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Ausgabe:

September/2023

Spalte:

859-861

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Wenz, Gunther

Titel/Untertitel:

Was ist der Mensch? Zu Wolfhart Pannenbergs Anthropologie.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2022. 318 S. = Pannenberg-Studien, 9. Geb. EUR 95,00. ISBN 9783525560761.

Rezensent:

Markus Firchow

Der Sammelband dokumentiert die auf dem 8. Münchener Pannenberg-Symposium im Oktober 2021 gehaltenen Vorträge zur Anthropologie, ergänzt um zwei weitere Beiträge und gerahmt durch drei Beigaben des Herausgebers sowie Leiters der ausrichtenden Forschungsstelle Gunther Wenz. Eröffnet wird dieses facettenreiche Konglomerat an anthropologischen Themen und Bezügen durch die 4. Pannenberg-Lecture des Göttinger Emeritus Joachim Ringleben zu Pannenberg und Hegel (15–38).

Dessen ebenso kundige wie »kritische Auseinandersetzung mit Pannenbergs Hegel-Kritik« (18) hat ihre Pointe erkennbar darin, dass letztere Kritik bei Hegel selbst gewissermaßen offene Türen einrennt. Das betrifft zuerst den von Pannenberg im Sinne Fichtes als »feststehende[n]« Ausgangspunkt interpretierten Subjektbegriff, der Hegels Konzeption einer werdenden »Selbsthervorbringung des Begriffs« und erst am Ende zu sich kommenden Subjektivität »fundamental widerspricht« (19 f). Unter der Annahme einer Übertragung jenes absoluten Subjekts auf den Gottesbegriff trifft seine Kritik dann auch die trinitarische Struktur, aus der die Schöpfung mit logischer Notwendigkeit und nicht aus einem freien Entschluss folge (26 f). Dies aber verkennt Hegels »Logik des dialektischen Übergangs vom Notwendigen zur Freiheit, d. h. die Freiheit als Wahrheit der Notwendigkeit« (28). Einen »unüberbrückbaren Gegensatz« wähnt Pannenberg sodann im Hinblick auf die »rein präsentische Eschatologie« (31) einer vermeintlich »zukunftslosen Gegenwart« des zu sich selbst gekommenen absoluten Geistes. Demgegenüber kann von einer »absolut offenen Zukunft« freilich keine Rede sein, wenn Pannenberg diese doch als eine der Welt zwar noch verborgene, aber in Christus schon offenbare auffasst (34). Dem »Hauptweinwand« schließlich, Hegel habe die Endlichkeit der Reflexion »illegitim übersprungen«, hält R. entgegen, dass die »Selbstunterscheidung« derselben vom Unendlichen bereits eine Überschreitung darstellt, die wiederum dialektisch als »Selbstvergegenwärtigung des Absoluten« (37 f.) zu begreifen ist.

Es folgen zwei – auf dem Symposium als »Tischvorlagen« (11) ausgegebene – Beiträge von Gunther Wenz, die sich mit Pannenbergs Nietzschekritik (39–77) sowie Heideggerbezügen (79–100) in seiner Persontheorie befassen. Der für ihn wesentliche Modus der »Antizipation« findet in Heideggers »Vorlauf« eine »entscheidende Argumentationsfigur« (80), nicht aber auf den eigenen Tod hin. Denn dass darin die »Eigentlichkeit und Ganzheit der Existenz« (95) keineswegs ermöglicht wird, stellt Pannenbergs »Zentraleinwand« dar (80f), »zerstört« der Tod doch gerade, was es nur »in der Erkenntnis Gottes« und »im Glauben« geben kann (97). Heideggers eigentliche »Kehre« sieht er dann auch im Scheitern dieses Theorieansatzes begründet (99 f.). Entscheidend aber ist für ihn die »Fundamentalthese«, dass »das In-der-Welt-sein überhaupt als die Grundverfassung des Daseins zu gelten habe« (82; vgl. 83–89), das gleichsam »im Werden begriffen« ist: »Personalität« stellt sich im »proleptischen Vorgriff auf Kommendes« ein (85 f.).

Den Anfang der Vorträge macht zurecht Klaus Vechtels (101–122) fundamentaltheologisch relevanter Versuch, Pannenbergs »Aufweis einer notwendig religiösen Dimension des Menschseins« (117), die vor dem Hintergrund einer »zunehmenden religiösen Indifferenz« (106) weder affirmiert noch bestritten wird, einer »vorsichtig relativierenden Relecture« (121) zu unterziehen: Insofern die Exzentrizität weniger natural als personal konturiert sowie zwischen intuierter Unendlichkeit und explizitem Gottesbezug differenziert wird, wäre in der »freien Selbstunterscheidung des Menschen von seinem göttlichen Grund« eine zwar nicht notwendige, aber doch »universale Möglichkeit zur Religion« gegeben, die sich auch in nicht-religiösen »Sinnentwürfen« realisieren lässt, ohne dass man sie deswegen für »defizitär oder schuldhaft« (120 f.) halten müsste. Gregor Etzelmüller (123–135) konfrontiert Pannenberg mit den »zentralen Einsichten des modernen Verkörperungsparadigmas« (125), dem er durch seinen Anschluss an die philosophische Anthropologie einerseits entspricht, andererseits aber spart er den Körper als empirischen Gegenstand um der »Freiheit und Subjektivität des Menschen« willen aus, anstatt ihn etwa im Anschluss an Phänomenologie oder Pragmatismus als Leib zu behandeln, dem »immer schon Subjektivität eingeschrieben ist« (127). – Jörg Noller (137–143) und Josef Schmidt (145–152) profilieren jeweils knapp Pannenbergs Begriff der menschlichen Person gegenüber klassischen Subjektivitätskonzepten.

Friederike Nüssel befasst sich mit der Rolle des affektiven Lebens (153–167) in Pannenbergs Anthropologie, die »Spannung von Exzentrizität und Zentralität« auf einer »präreflexiven Ebene« sowie das Gefühl als ebensolche Form der »Vorwegnahme des Lebensganzen zu erschließen« (158), worin es gleichsam »religiös gestimmt« (160) ist. Dabei fragt sie kritisch an, ob letzterer Vorgang tatsächlich »unmittelbar« oder nicht vielmehr »kulturell und sozial vermittelt« ist, und wie überhaupt »der christliche Glaube das affektive Leben prägt« (163 f.). – Thomas Oehl (169–181) bietet eine bemerkenswerte Kontrastierung der Offenbarung bei Rosenzweig und Pannenberg, dort als zweitpersonale Anrede, die eine Geschichte evoziert, hier als Geschichte, in der das dialogische Verhältnis als ein dialektisches von deus revelatus und absconditus, Sprechen und Schweigen erscheint. – Felix Körner (183–200) profiliert Pannenbergs nicht näher ausgeführte Legitimation politischer Ordnung als »Repräsentanz des göttlichen Rechtswillens« (186 f.) im Rückgriff auf andere Texte als Verhältnis »gegenseitiger Anerkennung« von Kirche und Staat. Was diesen als »Ordnungsmacht« dazu veranlasst, das »von ihr bezeugte Gottesreich mit seinen Mitteln« zwar »nicht voll«, aber überhaupt zu »verwirklichen« (198), bleibt jedoch unklar.

Johanne Kristensen (201–221) befasst sich mit Pannenbergs Verständnis der Sünde und Kritik an Kierkegaards Angstbegriff, um im Rekurs auf das Phänomen der Begierde schließlich eine konstruktive Relektüre zu versuchen. – Dirk Ansorge (223–244) und Paul Schroffner (245–271) rekapitulieren jeweils die Kontroverse zwischen Pannenberg und Pröpper im Hinblick auf das Verhältnis von Gnade und Freiheit. – Harald Fritsch (273–283) rekonstruiert Pannenbergs schöpfungs- und trinitätstheologische Vertiefung seiner frühen, eschatologisch begründeten Christologie durch Auseinandersetzung mit Joh 1 und Hegel. – Michael Murrmann-Kahl (285–296) befasst sich mit dem Geschichtsverständnis Pannenbergs am Ende seiner Anthropologie, deren theologische Perspektivierung den (unterstellten) Säkularismus der modernen Geschichtsauffassung zu kritisieren und revidieren sucht, ihr aber letztlich nur den Mangel an einem hinreichenden Endzweck menschlichen Handelns vor- und den Topos göttlicher Vorsehung entgegenhält. – Dass sich Pannenbergs Verständnis der Geschichte als »Bildungsprozeß des Menschen zu vollendeter Humanität« (292) einer konstruktiven Rezeption der Geschichtsphilosophie Herders und ihrer Konzeption einer ›werdenden Gottebenbildlichkeit‹ verdankt, zeigt die beigegebene Festrede von Gunther Wenz (297–315) zum 250. Jubiläum derselben.

Der Band hätte insgesamt etwas übersichtlicher gestaltet werden können, wenn etwa die zahlreichen Beiträge nicht streng chronologisch angeordnet (Lecture, Tischvorlagen, Vorträge, Ergänzungen), sondern thematisch arrangiert worden wären – gerade weil er sich durch die Vielfalt der Ansätze und Zugänge auszeichnet, die das Potenzial und die Probleme der Pannenberg’schen Anthropologie in einem ausgewogenen Verhältnis diskutieren.