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Ausgabe:

September/2023

Spalte:

872-873

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Stümke, Volker

Titel/Untertitel:

Frieden und Macht. Beiträge zu einer lutherischen Ethik des Politischen.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2022. 244 S. = Lutherische Theologie im Gespräch, 4. Geb. EUR 34,00. ISBN 9783374072873.

Rezensent:

Florian Priesemuth

In diesem Jahr ist in der Reihe »Lutherische Theologie im Gespräch« eine Aufsatzsammlung von Volker Stümke erschienen, der an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg und der Theologischen Fakultät der Universität Rostock Evangelische Sozialethik lehrt. Es handelt sich um elf Aufsätze, von denen drei bisher unveröffentlicht waren. Ein kurzes Vorwort (5 f.) erklärt die Zusammenstellung. Ein erster Teil bietet drei Aufsätze zur lutherischen Friedensethik (9–60). Der zweite Teil mit weiteren drei Texten ist der Anthropologie gewidmet (61–125). Im dritten Teil finden sich vier Beiträge zu »Themenfeldern lutherischer Ethik« (127–239).

Diese Sortierung gibt Anlass zu Rückfragen. Wieso wird das Thema Friedensethik zweimal verhandelt, als eigener erster Gliederungspunkt wie auch als Teil der Themenfelder lutherischer Ethik? Wie verhalten sich Anthropologie und lutherische Ethik für S. zueinander? Und: Wie verhält sich die Konzeption des Bandes zum titelgebenden Verhältnis von Frieden und Macht bzw. der Anlage einer lutherischen politischen Ethik? Wenden wir uns nun aber den Beiträgen selbst zu. Ich bespreche sie in drei Gruppen: Texte zu Luthers Theologie, Aufsätze zur theologischen Sozialethik und Beiträge mit interdisziplinärem Charakter.

Dreh- und Angelpunkt der Studien ist die Auseinandersetzung mit Schriften Martin Luthers. Zu nennen sind die Aufsätze »Krieg und Frieden bei Martin Luther« (31 ff.), »Friedensmahner – Fürstenknecht. Luther zu den Kriegen und Kriegsgefahren seiner Zeit« (47 ff.), Frieden, Recht, Ordnung – Luthers Impulse für ein gegenwärtiges Staatsverständnis« (175 ff.) und »Wer stößt die Gewaltigen vom Thron. Luthers Ablehnung der politischen Gewalt von unten« (211 ff.). Hierbei kann S. auf seine Habilitation »Das Friedensverständnis Martin Luthers« (2007) zurückgreifen. Der methodische Zugriff ist überwiegend eine systematisierende Rekonstruktion der Primärquellen, wobei neuere Forschungsliteratur, etwa An-dreas Stegmanns »Luthers Auffassung vom christlichen Leben« (2014) unberücksichtigt bleibt.

Der sozialethischen Fachdiskussion, die S. unter kontinuierlichem Rekurs auf Bibelstellen und Lutherzitate führt, entstammen die Studien »Und es gibt sie doch: Lutherische Friedensethik« (11 ff.), »Wege zur Überwindung des Bösen. Friedensethische Erwägungen« (105 ff.), »Grundzüge lutherischer Schöpfungsethik« (129 ff.), »Zwischen Bonn und Barmen. Zwei theologische Lesarten des Böckenförde-Diktums« (201 ff.) und „»Beten als gutes Werk?« (227 ff.). Das Themenfeld Friedensethik (und der gesamte Aufsatzband) wird mit einer Kritik an Ulrich Kronenbergs Dissertation »Gerechter Friede – Gerechter Krieg« (2019) eröffnet. Kronenbergs scharfe Kritik an der 2007 erschienenen Friedensdenkschrift der EKD und deren Zentralbegriff des gerechten Friedens wird durch S. zurückgewiesen. Im Feld der Schöpfungsethik will er weiter an die traditionelle lutherische Lehre von Schöpfungsordnungen anknüpfen, wenn er auch einige ihrer Schwierigkeiten klar problematisieren kann.

Einen interdisziplinären Charakter haben die beiden Texte »Anthropologie der Gewalt« (63 ff.) und »Der Umgang mit Macht und Machtlosigkeit« (79 ff.). Beide Texte greifen Erkenntnisse der Friedens- und Konfliktforschung auf und bringen sie mit theologischen Aussagen über den Menschen ins Gespräch. S. fokussiert hier das Verhältnis von Sünde und Gewalt sowie die menschlichen Erfahrungen von Ohnmacht und die Einübung christlich verstandener Demut.

Ethische Themenfelder wie die Friedens- und Schöpfungsethik werden gegenwärtig gesellschaftlich heiß diskutiert. Welchen Beitrag eine lutherische politische Ethik dazu leisten kann, beant-worte die Mehrheit der hier angezeigten Studien durch einen Rekurs auf Quellentexte Martin Luthers. Aktuelle Konflikte wie die gegenwärtige friedensethische Diskussion um den Krieg in der Ukraine kommen (noch) nicht in den Blick oder werden beim Umwelt- und Klimathema kurz angedeutet (vgl. 129 f.). Wie Luthers reformatorische Einsichten in gegenwärtige Diskurse eingebracht werden können, bleibt eine Herausforderung, die hoffentlich zu weiteren Beiträgen zu einer lutherischen Ethik des Politischen motiviert.