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Ausgabe:

September/2023

Spalte:

820-822

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Jeon, Jaeyoung

Titel/Untertitel:

From the Reed Sea to Kadesh. A Redactional and Socio-Historical Study of the Pentateuchal Wilderness Narrative.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2022. XX, 418 S. = Forschungen zum Alten Testament, 159. Lw. EUR 159,00. ISBN 9783161612169.

Rezensent:

Stephen Germany

Diese Studie bietet eine literarhistorische und sozialgeschichtliche Untersuchung der Wüstenerzählung im Pentateuch, nämlich zu Ex 13–18*; Num 1–10*; 11–20*; 27*. Jaeyoung Jeon nimmt bereits in der Einleitung (Kap. I, 1–23) vorweg, dass er die Abfassung der »Wüstenerzählung« im Pentateuch vor allem in der Perserzeit verortet; dennoch seien in den Büchern Exodus und Numeri einige frühere Wüstentraditionen ebenfalls aufgenommen worden.

Gegenstand von Kapitel II (»Early Traditions in the Wilderness Narrative«, 25–56) ist die Identifikation dieser früheren Traditionen. Nach J. stammen z. B. die Darstellung der Eroberung des Ostjordanlandes in Num 21,21 ff., das Vorkommen der Sinai/Horeb-Thematik und die Station des Volkes in Kadesch aus »older memories and traditions that the biblical scribes could not ignore« (48). In welcher Form sich J. die Überlieferung dieser Tradition vorstellt, ist aber eher unklar: Die Wüstenüberlieferung »probably remained merely as a sort of postscript to the exodus narrative through the Neo-Babylonian period« (52). Ob dies als Erzählung konzipiert wird – und wo diese Erzählung ihr Ende fand – bleibt unbeantwortet.

In Kapitel III (»The Pre-Sinai Wilderness Narrative«, 57–167) widmet sich J. der Analyse von Ex 13–18, mit einem besonderen Augenmerk auf Ex 15,23–26; 16; 17,1–7.8–16; 18. Einen wichtigen Beitrag leistet J. in der Diskussion von motivischen Gemeinsamkeiten mit vorderasiatischen und ägyptischen Bildern und Texten, wie z. B. der Vergleich des Motivs von gehemmten Rädern in Ex 14,24–25 mit assyrischen Ominatexten (67), der Vergleich der täglichen Bereitstellung von Manna in Ex 16 mit der Zuteilung von Rationen an Reisende (Geschäftsleute, Militärs, Beamte) im persischen Straßennetz (90–94) und der Vergleich der gehobenen Hände des Mose in Ex 17,8–16 mit der ägyptischen Ikonographie der Perserzeit (120–132). Die komparative Analyse von Ex 18 beschäftigt sich hingegen primär mit innerbiblischen Bezügen (134–148). Am Ende von Kapitel III (148–167) erörtert J. die Ergebnisse seiner literarkritischen und historisch-kritischen Analyse von Ex 15,23–18,26 vor dem Hintergrund aktueller Theorien der Entstehung des Pentateuchs. Einem vorpriesterlichen Entstehungsstadium werden Ex 17,1–7* und Ex 18,1–12*.27 zugeordnet, wobei J. eine Art »Fragmentenmodell« voraussetzt: »With only these two rather unrelated episodes, it is hard to assume the existence of an independent narrative thread of a pre-Priestly wilderness narrative already in the pre-Sinai literary context« (151). Darüber hinaus habe die priesterliche Grundschrift (PG) – abgesehen von zwei Itinerarnotizen in Ex 16,1* und 17,1* – an der Abfassung von Ex 15,23–18,26 nicht teilgenommen. Im Umkehrschluss heisse dies, dass »[t]he present form of the pre-Sinai wilderness story has mostly been formulated at the post-PG stage« (151). Insofern findet J. das Ende von PG am Sinai (z. B. in Ex 40; Lev 9 oder Lev 16, wobei er keine eigene Stellung dazu nimmt) und ordnet die priesterlichen Erzählungen in Ex 15,23–18,26 (sowie im Numeribuch) einer jüngeren »Priestly Wilderness composi-tion/redaction« (PW) oder noch jüngeren Kompositionsschichten zu. Laut J. spiegelt PW einen anderen soziohistorischen Kontext als PG wider: Während PG versucht habe, zwischen den Interessen der im Land Gebliebenen und der Rückkehrer zu vermitteln, fordere PW eine Rückkehr der Diaspora und eine Einbindung in ihren theokratischen Gesellschaftsentwurf (165).

Wie bei Kapitel III ist eine besondere Stärke von Kapitel IV (»The Post-Sinai Wilderness Narrative«, 169–304) der Vergleich der fraglichen Texte (Num 1–10; 11; 12; 13–14; 16–17; 20) mit außerbiblischem Material sowie mit biblischen Texten außerhalb des Pentateuchs. In der Analyse von Num 1–10 setzt J. einen Schwerpunkt auf den Vergleich des israelitischen Wüstenlagers zum persischen »mobilen Königshof« und zeigt auf überzeugende Weise, dass Num 1–10 letzteres voraussetzt (169–191). Wie bei Ex 18 vergleicht er die Erzählungen in Num 11–17; 20 mit biblischen Texten außerhalb des Pentateuchs. Z. B. wird das Thema des Fleischkonsums in Num 11,4–35 mit dem Motiv des Banketts Nehemias (Neh 5,17–18) und seinem perserzeitlichen gesellschaftlichen Hintergrund verglichen (203–205). Zudem wird der Grundbestand von Num 12 vor dem Hintergrund der Debatte über Mischehen in Texten wie Dtn 7,1–6 und Esra 10 interpretiert, wohingegen eine jüngere Bearbeitung durch eine »Elders Redaction« (ER) die Autorität von Mose über diejenigen der Priester und der Propheten stellt (218–228). Die Analyse der Kundschaftererzählung in Num 13–14 (228–263) ist teilweise schwer nachzuvollziehen; dies kann darauf zurückgeführt werden, dass J. auf eine eigene umfassende literarkritische Analyse von Num 13–14 sowie auf einen gründlichen Vergleich von Num 13–14 und Dtn 1 verzichtet und lediglich auf einzelne Aspekte fokussiert (z. B. das Motiv der Kundschafter). Dabei bleibt der »Sitz in der Literatur« der vermeintlich nichtpriesterlichen Partien in Num 13–14 (eine Erzählung einer »aborted conquest from the south«, 262) sowie ihrer Parallelen in Dtn 1 unscharf (s. aber 306, wo J. andeutet, dass die nichtpriesterliche Erzählung in Num 13–14 aus der Perserzeit stammt und möglicherweise zwischen PG und PW zu verorten ist). In Num 16–17 (263–283) findet J. eine nichtpriesterliche Erzählung von Datan und Abiram und eine priesterliche (PW) Erzählung der 250 Fürsten der Gemeinde, die einst unabhängig voneinander waren und erst durch eine »Priestly Zadokite redaction« (PZ) miteinander verknüpft wurden. J. findet das Ende der »Priestly Wilderness composition/redaction« (PW) in Num 27,12–13*.18–23*; auch hier bleibt unklar, welchen »Sitz in der Literatur« (z. B. im Pentateuch bzw. im Hexateuch) dieses Ende hat.

Im letzten Hauptkapitel (Kap. V, »Features of the Wilderness Narrative«, 305–354) und im Fazit (Kap. VI, »Conclusions«, 355–360) bündelt J. die Ergebnisse der Detailanalysen. Eine Hauptthese von Kapitel V ist, dass das Grundgerüst der Wüstenerzählung im Pentateuch durch die »Priestly Wilderness composition/redaction« (PW) geschaffen wurde; eine vorpriesterliche Wüstenerzählung gebe es nicht, auch wenn einzelne vorpriesterliche Traditionen aus der Königszeit im rezipierten Text aufgenommen würden. Dieser Aspekt stellt eine ungelöste Spannung in der Arbeit dar: J. verortet die Vorstellung einer Wüstenzeit (wilderness period) bereits in der Königszeit (357), auch wenn die erste zusammenhängende Wüstenerzählung (PW) aus der Perserzeit stamme. Dabei bleibt unbeantwortet, worauf die früheren Einzeltraditionen erzählerisch gerichtet sind (z. B. stellt sich die Frage, ob sie auf eine Landnahmeerzählung gerichtet sind, und wenn dem so ist, in welcher Form dies artikuliert wird).

Die Stärke der Studie liegt einerseits in ihrem innovativen Bezug auf außerbiblisches Vergleichsmaterial (vor allem aus der Perserzeit) und andererseits in ihrem Fokus auf die möglichen Verfassergruppen hinter den verschiedenen Erzählsträngen und deren gesellschaftlichen Interessen (»Priestly Wilderness composition/redaction« [PW], »Priestly Zadokite redaction« [PZ], »Priestly Joshua redaction« [PJ], »Elders redaction« [ER] usw.), wobei J. die Beteiligung dieser Interessengruppen an einer schriftgelehrten »Debatte« zurecht betont.