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Ausgabe:

September/2023

Spalte:

890-892

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Hopf, Margarethe

Titel/Untertitel:

Ein Osservatore Romano für die Evangelische Kirche in Deutschland. Der Konzilsbeobachter Edmund Schlink im Spannungsfeld der Interessen.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2022. 425 S. m.6 Abb. = Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, 254. Geb. EUR 85,00. ISBN 9783525570777.

Rezensent:

Wolfgang Thönissen

Das Zweite Vatikanische Konzil ist auch nach mehr als einem halben Jahrhundert immer noch präsent. Die Zahl der Publikationen zur Vor- und Verlaufsgeschichte des Konzils, zu seiner innerkatholischen und ökumenischen Rezeption wächst nach wie vor. Dieses Konzil ist aus dem Leben der katholischen Kirche nicht wegzudenken. Obwohl es zunächst einmal gar nicht in erster Linie als ein ökumenisches Konzil im modernen Sinne gedacht war, kann es heute als ein Konzil für ein ökumenisches Zeitalter bezeichnet werden. Umso erstaunlicher ist dann doch die Tatsache, dass längst nicht alle Quellen zu Tage gefördert sind. Das betrifft in erster Linie Konzilstagebücher, die seit je zu den wichtigsten Quellen einer Konzilsgeschichtsschreibung gehören. Ein Blick auf die sogenannten Konzilsbeobachter zeigt indessen, dass die Konzilsforschung hier noch nicht vorangekommen ist.

Das Zweite Vatikanum wartete gleich mit einer Erneuerung auf. Erstmals wurden zu einem Konzil nichtkatholische Konzilsbeobachter geladen, für die ein eigenes, neu geschaffenes Instrument zur Verfügung stand, das am 5.6.1960 durch Papst Johannes XXIII. gegründete Sekretariat zur Förderung der Einheit der Christen, zunächst als Informationsbüro eingerichtet, dann zu einem gleichberechtigten Konzilssekretariat erhoben. Dieses Sekretariat entwickelte sich rasch zur entscheidenden Schnittstelle für die auf dem Konzil zu behandelnden ökumenischen Themen, aber auch zur Kontaktstelle zu den ökumenischen Beobachtern.

Im Mittelpunkt des Buches von Margarethe Hopf steht der lutherische Theologe Edmund Schlink (1903–1984). Schlink hatte nach dem Krieg einen Ruf auf den Lehrstuhl für systematische Theologie an der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg angenommen. Dort gründete er das erste ökumenische Institut an einer deutschen Universität. Schlink war von früh an ein ausgewiesener Kenner der ökumenischen Landschaft. Er nahm an den großen Konferenzen des Ökumenischen Rates der Kirchen teil. Als Mitglied und Wissenschaftlicher Ko-Vorsitzender des 1946 gegründeten Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen kam er früh in Kontakt mit katholischen Theologen. Als Ende der Fünfzigerjahre ein neues Konzil der katholischen Kirche angekündigt wurde, war Schlink bestens auf die Aufgabe eines Beobachters vorbereitet. Der Konzilsauftrag war einer der Höhepunkte in Schlinks Einsatz für die Einheit der Kirchen.

Eingeladene Konzilsbeobachter, deren Zahl am Ende des Konzils auf über 100 angestiegen war, waren befugt, an den feierlichen, öffentlichen Sitzungen und den Generalversammlungen teilzunehmen. Zu den Kommissionssitzungen waren sie nicht zugelassen. Sie hatten kein Rede- und auch kein Stimmrecht. Dennoch war die Mitwirkung der Konzilsbeobachter von großem Wert, denn ihre Stimme wurde gehört, wie der bekannte reformierte Theologe und Ökumeniker Lukas Vischer festhielt. Jeden Dienstagnachmittag lud das Einheitssekretariat zu Sitzungen ein, in denen bestimmte Themen diskutiert wurden und Stellungnahmen der Konzilsbeobachter zu den jeweils vorgelegten Konzilsdokumenten erbeten wurden. Diese wöchentlichen Treffen gehörten wohl zu den bedeutendsten Zusammenkünften zwischen den Vertretern des Sekretariats und den Beobachtern und Gästen.

Wie kommt es überhaupt zu einer Beauftragung eines theologischen Beraters von Seiten der Evangelischen Kirche in Deutschland? Bisher hatte es keinerlei offizielle Kontakte zwischen der katholischen Kirche und der evangelischen Kirche in Deutschland gegeben. Bereits vor der Eröffnung des Konzils im Oktober 1962 übernahm Schlink seine Aufgabe und war für mehrere Wochen in Rom. Hier suchte er Kontakte zur Jesuitischen Hochschule, der Gregoriana, hier traf er sich mit einflussreichen Jesuiten. Schlink interessierte sich vor allen für die Problemfelder Mischehen, Mission und Taufanerkennung. Schlink war sehr darauf bedacht, als einziger Vertreter der EKD beim Konzil dabei sein zu können. Wichtig erschien ihm, nicht mit anderen evangelischen Vertretern aus Deutschland zusammen gesehen zu werden. So versuchte er gegenüber Rom den Eindruck zu zerstreuen, als träte die evangelische Christenheit aus Deutschland nicht als Einheit auf. Deswegen drängte auch die EKD darauf, dass die evangelischen Christen in Deutschland alleine durch die EKD vertreten sein sollten. Ein eigenmächtiges Agieren der landeskirchlichen Repräsentanten, so die Auffassung der EKD, könnte vom Vatikan als eine Schwäche des deutschen Protestantismus betrachtet werden.

Im Mittelpunkt von Schlinks Wirken standen wichtige Konzilsdokumente. Hier hat er sich aufgrund seiner exzellenten Kenntnis als systematischer Theologe vorrangig mit der Offenbarungskonstitution, der Kirchenkonstitution und schließlich auch mit dem Ökumenismusdekret beschäftigt, dessen gründliche Kommentierung zu seinen wichtigsten Aufgaben zählte. Die Verf.in arbeitet im Blick auf das Ökumenismusdekret eigens dessen komplexe Entstehungsgeschichte heraus. Nur so versteht man auch die Kommentierung, die Schlink leistete. Hier zeigt sich dann die besondere Aufgabe eines Konzilsbeobachters, sowohl mit eigenen Beiträgen im Rahmen der dienstäglichen Sitzungen mitzuwirken, als auch das erzielte Ergebnis in Deutschland innerhalb des Rates der EKD zur Kenntnis zu bringen und dort zu einer Stellungnahme anzuregen.

Nach dem Abschluss des Konzils hörte die Berichterstattung Schlinks nicht auf. Bereits hier zeigen sich deutlich die entstandenen Wechselwirkungen, zwischen dem Bild der Protestanten in Rom, das Schlink zu vermitteln suchte, und der dort von ihm erworbenen Erkenntnisse, die in die Beratungen der EKD einflossen und das evangelische Bild der Katholiken in Deutschland alsbald prägen sollten. Die EKD legte sehr großen Wert darauf festzustellen, dass die katholische Kirche nicht Teil der weltweiten Ökumenischen Bewegung war und ist, selbst aber konnte sie nicht leugnen, dass sich die katholische Kirche auf den Weg in diese weltweite ökumenische Bewegung gemacht hatte. Aber auch Schlink selbst wehrte sich gegen das neue Narrativ der katholischen Kirche, wonach sie schon immer führend in der weltweiten Ökumenischen Bewegung gewesen sei. Schlinks Berichte vor der EKD-Synode konnten durchaus auch so verstanden werden, dass das Konzil als Anstoß für eine veränderte Wahrnehmung der Rolle der Katholiken innerhalb der Weltchristenheit angesehen wurde. Insoweit zeigt sich also eine gegenseitige Bereicherung, die zu einer neuen ökumenischen Sensibilität führte. Dennoch machte Schlink klar, dass die Reformbemühungen der katholischen Kirche selbst nicht als eine neue Reformation zu verstehen seien. Der Ökumenismus des Konzils ist ein spezifisch römischer Ökumenismus.

Auch nach dem Konzil unterließ es Schlink nicht, in vielen Beiträgen und Vorträgen für die neue Rolle der katholischen Kirche zu werben. Hier hinein passt auch sein zunächst anonym erschienenes Werk »Die Vision des Papstes« von 1975, in der er seine Erfahrungen, Einsichten und Erkenntnisse in eine andere literarische Form als eine theologische Auseinandersetzung einbrachte. Auch lassen sich Spuren des Konzils ins Schlinks Opus Magnum, der Ökumenischen Dogmatik, erkennen. Schlink entpuppte sich als einer, der am besten für die Rolle als Konzilsbeobachter vorbereitet war und diese sowohl innerhalb der EKD als auch in Rom eigenständig und geschickt auszugestalten verstand. Deutlich aber wird auch, dass die EKD aus römischem Blickwinkel im Konzert der beim Konzil anwesenden christlichen Kirchen und Gemeinschaften nur eine eher unbedeutende Rolle spielte. Inwieweit es ihm gelungen ist, den deutschen Protestantismus als Einheit innerhalb der Weltchristenheit zu vertreten, kann man im Nachhinein unterschiedlich bewerten. Tatsache jedoch ist, dass bis heute Vertreter der EKD und der VELKD in Rom empfangen werden und zu den gern gesehenen Gesprächspartnern gehören.

Was bleibt aus der Perspektive des Konzilsbeobachters? Ökumene ist ein langwieriger Prozess der gegenseitigen Anregung, der Kritik in der gemeinsamen Wahrnehmung auf dem Weg der Suche nach der Einheit der Christenheit. Dies geht nur, indem man Vertrauen zueinander aufbaut und in einem Dialog par cum pari miteinander um die theologisch schwierigen und umstrittenen Sachfragen ringt. Insoweit zeigt die auf Quellen aufbauende Arbeit der Verf.in eine Ökumene mit langfristigen Wirkungen. Dabei wird auch deutlich, dass die Vertreter der EKD und das vatikanische Ökumenesekretariat nicht immer konfliktfrei miteinander umgegangen sind und bis heute umgehen, wie auch die jüngsten Auseinandersetzungen um ein Votum des Ökumenischen Arbeitskreises zeigen.