Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Juli/August/2023

Spalte:

766-768

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Dam, Harmjan

Titel/Untertitel:

Evangelische Kirchengeschichtsdidaktik. Entwicklung und Konzeption.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2022. 743 S. m. Abb. = Studien zur religiösen Bildung, 24.Geb. EUR 148,00. ISBN 9783374071630.

Rezensent:

Martin H. Jung

Der aus den Niederlanden stammende Religionspädagoge Harmjan Dam gehörte zu den wenigen evangelischen Theologen, die – er selbst seit 2006 – über Kirchengeschichtsdidaktik reflektierten und publizierten. Nun hat er mit dem Ende seiner beruflichen Tätigkeit ein schon auf den ersten Blick beeindruckendes Kompendium vorgelegt. Auf den ersten Blick könnte man allerdings vermuten, dass auf 743 Seiten Fragen der Didaktik verhandelt werden. Dem ist aber nicht so. Der umfangreichste Teil des Buches ist nicht der Didaktik im engeren Sinn gewidmet, sondern gibt einen Überblick über die Behandlung kirchengeschichtlicher Themen in Schulbüchern seit der Reformation bis zur Gegenwart, was sich aus dem Titel des Wer- kes nicht sofort erschließt. Das Buch ist die, 2021 in Frankfurt am Main angenommene, Habilitationsschrift des Vf.s, der 1996 mit einer zeitgeschichtlichen Arbeit promoviert worden war.

Der geschichtliche Teil der Studie ist, zunächst einmal, eine fleißige, sehr fleißige Materialsammlung, die, abgesehen von den beiden allerletzten Geschichtsepochen (1968–1989, 1989–2005), zur Formulierung einer heutigen Kirchengeschichtsdidaktik nur wenig beiträgt. Interessant wäre es allerdings, die nunmehr dokumentierte Kirchengeschichtsrezeption wiederum einzubetten in den jeweiligen kirchen- und theologiegeschichtlichen Kontext und zu fragen und zu zeigen, wie Kirchengeschichte in der jeweiligen Zeit für theologische – und politische! – Zwecke instrumentalisiert wurde. Dies konnte freilich im vorliegenden Band nicht auch noch zusätzlich geleistet werden. Der Vf. musste sich auf wenige Andeutungen, zum Beispiel im Kontext des NS-Kapitels 1933–1945, beschränken. Aber sein Material steht nunmehr der allgemeinen Kirchen- und Theologiegeschichtsschreibung zur weiteren Verwendung zur Verfügung. – Während die Zeit vor 1803 nur wenig ergiebig ist (allerdings ist D. auch nicht vollständig, z. B. fehlen Ludwig Rabus und Christian Eberhard Weissmann, und Gottfried Arnold findet sich nur in zwei Anmerkungen), sprudeln die Quellen im 19. und 20. Jh. Als Epocheneinschnitte wählt der Vf. sinnvollerweise die Jahre 1870, 1918, 1945, 1968 und 1989.

Die Inhalte der behandelten Werke werden relativ detailliert, vielleicht etwas zu detailliert, referiert. Mit Blick auf die heute noch brauchbaren Dinge vermitteln sie den Praktikern unter den Lesern allerdings damit auch einen guten Eindruck von dem, was es zu bestimmten Themen gibt und was man damit anfangen kann.

Im Zentrum des Buches – versteht man es als aktuellen Beitrag zur Fachdidaktik – steht »[d]ie Konzeption einer an Kompetenzen orientierten Kirchengeschichtsdidaktik« (427). Dam entwickelt sein fachdidaktisches Modell auf der Basis der aktuell vorgeschriebenen Kompetenzorientierung und in Auseinandersetzung mit didaktischen Modellen für den profanen Geschichtsunterricht und definiert drei Typen des Kirchengeschichtsunterrichts im Rahmen des Religionsunterrichts, nämlich den »traditionserschließende[n]« (456), den »biografische[n]« (473) und den »ethische[n]« Typus (480). Für jeden Typus formuliert er dann mit ihm verbundene Kompetenzziele: die Wahrnehmung und Deutung des Christentums und der von ihm geprägten Kultur und Tradition (497), die Auseinandersetzung mit Personen aus der Vergangenheit im Dienst der Gestaltung des eigenen Christseins (498) und die Wahrnehmung und Beurteilung von ethischen Themen, die Christen in der Vergangenheit gestellt wurden (498). Dam schließt diese Darlegungen wie folgt: »Guter Kirchengeschichtsunterricht umfasst – wenn möglich in jeder Unterrichtsstunde, aber wenigstens in jeder Unterrichtsreihe – diese drei Kompetenzen.« (499) Man könnte fragen, ob es – im Anschluss an Gerhard Ebelings häufig zitierte, wenn auch etwas zu einseitige Definition der Kirchengeschichte als Auslegung der Heiligen Schrift, von Dam auch zitiert (283), aber nicht weiter aufgegriffen – nicht sinnvoll wäre, zusätzlich einen hermeneutischen Typ zu definieren und ein Kompetenzziel wie die Interpretation biblischer Aussagen und Texte anhand geschichtlicher Gestalten und Ereignisse.

Im Anschluss an das wichtige Kompetenz-Kapitel wendet sich Dam auf wenigen Seiten den Inhalten des Religionsunterrichts zu, wobei er neben der Bestimmung einschlägiger Inhalte durch die neuere Sekundärliteratur (Dierks, Lindner, Lachmann/Gutschera/Thierfelder) auf eigene Publikationen der Jahre 2018 und 2019 zurückgreift. Das Kapitel schließt mit einem, ebenfalls eigenen, Beispieltext, in dem er 2020 seinen von Corona-Quarantänen betroffenen Abiturienten »Quarantäne-Tipps« (529) aus der Geschichte des christlichen Mönchtums vorstellte: »In Zeiten von Corona von Mönchen und Nonnen lernen« (529).

Ausführlich und auf eine für die Praxis in der Schule sehr anregende und hilfreiche Weise werden anschließend »Methoden einer kompetenzorientierten Kirchengeschichtsdidaktik« vorgestellt (531), darunter die »Arbeit mit alten Gegenständen« (542), »Zeitzeugenbefragung« (551), »Ortserkundung« (554), »Kirchraumpädagogik« [sic!] (558), »historische Computerspiele« (566), »Simulationsspiele« (574) und den an den Bibliolog angelehnten »Historiolog« (580).

Dams Studie ist gleichermaßen für Kirchenhistoriker und Religionspädagogen relevant, sie gibt Kirchenhistorikern, die Religionslehrer ausbilden und deshalb in ihrer Lehre auch fachdidaktische Fragen einbeziehen wollen, gute Impulse und selbst den Praktikern in den Schulen gibt sie inhaltliche und methodische Anregungen zur Gestaltung des Religionsunterrichts.

Das Buch überzeugt auch durch eine sorgfältige und aufwendige Gestaltung und ein ansprechendes Layout mit vielen Bildern, Grafiken und Tabellen. Auch die Literaturverzeichnisse und Register sind lobend hervorzuheben. Sogar »Forschungsdesiderate« werden thematisiert und aufgelistet (422.626). Unverzeihlich und peinlich für einen evangelischen Theologen ist es aber, wenn Melanchthon falsch (»Melanchton«, 51 f.145.223.290.382 f.611.613.615 f.) geschrieben wird, nicht nur einmal, sondern konsequent, im ganzen Buch, mit Ausnahme der zitierten Titel der Melanchthon-Sekundärliteratur, z. B. 696. Und mehr noch erstaunt, dass das weder den beiden Gutachtern noch dem Frankfurter Fachbereich noch dem Verlag aufgefallen ist. Der Schreibfehler belegt noch einmal die von Dam mehrfach angesprochene Marginalisierung der Kirchengeschichte in der evangelischen Theologie im Allgemeinen und der evangelischen Religionspädagogik im Besonderen. Oder auch mangelhafte Griechischkenntnisse?