und der liebenden Hinwendung beschreibt. Die Reinigung von Leidenschaften und Affekten bildet den Beginn eines geistlichen Weges, auf dem die Seele von den weltlichen Bindungen befreit und durch den Heiligen Geist zur Schau Gottes geführt wird. Gregor legt mit seinen Gedanken, die an origenistische Vorstellungen anknüpfen, die Grundlagen einer christlichen Brautmystik, die bis weit in das Mittelalter und darüber hinaus gewirkt hat. Die Herausgeberin Mariette Canévet, Patristikerin an der Universität Marc-Bloch in Strasbourg, hat den Text der in den Gregorii Nysseni Opera von H. Langerbeck herausgegebenen kritischen Edition (GNO VI) durchgesehen und ihm eine zusammen mit der Literaturhistorikerin Françoise Vinel erarbeitete französische Übersetzung zur Seite gestellt. Eine kontextualisierende und theologisch interpretierende Einführung sowie ein Bibelstellenregister runden die vorliegende Ausgabe ab.

Auf der Schwelle zwischen der Alten Kirche und dem Christentum des frühen lateinischen Mittelalters stehen Leben und Werk des Hilarius von Poitiers. Weil er durch seine Kritik an der den Arianismus begünstigenden Kirchenpolitik Kaiser Konstantius herausgefordert hatte, wurde er zwischen 356 und 359 aus seiner gallischen Heimat nach Kleinasien verbannt. Der Aufenthalt in der Fremde wurde für Hilarius zu einer theologisch und literarisch fruchtbaren Zeit. Er setzte sich mit den Entwicklungen in Dogma und Lehre der nachnizänischen Periode auseinander und entfaltete in seiner großen Schrift »De trinitate« (SC 443, 448, 462) sein theologisches Denkmodell. An der Jahreswende 358/359 wandte er sich direkt an seine gallischen Bischofskollegen. Offenbar hatten sie ihm geschrieben und um Auskunft über die theologischen Entwicklungen in den östlichen Kirchen gebeten. In seinem »Brief über die Synoden« antwortet er ihnen und bietet einen materialreichen Einblick in die Lehrentwicklungen der nachnizänischen Periode.7 Der insgesamt 92 Abschnitte umfassende Brief, der als ein theologischer Traktat bezeichnet werden kann, enthält zahlreiche Lehrtexte, Glaubensformeln und Bekenntnisse, u. a. der Synoden von Antiochien, Serdika und Sirmium. Hilarius stellt sie vor und verbindet mit ihnen ein theologisches Urteil. Dabei lässt er an seinem eigenen theologischen Standpunkt keinen Zweifel aufkommen. Mit aller Kraft verteidigt er das nizänische Dogma der Wesensgleichheit von Vater und Sohn. Zugleich aber ist er darum bemüht, seinen lateinischen Lesern die vom griechischen Denken geprägten Lehrdebatten nahezubringen, wie sich an der lateinischen Übersetzung des nizänischen Glaubensbekenntnisses zeigt. Sein »Brief« ist insofern ein bedeutsames Zeugnis für die Vermittlung östlicher Theologie an die westlichen Kirchen, die noch auf der Suche nach ihrem eigenen theologischen Profil waren. Herausgeber und Kommentator dieses wichtigen Textes, der bislang in keiner kritischen Edition vorlag, ist der an der Theologischen Hochschule in Chur lehrende Patristiker Michael Durst, der mehrere Untersuchungen zur Theologie des Hilarius und zur Dogmengeschichte des 4. Jh.s vorgelegt hat. Die französische Übersetzung wurde von André Rocher, Theologe in der Diözese Poitiers, angefertigt.

Hilarius wurde nach der Rückkehr aus dem kleinasiatischen Exil nicht nur als theologischer Gelehrter geschätzt, der die östliche Trinitätstheologie dem lateinischen Denken zu vermitteln vermochte. In seiner gallischen Heimat genoss er vor allem als Prediger große Anerkennung. Ein Zeugnis davon gibt der »Tractatus super Psalmos«, der vermutlich aus Homilien hervorgegangen ist, die Hilarius als Bischof von Poitiers gehalten hat. Die vorliegenden drei Bände, die die Auslegung der Psalmen 62–69, 91 und 119–126 enthalten, beruhen auf der kritischen Edition von Jean Doignon (CChr.SL 61, Tournhout 1997).8 Patrick Descourtieux, Leiter der Abteilung »Tradition« an der Päpstlichen Glaubenskongregation in Rom, hat den Text übersetzt und eine Einführung geschrieben, die den Psalmentraktat theologiegeschichtlich einordnet. Demnach liegt die Bedeutung dieses Traktats vor allem darin, dass es sich um den ersten lateinischen Psalmenkommentar handelt. Hilarius selbst nennt keine Vorbilder, er erhebt vielmehr den Anspruch, die Schrift allein aus sich selbst und damit durch Christus auslegen zu wollen. Der Herausgeber weist jedoch nach, dass Hilarius in der Entfaltung seiner Methode durchaus an Vorbilder anknüpft, insbesondere an Origenes. Die großen Themen des alexandrinischen Theologen klingen auch bei Hilarius an und sie finden durch seinen Traktat Eingang in das lateinische Denken: Die Stellung des Menschen in der Welt, die Willensfreiheit, die Hinwendung zu Gott im Gebet, das Streben nach geistlicher Vollendung, das sakramentale Leben der Kirche, der trinitarische Gott als Ursprung und Ziel der Heilsgeschichte. Wie die Theologiegeschichte zeigt, hat der Psalmentraktat des Hilarius weitreichende Fernwirkungen entfaltet. Die Rezeption reicht von Hieronymus und Augustin über Cassiodor und Alkuin bis hin zu Hinkmar von Reims und Petrus Lombardus. Damit erweist sich Hilarius auch in seiner Psalmenauslegung als ein Mittler zwischen östlicher und westlicher Theologie.

III Karthago



Auch der folgenden Schrift geht es darum, den lateinischen Lesern die theologische Denkwelt der östlichen Kirchen zu vermitteln und nahezubringen. Es handelt sich um das Breviarium des Liberatus von Karthago, das in der Mitte des 6. Jh.s entstanden ist. Darin bietet Liberatus, Archidiakon im nordafrikanischen Karthago, eine eingehende Darstellung der christologischen Kontroversen.9 Liberatus eröffnet seine Darstellung mit zwei Theologen des 3. und 4. Jh.s: Paul von Samosata und Apollinaris von Laodicea. Er bezeichnet sie als Vorläufer des Nestorius bzw. des Eutyches und benennt damit die Hauptprotagonisten, denen im weiteren seine Aufmerksamkeit gilt. Zunächst schildert Liberatus Leben und Lehre des Nestorius sowie dessen Verurteilung auf dem Konzil von Ephesus. Sodann wendet er den Blick zu Cyrill von Alexandrien, charakterisiert dessen theologischen Ansatz sowie sein Werben um die orientalischen Bischöfe. Im weiteren Verlauf des Breviariums werden die Konflikte zwischen den Anhängern des Nestorius und armenischen Mönchen sowie die Radikalisierung der alexandrinischen Position bei Eutyches von Konstantinopel und Dioskur von Alexandrien thematisiert. Ausführlich schildert Liberatus den Versuch eines Ausgleichs der gegensätzlichen Positionen auf dem Konzil von Chalzedon. Den Abschluss seiner Darstellung bilden die im Anschluss an das Konzil erneut aufbrechenden Lehrkonflikte, die erst mit dem Edikt Kaiser Justinians gegen die ›Drei Kapitel‹ zugunsten der Alexandriner beendet werden. Nach dem Vorbild eusebianischer Geschichtsschreibung bietet Liberatus eine Fülle von Informationen über politische und kirchliche Geschehnisse, er charakterisiert die handelnden Personen, die Kaiser, Bischöfe und Theologen, er zitiert und kommentiert Lehrtexte, Bekenntnisse und Dekrete. Dabei verschweigt Liberatus seinen eigenen Standpunkt nicht. Aus der Perspektive lateinischer Theologie schildert er die Auseinandersetzungen der östlichen Kirchen und ergreift wenige Jahre nach dem Konzil von Chalzedon Partei für die dort verabschiedete christologische Lehrformel. Dabei fällt auf, dass er eine Mittelposition einzunehmen versucht, insofern er die wegen ihrer Nähe zu Nestorius verurteilten Theologen, die sog. Drei Kapitel, durchaus wohlwollend schildert, zugleich aber auch darum bemüht ist, die cyrillische Deutung der Christologie zu verstehen. Insgesamt bietet das Breviarium nicht nur einen lebendigen Einblick in eine der spannendsten Zeiten der altkirchlichen Theologiegeschichte. Es zeigt auch, wie das Ringen um die rechte Lehre im lateinischen Westen gesehen und gedeutet wurde. Dem Herausgeber Philippe Blaudeau, Althistoriker an der Universität von Angers, ist zu danken, dass dieser wichtige Text, der von Eduard Schwartz bereits 1936 in den Acta conciliorum oecumenicorum (ACO II,5) in einer kritischen Edition herausgegeben wurde, nunmehr in einer kommentierten und mit kundiger Einführung versehenen französischen Übersetzung vorliegt.

Aus der Frühzeit der lateinischen Theologie stammt Tertullians Traktat »Über die Seele«.10 Mit 58 Kapiteln gehört dieser Traktat, der um 210 zusammen mit anderen theologischen Schriften entstanden ist, zu den umfangreichsten Werken des aus Karthago stammenden Rhetors. Tertullian verarbeitet darin Gedanken der antiken Philosophie, insbesondere des Stoizismus, vor allem aber der jüdisch-christlichen Tradition, der Hl. Schrift und der Regula fidei. Sein Hauptanliegen ist die kritische Auseinandersetzung mit den Gnostikern, denen er häretische Vorstellungen von der Präexistenz der Seele und der Seelenwanderung vorwirft. In Abgrenzung von ihnen beschreibt er in mehreren Abschnitten das Wesen der Seele und greift dazu auch auf medizinische und psychologische Ansätze seiner Zeit zurück. Den Anfang bilden Überlegungen zur Natur der Seele, ihren Eigenschaften und ihren Funktionen. Gedanken zum Ursprung der Seele und zur Inkarnation schließen sich an, gefolgt von Erwägungen zum Verhältnis der Seele zu Sünde und Tod der Menschen. Den Abschluss bilden Gedanken zur Eschatologie, zum Verbleib der Seele nach dem Tod und zur Auferstehung. Der Traktat entfaltet ein weites Themenspektrum. Tertullian beleuchtet mit seinen Erwägungen nicht nur die antike Diskussion über die Seele, sondern bietet auch Anstöße für aktuelle Überlegungen zu Tod und Ewigkeit. Der lateinische Text lag bislang in zwei Editionen vor, der von G. Wissowa/A. Reifferscheid (CSEL 20, 1890) und der von J. H. Waszink (CCSL 2, 1954). In den letzten Jahrzehnten wurden aber mehrere neue Manuskripte entdeckt, die von Jerónimo Leal, Kirchenhistoriker an der Universität Santa Croce sowie am Institutum Patristicum Augustinianum in Rom, in die vorliegende Edition einbezogen werden konnten. Auch wenn die Abweichungen gegenüber den bisherigen Ausgaben begrenzt sind, liegt doch jetzt eine Textausgabe von De anima vor, die höchsten editorischen Ansprüchen genügt und zusammen mit der von Paul Mattei, Literaturhistoriker in Lyon, erstellten französischen Übersetzung die Beschäftigung mit diesem wichtigen Text der frühchristlichen Literaturgeschichte auf eine neue Grundlage stellt.

Aus dem späten 3. und frühen 4. Jh. stammen Märtyrerakten und Passionsberichte, die bislang an unterschiedlichen Stellen vorlagen und jetzt erstmals in einem Band veröffentlicht werden.11 Gemeinsam ist ihnen, dass es sich durchweg um Martyrien römischer Soldaten handelt. Die Berichte lenken damit den Blick auf einen zwar nicht unbekannten, aber insgesamt doch wenig beachteten Aspekt der frühchristlichen Sozialgeschichte, zu der eben auch der Berufsstand der Soldaten gehörte. Die Martyrien stehen im zeitlichen Kontext der Diokletianischen Verfolgung, als die Suche nach Christen auch im römischen Heer intensiviert wurde. Die Berichte, die in der vorliegenden Ausgabe versammelt sind, handeln von fünf Soldaten unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlichen Alters und Dienstgrades. Was sie eint, ist, dass sie aufgrund ihres christlichen Glaubens einen Punkt erreicht haben, an dem sie sich den Befehlen ihrer Vorgesetzten verweigern. Sie alle werden deswegen, so wird berichtet, zum Tode verurteilt und hingerichtet. Inhaltlich stehen die Berichte in einer thematischen Linie, die Tertullian mit seiner Schrift »De corona« vorgezeichnet hat, das heißt, sie beschreiben ihre Helden mit den literarischen Mitteln der hagiographischen Tradition, wobei gleichzeitig die rechtlichen Zusammenhänge und gerichtlichen Verfahren präzise dargestellt werden. Dabei werden nicht nur das alltägliche Leben und die geistliche Haltung der Christen thematisiert, sondern auch das konfliktreiche Verhältnis des römischen Staates zum Christentum. Es zeigt sich, warum die im Kaiserkult zum Ausdruck kommende Religion des Imperiums mit dem Glauben der Christen nicht vereinbar war und warum der Konflikt nur durch eine grundsätzliche Neuorientierung des Reichs, wie sie Konstantin vornehmen sollte, aufgehoben werden konnte. Die vorliegende Ausgabe wurde von Juri Leoni, Mitglied des Collegium Santi Bonaventurae und Patristiker an der Pontificia Universitas Antonianum in Rom, erarbeitet. Das betrifft sowohl die Textgrundlage, die durchweg unter Heranziehung vorhandener Editionen durchgesehen, überarbeitet und vereinheitlicht wurde, als auch die kundige Einführung, welche die Märtyrerberichte kontextualisiert und theologisch interpretiert. Die Übersetzung geht auf Paul Mattei, Latinist an der Universität Lumière-Lyon, zurück.

In das nördliche Gallien des frühen 5. Jh.s führt das Leben der heiligen Genoveva.12 Die Christenverfolgungen gehören zu dieser Zeit der Vergangenheit an, gleichwohl ist das Leben von politischen Umbrüchen und ihren Folgen für das alltägliche Leben geprägt: vom Rückzug der römischen Herrscher und dem Aufstieg Burgunds als neuer Königsmacht. Genoveva beschließt in dieser Zeit, in der sich das Christentum gesellschaftlich zu etablieren beginnt, veranlasst durch die Predigt des Bischofs von Auxerre, ihre bisherige Lebensweise aufzugeben und sich der Entsagung, dem Gebet und dem Dienst am Nächsten zuzuwenden. Der Lebensalltag der Menschen ist vielen Gefährdungen ausgesetzt: die Angriffe der Hunnen, das nasse Klima, die Ernteausfälle, die Kindersterblichkeit. Vor diesem dunklen Hintergrund lässt die Vita die Kraft des Gebetes und des Christusglaubens, mit dem Genoveva den Widrigkeiten des Lebens entgegentritt, um so heller aufscheinen. So habe Genoveva nicht nur zahlreiche Wunder und Krankenheilungen gewirkt, sondern durch ihr Gebet die Stadt Paris vor den Angriffen der Hunnen bewahrt, weswegen sie nach ihrem Tod Anfang 6. Jh. zur Schutzpatronin der Stadt erhoben wurde. Die Faszination ihrer Heiligkeit war so groß, dass eine erste, in gepflegter lateinischer Sprache geschriebene Vita, die kurze Zeit nach dem Tod der Genoveva von einem unbekannten Biographen bzw. einer unbekannten Autorin geschrieben wurde, bis zum 9. Jh. mehrere Neubearbeitungen gefunden hat. Die Herausgeberin der vorliegenden Edition, die an der Universität von Lyon lehrende Mediävistin Marie-Céline Isaïa, veröffentlicht in der vorliegenden Ausgabe drei Fassungen dieser Vita, welche die Stufen der literarischen Rezeption nachzeichnen. Die erste Fassung (A) ist, wie in der Einführung ausgeführt wird, von einer Person geschrieben worden, die Genoveva noch persönlich gekannt hat. Die zweite Fassung (C), die mehrere Jahrzehnte später entstanden ist, betont die Heiligkeit der Genoveva, verzichtet aber auf die Erwähnung von nach dem Tod erfolgten Wundern. Die dritte Fassung (E), die erst im späten 9. Jh. entstanden ist, bezeugt die Heiligenverehrung in der karolingischen Zeit. Zusammen mit der von der Literaturwissenschaftlerin Florence Bret erstellten französischen Übersetzung bietet die vorliegende Edition damit einen erhellenden Einblick in die Entwicklung der lateinischen Hagiographie in der frühmittelalterlichen Kirche zwischen dem frühen 6. und späten 9. Jh.

Ein bislang unbekannter und in den Sources Chrétiennes erstmals edierter Text trägt den Titel Buch des Bischofs Timotheus über Ostern.13 Es handelt sich dabei um einen ursprünglich in griechischer Sprache geschriebenen bischöflichen Hirtenbrief, der von einem unbekannten Übersetzer ins Lateinische übertragen wurde. Darin wendet sich ein gewisser Bischof Timotheus, dessen Identität nicht näher bestimmt werden kann, an seine Gemeinde, die an der Südküste Kleinasiens gelegen haben könnte. Der Verfasser, bei dem es sich möglicherweise um den gleichnamigen Bischof von Cybistra handelt, schildert die in den orientalischen Kirchen entstandenen Kontroversen um die Datierung des Osterfestes in der Alten Kirche. Dieser Brief liegt nur in einem einzigen Manuskript aus der Mitte des 9. Jh. vor, allerdings lassen sich in mehreren Schriften des 4. und 5. Jh.s Auszüge aus diesem Text erkennen, etwa im zweiten Kapitel des Augustin zugeschriebenen Liber sententiarum. Daraus lässt sich schließen, dass die Schrift des Timotheus vermutlich im Ausgang des 3. und Anfang des 4. Jh.s in zeitlicher Nähe zu den im Text erwähnten Ereignissen und vermutlich in Anatolien entstanden ist, auf jeden Fall bietet sie theologische und liturgische Erwägungen zu Datierung, Deutung und Feier des Osterfestes. Auffällig ist, dass der Verfasser auf die diesbezüglichen Aussagen des Konzils von Nizäa mit keinem Wort eingeht. Auch fällt auf, dass in der Auslegung der biblischen Texte die alexandrinisch-origenistische Deutung von Ostern nicht erwähnt wird. Zugleich lenken die Darlegungen des Textes die Aufmerksamkeit auf die komplexen politischen Verhältnisse in Kleinasien, sie beleuchten das Verhältnis der christlichen Gemeinden zu den politischen Behörden und die Beziehungen zwischen den christlichen und den jüdischen Gemeinden. Insgesamt bietet der Brief wichtige Einblicke in eine der großen frühchristlichen Kontroversen. Es ist dem Herausgeber, dem an der École française de Rom wirkenden Pierre Chambert-Protat, zu danken, dass er diesen Text durch die kritische Edition und die zusammen mit Camille Gerzaguet erstellte französische Übersetzung der historischen und theologischen Wissenschaft erschlossen hat.

IV Italien



Den Schriften, die in den Sources Chrétiennes aus dem umfangreichen Œuvre des Ambrosius von Mailand vorliegen, wird mit dem kleinen Traktat »Elias und das Fasten« ein gleichermaßen exegetischer und pastoraltheologischer Text zur Seite gestellt, der ein Thema gemeindlicher Praxis behandelt.14 Hervorgegangen aus Predigten, die in der vorösterlichen Fastenzeit des späten 4. Jh.s gehalten wurden, richtet sich der Mailänder Bischof darin an Katechumenen, die auf den Empfang der Taufe vorbereitet werden sollen. Die Schrift ist in einem dialektischen Dreischritt aufgebaut. Zunächst beschreibt Ambrosius das Fasten als eine schon im Altertum praktizierte und durch biblische Beispiele belegte vorbildliche Lebenspraxis; dann entfaltet er dessen Bedeutung in Abgrenzung zur allgemein verbreiteten Maßlosigkeit und Trunksucht; schließlich deutet er das Fasten als Vorbereitung auf die Auferstehung und das himmlische Leben. Das biblische Vorbild ist der Prophet Elias, der in die Wüste ging, um zu fasten, und dadurch zur Präfiguration christlicher Existenz wurde. In den zahlreichen biblischen Zitaten seiner Schrift hat Ambrosius auf die Septuaginta und auf die Vetus Latina zurückgegriffen. Als literarische Vorbilder können neben anderen Quellen vor allem der Tauftraktat des Tertullian sowie die Homilien des Basilius über das Fasten erhoben werden. Ambrosius’ Traktat war bislang nur in der Ausgabe von CSEL 32,2 zugänglich, die nur einen Teil der Manuskripte berücksichtigen konnte. In der vorliegenden kritischen Edition hat Aline Canellis, Professorin für lateinische Sprache und Literatur an der Universität von Lyon, den Text unter Heranziehung aller derzeit bekannten 33 Manuskripte, die bis in das 8. Jh. zurückreichen, neu herausgegeben. Indem sie ihm eine sprachlich präzise französische Übersetzung zur Seite gestellt hat, hat sie die Voraussetzung dafür geschaffen, dass dieser schöne Text des Mailänder Bischöfs künftig leichter erschlossen werden kann.

Aus der umfangreichen Briefsammlung, die Gregor der Große hinterlassen hat, gibt es in den Sources Chrétiennes mit den Bänden I/1 (SC 370), I/2 (SC 371) sowie II/3–4 (SC 520) bereits vier Teillieferungen. Mit Band VII/12–14 liegt nun eine weitere Teillieferung vor, die 79 Briefe enthält.15 Der Text beruht – mit wenigen Korrekturen – auf der kritischen Edition, die Dag Norberg nach Vorarbeiten (Critical and exegetical notes on the letters of St. Gregory the Great, Stockholm 1982) im Corpus Christianorum (CChr.SL 140,Tournhout 1982) vorgelegt hat. Marc Reydellet, Literaturhistoriker an der Université de Rennes, hat die Übersetzung sowie eine kommentierende Einführung verfasst. Die Briefe des vorliegenden Bandes sind zwischen September 601 und März 604 entstanden. Sie wurden also im letzten Lebensabschnitt Gregors geschrieben und schildern die Umstände, die sein Leben in den Jahren vor seinem Tod prägten. Wie in einem Brennpunkt lassen sie das Spektrum der Themen anklingen, mit denen sich Gregor auseinandersetzte: das konfliktreiche Verhältnis zum byzantinischen Kaiser, die Auseinandersetzung mit den Lombarden, die wirtschaftliche Not im Land, die sozialen Spannungen in Rom, die Probleme der christlichen Gemeinden, die ungeregelte Entstehung neuer Klöster. Gegenüber den Byzantinern und den Lombarden verteidigt Gregor die Eigenständigkeit der römischen Kirche. Zugleich betont er den Anspruch, als römischer Bischof der Gesamtkirche vorzustehen, weswegen er bei Bischofswahlen seine Stimme erhebt. Den Christen gibt er geistliche Wegweisung; er fordert sie auf zu einem lebendigen Glauben und mahnt die Aufrechterhaltung sittlicher Disziplin an. Mehrere Briefe haben einen privaten Charakter. Sie sind an nahestehende Personen, zumeist Kleriker, aber auch Laien, gerichtet. In Stil und Sprache werfen sie ein Licht auf seine Persönlichkeit, zumal Gregor darin nicht die mit dem Alter abnehmenden Kräfte, die Beschwerden und Krankheiten, verschweigt. Der letzte Brief, gerichtet an einen Notar auf Sizilien, endet mit Worten, die Gregors Grundüberzeugung prägnant zusammenfassen: »Dei timor et legum ordo«. Insgesamt eröffnen die Briefe, auch wenn sie – wie bei amtlichen Schreiben üblich – von der päpstlichen Kanzlei redigiert wurden, mit ihren Themen und ihrer Sprache wichtige Einblicke in das Denken und die Geisteswelt dieses großen römischen Bischofs an der Schwelle zum Frühmittelalter.

V Sacrum Imperium



In das frühe Hochmittelalter führt die Edition von Schriften der Hildegard von Bingen. Sie enthält Texte, in denen die berühmte Äbtissin Themen des monastischen Lebens reflektiert. Entstanden sind diese Texte in den späten Lebensjahren, sie zeigen also das Denken Hildegards auf der Höhe ihres Wirkens. An erster Stelle steht das prophetische Testament.16 Als Herausgeber bezeichnet sich Hildegards Beichtvater Volmar, der dem Testament ein Vorwort vorangestellt hat. Darin informiert er über die Umstände der Entstehung, spricht Hildegards schwere Erkrankung an und lobt vor allem ihre außerordentlichen geistlichen Gaben. Das Testament ist in der literarischen Form eines Briefes abgefasst. Hildegard wendet sich darin an die Schwestern des von ihr gegründeten Klosters auf dem Rupertsberg in Bingen, um ihnen die Grundsätze des in der benediktinischen Tradition gründenden monastischen Lebens zu entfalten. Hildegard stellt ihre Überlegungen in einen weiten heilsgeschichtlichen Zusammenhang, der von der Schöpfung der Welt bis zur Erlösung Gottes am Ende der Zeiten reicht. Der Aufforderung, dem Vorbild des hl. Benedikt zu folgen, schließt sie eine Auslegung des athanasischen Glaubensbekenntnisses an, begleitet von Ermahnungen zu einem heiligen Leben. Durch den Blick auf die Vita des hl. Rupert von Bingen erinnert sie an die Gründungsgeschichte des Klosters. Das Testament beschließend gibt sie dem Gotteslob mit Gesangstexten und Gebeten liturgischen Ausdruck. Der zweite Band enthält drei kürzere Schriften aus den letzten Lebensjahren Hildegards.17 Vermutlich noch vor 1163 ist die Einführung in die Regel des hl. Benedikt entstanden. Ein einleitender Widmungsbrief lässt erkennen, dass Hildegard ihre Auslegung auf die Bitte einer Klostergemeinschaft verfasst hat. Ihre Interpretation nimmt in der Reihe der mittelalterlichen Regelkommentare eine wichtige Stellung ein, da sie ausdrücklich anspricht, als Frau zu schreiben. Hildegard verfolgt in ihrem Regelkommentar vor allem ein praktisches Anliegen. Es geht ihr darum, der benediktinischen Spiritualität im klösterlichen Alltag eine konkrete Lebensgestalt zu geben. In einer weiteren Schrift, entstanden wenige Jahre nach dem Regelkommentar, entfaltet Hildegard das Leben des irischen Wandermönchs Disibod. Sie schildert seinen Weg und ordnet ihn in eine heilsgeschichtliche Perspektive ein, in der das Leben Disibods von der heilvollen Providentia Gottes umklammert wird. Indirekt lenkt sie damit den Blick auch auf ihren eigenen Lebensweg, der sie zunächst in die Klause auf dem Disibodenberg und von dort in das Kloster auf dem Rupertsberg bei Bingen geführt hatte. Die dritte Schrift behandelt in Frage und Antwort ein breites Spektrum exegetischer und theologischer Fragen. Den Anstoß bildet ein Brief Guiberts, Mönch im Kloster Gembloux, der mit Hildegard von Bingen in ihren letzten Lebensjahren brieflichen Kontakt pflegte. In einem dieser Briefe, geschrieben im Frühjahr 1176, legte Guibert ihr 38 theologische Fragen vor, die von den Mönchen der Zisterzienserabtei Villers in Brabant gesammelt worden waren. Die Fragen zeigen, mit welcher Hochachtung sich die Mönche an Hildegard wandten. Tatsächlich lassen Hildegards Antworten in ihrer präzisen und klaren Sprache eine exegetische und theologische Kompetenz erkennen, die der ihrer männlichen theologischen Zeitgenossen in keiner Weise nachsteht. Die Textgrundlage der beiden Bände beruht auf der kritischen Edition von José Luis Narvaja. Für die vorliegende Ausgabe wurde sie erneut durchgesehen und an einzelnen Stellen korrigiert. Maura Zátonyi, Schwester in der Benediktinerinnenabtei St. Hildegard in Eibingen, erläutert in ihrer Einführung auf dem Hintergrund der Textgeschichte die Prinzipien der vorliegenden Edition. Sie hat auch die biographische Einführung und die theologische Interpretation der Texte geschrieben. Hildegarde Boemare, Schwester in der Benediktinerinnenabtei Saint-Pierre de Pradines, hat die Übersetzung angefertigt und damit die Voraussetzung für die Wiederentdeckung dieser wichtigen monastischen Schriften Hildegards geschaffen.

Fussnoten:

1)Clément d’Alexandrie: Les Stromates.Stromate III. Éd. par A. Le Boulluec et P. Descourtieux. Paris: Les éditions du Cerf 2020. 440 S. = Sources chrétiennes, 608. Kart. EUR 40,00. ISBN 9782204136471.

2)Athanase d’Alexandrie:Traités contre les Ariens. Tome I. Ed. par Ch. Kannengiesser, A. Bara et. L. Dînca. Paris: Les éditions du Cerf 2019. 328 S. = Sources chrétiennes, 598. Kart. EUR 32,00. ISBN 9782204131544.Athanase d’Alexandrie:Traités contre les Ariens. Tome II. Ed. par Ch. Kannengiesser, A. Bara et. L. Dînca. Paris: Les éditions du Cerf 2019. 528 S. = Sources chrétiennes, 599. Kart. EUR 45,00. ISBN 9782204131551.

3)Athanase d’Alexandrie:Tome aux Antiochiens. Lettres à Rufinien, à Jovien et aux Africains. Éd. avec la collaboration de A. Martin et X. Morales. Paris: Les éditions du Cerf 2022. 304 S. = Sources chrétiennes, 622. Kart. EUR 27,00. ISBN 9782204145374.

4)Cyrille d’Alexandrie:Contre Julien. Tome IV: Livres VIII–IX. Éd. avec la collabation de. M.-O. Boulnois et J. Bouffartigue. Paris: Les éditions du Cerf 2022. 720 S. = Sources chrétiennes, 624. Kart. EUR 64,00. ISBN 9782204145480.

5)Évagre le Pontique:Scholies aux Psaumes.Tome I: Psaumes 1–70. Éd. avec la collaboration de M.-J. Rondeau, M. Cassin et P. Géhin. Paris: Les éditions du Cerf 2021. 792 S. = Sources chrétiennes, 614. Kart. EUR 64,00. ISBN 9782204141864.Évagre le Pontique:Scholies aux Psaumes.Tome II: Psaumes 71–150. Éd. avec la collaboration de M.-J. Rondeau, M. Cassin et P. Géhin. Paris: Les éditions du Cerf 2021. 784 S. = Sources chrétiennes, 615. Kart. EUR 64,00. ISBN 9782204142052.

6)Grégoire de Nysse:Homélies sur le Cantique des cantiques.Tome I: Homélies I–V. Éd. avec la collaboration de F. Vinel et M. Canévet. Paris: Les éditions du Cerf 2021. 416 S. = Sources chrétiennes, 613. Kart. EUR 39,00. ISBN 9782204140348.

7)Hilaire de Poitiers:Lettre sur les synodes. Éd. avec la collaboration de A. Rocher et M. Durst. = Paris: Les éditions du Cerf 2022. 496 S. Sources chrétiennes, 621. Kart. EUR 45,00. ISBN 9782204145367.

8)Hilaire de Poitiers:Commentaires sur les Psaumes.Tome III: Psaumes 62–66. Éd. par P. Descourtieux. Paris: Les éditions du Cerf 2019. 320 S. = Sources chrétiennes, 603. Kart. EUR 30,00. ISBN 9782204131575.Hilaire de Poitiers:Commentaires sur les Psaumes. Tome IV: Psaumes 67–69 et 91. Éd. par P. Descourtieux. Paris: Les éditions du Cerf 2020. 400 S. = Sources chrétiennes, 605. Kart. EUR 35,00. ISBN 9782204133555.Hilaire de Poitiers:Commentaires sur les Psaumes. Tome V: Psaumes 119–126. Éd. par P. Descourtieux. Paris: Les éditions du Cerf 2022. 440 S. = Sources chrétiennes, 625. Kart. EUR 42,00. ISBN 9782204147019.

9)Liberatus de Carthage:Abrégé de l’histoire des nestoriens et des eutychiens. Éd avec la collaborarion de A. Baudrand, F. Cassingena-Trévedy et Ph. Blaudeau. Paris: Les éditions du Cerf 2019. 456 S. = Sources chrétiennes, 607. Kart. EUR 35,00. ISBN 9782204134156.

10)Tertullien:De l’ âme. Éd. par J. Leal et P. Mattei. Paris: Les éditions du Cerf 2019. 496 S. = Sources chrétiennes, 601. Kart. EUR 45,00. ISBN 9782204130004.

11)Actes et passions des martyrs militaires africains. Éd. avec la collaboration J. Leoni et P. Mattei. Paris: Les éditions du Cerf 2021. 376 S. = Sources chrétiennes, 609. Kart. EUR 29,00. ISBN 9782204138352.

12)Vie de Sainte Geneviève. Éd. avec la collaboration de F. Bret et M.-C. Isaïa. Paris: Les éditions du Cerf 2020. 392 S. = Sources chrétiennes, 610. Kart. EUR 39,00. ISBN 9782204139816.

13)Timothée: Sur la Pâque. Éd. par P. Chambert-Protat et C. Gerzaguet. Paris: Les éditions du Cerf 2019. 216 S. = Sources chrétiennes, 604. Kart. EUR 24,00. ISBN 9782204131582.

14)Ambroise de Milan:Élie et le jeûne. Éd. avec la collaboration de A. Canellis. Paris: Les éditions du Cerf 2020. 312 S. = Sources chrétiennes, 611. Kart. EUR 37,00. ISBN 9782204139786.

15)Grégoire le Grand:Registre des Lettres.Tome VII: Livres XII–XIV. Éd. avec la collaboration de M. Reydellet. Paris: Les éditions du Cerf 2021. 416 S. = Sources chrétiennes, 612. Kart. EUR 39,00. ISBN 9782204140331.

16)Hildegarde de Bingen:Opuscules monastiques.Tome I: Testament prophétique. Éd. avec la collaboration de H. Boemare et M. Zatonyi. Paris: Les éditions du Cerf 2021. 456 S. = Sources chrétiennes, 616. Kart. EUR 45,00. ISBN 9782204142069.

17)Hildegarde de Bingen: Opuscules monastiques.Tome II: Commentaire de la Règle de saint Benoît. Vie de saint Disibod. Solutions à trente-huit questions. Éd. avec la collaboration de H. Boemare. Paris: Les éditions du Cerf 2021. 466 S. = Sources chrétiennes, 617. Kart. EUR 45,00. ISBN 9782204146586.