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Ausgabe:

September/2023

Spalte:

886-888

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Stark, David M.

Titel/Untertitel:

Singing and Suffering with the Servant. Second Isaiah as Guide for Preaching the Old Testament.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2022. 313 S. = Arbeiten zur Pastoraltheologie Liturgik und Hymnologie, 101. Geb. EUR 120,00. ISBN 978352557364.

Rezensent:

Milena Hasselmann

Die vorliegende Arbeit ist David M. Starks Dissertation, die er unter der Betreuung von Charles Campbell an der Duke University, NC, geschrieben hat. S. ist Assistant Professor für Homiletik an der School of Theology der University of the South, USA. Er ist außerdem ordinierter Pfarrer der methodistischen Kirche in North Carolina und hat vor und während seiner wissenschaftlichen Arbeit in verschiedenen Gemeinden gearbeitet.

S. schlägt einen neuen Ansatz zur Beantwortung der Frage nach einer angemessenen Form christlicher Predigt alttestamentlicher Texte vor und widmet damit seine Arbeit einem Thema, das trotz einer Vielzahl an Vorgängerstudien nicht an Wichtigkeit verloren hat. Der Neuansatz seiner Forschung liegt darin, dass er den atl. Texten selbst die Dynamik und Hermeneutik des Predigens entnehmen will. Konkret die Gottesknechtlieder und die Figur des Gottesknechts in Deuterojesaja untersucht er dabei als Beispiel und Vorbild für die christliche Predigt. Basis seiner Arbeit ist die These, dass christliche Auslegung und Predigt atl. Texte »are significantly affected by domination in its many forms«. Diesem Umstand will S. begegnen und formuliert die Überzeugung: »by using the Servant Songs as an insight into the ways historically dominated people read and interpret the Old Testament, one encounters different hermeneutic assumptions and alternative homiletics« (21).

Diese Annahme sucht S. in den vier Hauptteilen seiner Arbeit zu illustrieren. Einer Zusammenschau verschiedener US-amerikanischer Entwürfe, alttestamentliche Texte zu predigen oder ihnen selbst Predigtanteile zuzuschreiben und einer Analyse der vier Gottesknechtlieder auf die Verarbeitung konkreter Unterdrückungs- und Unrechtserfahrungen hin folgen zwei Kapitel, die jeweils einen aktuellen theologischen Kontext einbeziehen: In Anknüpfung an Alexander Deeg entwickelt S. anhand der Einsichten des jüdisch-christlichen Gesprächs in Deutschland, was es bedeutet, die vorher erarbeitete Stimme des Gottesknechts als predigtleitend zu verstehen. Schließlich nimmt S. neben den Einflüssen und Prämissen, die sich aus dem jüdisch-christlichen Gespräch ergeben, Aspekte afrikanisch-amerikanischer Homiletik auf und integriert diese in sein Predigtkonzept. Der Gottesknecht in DtJes dient S. bei alldem als ein Vorbild, wie mit erfahrenem, vor allem sozialem Unrecht konstruktiv und selbstermächtigend umgegangen werden kann.

Im ersten Hauptteil analysiert S. anhand von sechs Beispielen die Homiletik des Alten Testaments nach der Shoa. Nach Darstellung und Würdigung der einzelnen Ansätze führt S. diese zusammen und resümiert, dass ihnen allen neben den offensichtlich weiterbringenden Fragen auch eine problematische Grundhaltung innewohnt: Letztlich gelte für alle Ansätze, so S., dass sie »treat the Old Testament as a problem that needs to be solved« (94). Die Ansätze übersähen dabei, wie S. in Anknüpfung an Brueggemann konstatiert, dass die Texte selbst nicht ein zu lösendes Problem darstellen, sondern es konfrontieren. Diese Einsicht, dass viele atl. Texte und besonders jene in DtJes, soziale Konflikte und solche von Beherrschung und Unterdrückung thematisieren und darauf reagieren, macht der Autor zur Grundlage seiner Auslegung der vier Gottesknechtlieder, der der zweite Hauptteil gewidmet ist.

Er untersucht die Texte dabei als Beispiele einer Predigt in einem marginalisierten Kontext, die dabei überlieferte Texte aufgreift. S. fordert, dass die Texte über ihren historischen und theologischen Kontext hinaus gelesen werden können als Anleitung, um über heutige Unterdrückungserfahrungen zu sprechen. Das in christlicher Tradition besonders bekannte vierte Gottesknechtlied (Jes 52,13–53,12) fungiert für S. als Paradebeispiel eines Textes, der andere atl. Texte im Sinne einer »dialogical hermeneutic« (176) aufnimmt. In den untersuchten Texten sieht S. Beispiele für »a way of reading and proclaiming that takes seriously the ways scripture speaks to the ancient and contemporary suffering of people« (181). Wie dies zur Grundlage jeder atl. Predigt werden kann, untersucht S. in den beiden folgenden Kapiteln, in denen er sich einerseits den Erkenntnissen des jüdisch-christlichen Gesprächs in Deutschland und andererseits der Homiletik afrikanisch-amerikanischer Gemeinden zuwendet.

Der dritte Hauptteil speist sich aus Forschungen und Erfahrungen, die S. während eines Forschungs- und Lehraufenthaltes an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig gesammelt hat. Nicht nur exemplarisch, sondern als besonders positiv zitiertes Beispiel bezieht sich S. in diesem Kapitel durchgängig auf Alexander Deeg, den er in die deutsche Geschichte des jüdisch-christlichen Dialogs zwischen Rheinischem Synodalbeschluss, Entwicklungen auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag und den von Deeg mitherausgegebenen Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Gespräch einordnet, und fokussiert dabei die Möglichkeit und Notwendigkeit, Israel und die jüdischen Traditionen in den atl. Texten als eigenständige Größe wahr- und ernstzunehmen und mit ihnen im Dialog den eigenen Predigtweg zu beschreiten. S. versucht den transformierenden Charakter des Deeg’schen Ansatzes umzusetzen und verbindet dies mit seiner Erkenntnis, im Hören auf marginalisierte Positionen dem alttestamentlichen Text in seinem Eigenwert gerecht zu werden.

Schließlich wendet er sich afrikanisch-amerikanischen Gemeinden zu, um Fragen, die sich im Anschluss an die Analyse der Deeg’schen Einsichten ergeben haben, an einem konkreten Beispiel zu untersuchen. In der Homiletik der afrikanisch-amerikanischen Gemeinschaften sieht S. ein Beispiel für eine Predigt atl. Texte im Angesicht eigener Erfahrungen mit Vorherrschaft, Unterdrückung und sozialer Ungerechtigkeit. In den Parallelen, die S. in den Predigten der untersuchten Gemeinschaften und der Predigt, die er in DtJes analysiert, sieht, liegt für ihn die Erkenntnis, dass dies »only underscores how ancient and powerful these hermeneutic and homiletic approaches are« (280).

Mit zehn zusammenfassenden Thesen schließt S. seine Arbeit ab, in denen er auf Dale Andrews als Ideengeber und Grundlage seines Ansatzes verweist. Er fasst dabei seine Thesen nicht lediglich zusammen, sondern formuliert den Impuls seiner Arbeit, die alttestamentlichen Texte selbst als Vorbilder und Modell christlicher Predigt zu verstehen, kleinschrittig und nachvollziehbar aus. Auch wird deutlich, dass er auch seinen Beitrag als Teil eines Weges versteht, den weiterzugehen notwendig und lohnend bleibt. Ausblicke auf diese weitere Wegstrecke gibt S. in den abschließenden Absätzen seiner Arbeit.

Die Frage nach einer angemessenen Predigt alttestamentlicher Texte mit der Dynamik der Texte selbst zu beantworten und sie dabei mit zwei aktuellen homiletischen Kontexten in Verbindung zu setzen, beschreitet bisher unbekannte Wege. Gliederung und methodische Durchführung der Arbeit sind stimmig und nachvollziehbar, der Anhang ist knappgehalten, ermöglicht aber dank des Sachregisters einen schnellen Zugriff auf entscheidende Themen. Die strenge Fokussierung auf den Gottesknecht wirft die Frage auf, inwieweit S.s Ansatz über diese Textgruppe hinaus tragfähig ist und muss sich an einzelnen Punkten den Vorwurf des Artifiziellen gefallen lassen. Dies ist jedoch ein geringer Preis für einen ausgesprochen bedenkenswerten Ansatz. S.s Werk sollte sowohl in der Exegese von DtJes als auch in der Diskussion um homiletische Ansätze viel Beachtung finden.