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Ausgabe:

September/2023

Spalte:

870-872

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Hofheinz, Marco

Titel/Untertitel:

Die Kunst des Zusammenlebens. Politisch-ethische Studien zur reformierten Theologie.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2022. XVII, 376 S. m. 1 Abb. = Forschungen zur Reformierten Theologie, 13. Geb. EUR 45,00. ISBN 9783525560501.

Rezensent:

Megan Arndt

Mit diesem Band liefert Marco Hofheinz, Professor für Systematische Theologie mit Schwerpunkt Ethik an der Universität Hannover, in der Reihe »Forschungen zur Reformierten Theologie« eine Fortsetzung (VII; 29) seines Bandes »Ethik – reformiert!«. Während im vorigen Band (2017) die Rezeption der »reformierten Reformation« im 20. Jh. im Mittelpunkt steht, geht es nun um Fragen der politischen Ethik der reformierten Theologie. Der Band versammelt zehn Beiträge, von denen die Hälfte bisher unveröffentlicht war (VIII; 349 f.).

H. beginnt mit dem apologetisch anmutenden Ansinnen, zu zeigen, dass das den Reformierten zugeschriebene Image des »Sauertöpfischen« (1) dem visionären Denken reformierter Theologen nicht gerecht wird. Dies zeige sich im reformierten Verständnis politischer Ethik als Versuch, die »Welt durch die Vision des gelingenden Zusammenlebens vor Gott zu entfalten« (7). H. zeichnet in der Einleitung als Grundlage seiner Studien ein Bild von Calvin als visionärem Ethiker, der eschatologisch denkt – aber nicht in weltabgewandter Naivität, sondern in christologisch verschränkter Weltzugewandtheit (8). Dass diese Vision auch die politische Theorie prägte, zeigt H. anhand des Rechtsgelehrten Johannes Althusius auf, dessen politische Theorie dem Calvinismus entspringe. Althusius sind gleich zwei Beiträge des Bandes gewidmet. Nach einer prägnanten Einführung in Althusius’ Werdegang (76–81) verweist H. auf die in Althusius’ Theorie angelegten frühen Ideen von Gewaltenteilung, Föderalismus und Subsidiarität (82). Gegen frühabsolutistische Tendenzen liege die Staatsgewalt laut Althusius bei der »Gesellschaft als ganzer«. Dies stehe im Zusammenhang mit Althusius’ Verständnis von Politik als »Kunst, die Menschen zusammenzuschließen« (85).

Unterschiedliche Fragestellungen zu ebenjener »Kunst des Zusammenlebens« sind das verbindende Element der Studien des Buches, das in vier Kapitel gegliedert ist. Die mittleren Abschnitte zu »reformierten Kontroversen zu einem gelingenden Zusammenleben« sowie zum Thema »Reformierte Profile des Politischen« bieten einen bunt gemischten Strauß an Beiträgen, vom amerikanischen Traum und seinen puritanischen Deutungen (98–141) über einen Vergleich der lutherischen und reformierten Position zur rechtserhaltenden Gewalt (142–163) bis zu einer Gegenüberstellung von Synode und Parlament bei Gustav Heinemann (274–296). Die aus je zwei Beiträgen bestehenden Anfangs- und Schlussteile haben mit der Ausrichtung auf Fragen der gottesdienstlichen Praxis als Ort der Tradierung des Ethos (297–348) bzw. mit Überlegungen zum Bund als Grundmetapher politischer Ethik (39–97) jeweils einen inhaltlich engeren Bezug.

In allen Beiträgen setzt H. sich mit Schriften reformierter Denker auseinander, sodass die Lesenden in thematischer Sortierung Einblicke in reformierte Ideen aus verschiedenen Jahrhunderten erhalten, unter anderem in Konzepte von Johannes Calvin, Alfred de Quervain, Abraham Kuyper und Reinhold Niebuhr. Erfrischend ist, dass die Autorenauswahl dabei nicht nur auf Theologen beschränkt ist. Zudem kommen auch nichtreformierte Positionen vor. Hervorzuheben ist die Darstellung der Kontroverse zwischen dem Lutheraner Otto Piper und Alfred de Quervain (164–219). H. zeigt, dass die Verwendung des Begriffs der »Schöpfungsordnung« auch »quer zu gängigen konfessionellen Zuordnungen erfolgte« (218). In der Darstellung der Kontroverse wird eine differenzierte und kritische Würdigung des Verständnisses der Schöpfungsordnung bei de Quervain geboten, die sowohl sein Interesse an Demokratie und seine spätere Öffnung für »demokratische Mechanismen im säkularen Rechtsstaat« (213) als auch die Anfälligkeit des Konzepts der Schöpfungsordnung für nationalistisches Gedankengut offenlegt. Während die Kontroverse eine sehr spezifische historische Auseinandersetzung betrifft, zeigt H. in einem Ausblick eine grundsätzliche Problematisierung des Konzepts der Schöpfungsordnung im Kontext der NS-Zeit und gegenwärtiger Homophobie. Dies weist auf die grundlegende Konstellation im vorliegenden Band hin, dass der historische Graben benannt wird, aber doch relevante inhaltliche Impulse auch für gegenwärtige Problemkonstellationen herausgearbeitet werden.

Insbesondere die Beiträge des ersten Teils ranken sich um die Bundestheologie. Trotz der historischen Bedeutung des Bundes für die reformierte Theologie und die bleibende Relevanz des Bundesbegriffs für die Politik konstatiert H. abgesehen von »gelegentlichen Vorstößen« (44) ein Bundesschweigen in der deutschsprachigen Ethik (39–42). Dabei biete das Konzept des doppelten Bundes bereits bei Althusius eine theologische Begründung des Widerstandsrechts des Volkes gegen die Regierenden, da die Verpflichtungen gegenüber Gott »stets als vorzüglicher und ehrwürdiger (55, Zitat Althusius) anzusehen seien als die gegenüber den Herrschenden. Durch den Bundesgedanken ergeben sich sowohl Überlegungen zum Zusammenleben des Volkes als auch zum Verhältnis von Volk und Herrschenden. Der Aspekt des »doppelten Bundes« fehle bei der Übertragung des Bundesgedankens auf Vertragstheorien, so H., dementsprechend könnten diese als »kupierter« Bund (58), aber auch als »säkularisierte Gestalten der Föderaltheologie« (51) verstanden werden. Die Bundesidee lasse sich demnach nicht als Vertrag übersetzen (72), letzterer sei aber dennoch theologisch anschlussfähig (63).

Im vorletzten Kapitel wird der Zusammenhang von Ethik und Gemeinde anhand der Gottesdienstordnungen Zwinglis und Calvins verdeutlicht. Ethos wird hier verstanden als Raum, in dem Ethik expliziert und exploriert wird (297 f.). Das Verhältnis zur Ethik bestehe somit aus Nähe sowie reflexiver Distanz. Ethik lasse sich dabei nicht aus gottesdienstlichen Praktiken deduzieren, werde aber durch diese »tradiert« und »inspiriert« (324). Die Verbindung zur politischen Ethik zeigt sich dort, wo die sozialpolitische Verantwortung der Kirche deutlich wird (323), und in der Betrachtung von Calvins theozentrisch ausgerichtetem Obrigkeitsgebet (320). In diesem werden sowohl die Unterscheidungsnotwendigkeit der beiden Reiche als auch die Zusammengehörigkeit bei Calvin deutlich, etwa, indem der Staat die Aufgabe habe, den Gottesdienst zu ermöglichen (323). Der Schlussbeitrag des Bandes widmet sich dem Gelassenheitsgebet Reinhold Niebuhrs. Nach Ausführungen zur umstrittenen Herkunftsgeschichte (329–331) bietet H. eine tugendethische Einordnung des Gebets mit einer gabetheologischen Fokussierung: Die Bitte um Gnade sei allen anderen Bitten (um Gelassenheit, Mut und Weisheit) vorangestellt (336 f.). Der Zusammenhang mit Fragen der politischen Ethik ergibt sich erst gegen Ende des Beitrags mit dem Verweis auf die Aufgabe der Regierungsgewalt, Ziele von Freiheit und Gleichheit miteinander ins Gleichgewicht zu bringen (346).

Insgesamt bietet H. in dem vorliegenden Band eine angenehm lesbare Mischung unterschiedlicher Beiträge zu Fragen politischer Ethik, die sowohl als ganzes Buch als auch als Einzelbeiträge gut verständlich sind. Dass die Auswahl der Quellentexte vor allem auf männliche Perspektiven beschränkt ist, ist innerhalb der theologischen Ethik nicht überraschend, aber dennoch kritisch anzumerken. Anhand spezifischer historischer Texte und Kontroversen werden wissenschaftlich fundiert jeweils grundsätzliche ethische Fragestellungen behandelt und wertvolle Beiträge zur reformationstheologischen Forschung geboten.