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Ausgabe:

Juli/August/2023

Spalte:

763-766

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Nagel, Rasmus

Titel/Untertitel:

Universale Singularität. Ein Vorschlag zur Denkform christlicher Theologie im Gespräch mit Ernesto Laclau, Alain Badiou und Slavoj Žižek.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2021. XIV, 466 S. = Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie, 84. Lw. EUR 124,00. ISBN 9783161597848.

Rezensent:

Rebekka A. Klein

Die 413 Seiten lange Studie zur politischen Denkform der Theologie von Rasmus Nagel ist 2019 an der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg als Dissertation eingereicht und seit 2014 unter der Betreuung von Philipp Stoellger verfasst worden. Neben der Auseinandersetzung mit den im Titel genannten Philosophen unternimmt sie eine weiterführende Deutung der Theologie Karl Barths und der in ihr entwickelten Rede von Jesus Christus als »letztem Wort« der Theologie. Sie bietet zudem eine weit über den üblichen Arbeitsstand einer Dissertation hinausgehende Diskussion des Universalitäts- und Wahrheitsanspruches der Theologie unter den Bedingungen der Spätmoderne.

Die Arbeit stellt eine der wenigen umfassenden und gründlichen Studien zum politischen Denken des Postmarxismus innerhalb der deutschsprachigen Theologie dar. Ihre Pointe ist es, sich in Abgrenzung zu den linken politischen Programmen, die im Werk der drei Philosophen entwickelt worden sind, als eine Studie zur politischen Struktur des Denkens und nicht zur Struktur und Seinsweise des Politischen oder der Politik zu verstehen. Das heißt, die Studie fokussiert auf den Wahrheits- und Universalitätsanspruch, der in diesen politischen Philosophien verhandelt wird, und möchte hiervon ausgehend den theologischen Anspruch, das Christusbekenntnis beinhalte eine allgemeingültige Wahrheit, neu klären. Diese subtile Wendung macht zunächst deutlich, dass politisches Denken auch über den Gegenstandsbereich der Politik und ihrer Ontologien hinaus für den Wahrheitsanspruch der Theologie (und ihr Wirklichkeitsverständnis) von eminenter Bedeutung ist. Die vorliegende Arbeit ist damit gerade keine Studie zur Politischen Theologie in dem Sinne, dass sie aus der Theologie heraus ein politisches Programm entfalten oder das »Nachleben« theologischer Souveränitätsvorstellungen in der modernen Politik aufdecken möchte. Vielmehr geht es ihr – so der Vf. – um die »politische Struktur« der Theologie und genauer um das Exklusionspotenzial, welches im christlichen Anspruch auf Universalität liegt. Dieses Exklusionspotenzial ist theologisch in erster Linie mit dem Bekenntnis zu Jesus Christus und der Berufung auf seinen singulären Namen verbunden. Daher sucht der Vf. dessen »Status« für die Theologie neu zu konfigurieren.

In der Einleitung werden Problemhorizont, Fragestellung und Vorgehen der Studie umsichtig skizziert. Es wird deutlich, dass N. sich bewusst in Zurückhaltung im Blick auf eine theologische Vereinnahmung seiner philosophischen Gesprächspartner üben möchte. Zugleich präsentiert er aber auch seine Beobachtung zu einer christologischen Imprägnierung ihres Denkens, indem er Laclau als Denker der Inkarnation, Badiou als Denker der Auferstehung und Žižek als Denker des Kreuzes vorstellt. Er betont, dass diese Charakterisierung eine kulturhermeneutische Funktion erfülle und nicht auf einem im engeren Sinne theologischen Selbstverständnis der Philosophen beruhe. Offen bleibt hingegen die Frage, wie damit umzugehen ist, dass die genannten Autoren zum Teil selbst von einer (materialistischen) Theologie im Hinblick auf ihre philosophischen Entwürfe sprechen. Ist dies nicht als Eingeständnis zu werten, dass ein Denken der Universalität ohne theologische Denkfiguren und -strukturen nicht auskommen kann – auch nicht im Bereich der Philosophie? Und sind die Denkbilder und -figuren von Inkarnation, Auferstehung und Kreuz für die drei Philosophen selbst tatsächlich nur »gedankliche Figuren mit illustrativer Funktion« (374)? An dieser Stelle zeigt sich, dass die klare Abgrenzung gegenüber dem Vorgehen einer Politischen Theologie und Theorie politischer Imagination, die der Vf. vorgenommen hat, sich nicht nur ermöglichend, sondern auch begrenzend im Blick auf den Fragehorizont seiner Studie auswirken kann.

Nach der Lektüre der Einleitung stellen sich zudem fundamentalhermeneutische Rückfragen: Warum spricht der Vf. von Denkformen und nicht einfach vom Denken der Theologie? Formulierungen wie etwa diejenige, dass die Theologie Denkformen »verwende« und von ihnen noch einmal zu unterscheiden sei (10), insinuieren, dass der Vf. meint, dass die Theologie (als geistiger Prozess?) Denkformen »bloß« in Anwendung bringt, anstatt in ihnen und durch sie (und niemals jenseits von ihnen) die Wirklichkeit Gottes zu ergründen. Eine alternative Herangehensweise wäre es gewesen zu fragen, inwiefern spezifische Denkformen und -bilder den Weg der Theologie, ihre Aufgabe und ihre Suche nach Verstehen prägen und imprägnieren – vielleicht sogar mehr und anders als ihr lieb ist – und in welchen Umbesetzungen der Formen sie fortgeschrieben oder durchbrochen werden.

Bevor der Vf. in den Kapiteln 4–6 auf meisterliche Art und Weise in eine Auseinandersetzung mit Laclau, Badiou und Žižek eintritt, entwickelt er in den vorangehenden Kapiteln eine Exposition seiner Problemstellung und zugleich eine Negativfolie seiner eigenen Argumentation. So zeigt er in einem ersten Schritt auf, wie in jüngerer Zeit – vor allem in der Debatte um J. Assmanns Monotheismuskritik – eine Politisierung der Wahrheitsfrage der Religion betrieben worden ist. Diese finde ihre Grenze und zugleich ihren Kulminationspunkt an der Christologie, insofern sich in dieser auf ein unvergleichliches und unüberbietbar neues Ereignis Gottes mit dem Menschen bezogen wird. Die Christologie sei daher stets jener »Ausnahmefall«, welcher sich auch durch einen »maximal-inklusiven« Begriff der Religion nicht wirklich einbinden lasse und zugleich offenbare, inwiefern jeder religionstheoretische Inklusivismus die Exklusion gleichsam mit an der Hand führe und darin in einen Selbstwiderspruch gerate. Dies zeige sich gerade auch in religionstheologischen Vermittlungskonzeptionen wie derjenigen F. Schleiermachers oder R. Bernhardts, in denen vehement versucht werde, die Christologie unter Kontrolle zu bringen, indem das Außerordentliche programmatisch exkludiert, als das Besondere eines Allgemeinen integriert und damit reduziert wird.

In einem weiteren Schritt hebt der Vf. seine These vom gravierenden Exklusionspotenzial des Inklusivismus auf eine Metaebene. Ausgehend von einer panoramaartig angelegten Zusammenschau der philosophischen Enzyklopädie zeigt er auf, inwiefern jede Rede von einer Besonderheit des christlichen Gottes notwendig in der Logik der Unterscheidung von einem Allgemeinen verfangen bleibt und daher das Außerordentliche exkludiert. Als persistierende Denkform, die dies ermöglicht, identifiziert der Vf. das im Neuplatonismus entwickelte Denkbild des porphyrischen Baumes, welches noch für die Hegel’sche Logik der Selbstvermittlung im absoluten Geist einschlägig ist. Durchbrochen werde dieses Denkbild im 19. Jh. durch die von S. Kierkegaard eingeführte Ausnahme: die Existenz des Einzelnen. Sie gewinnt in Abrahams Glauben und der Opferung seines Sohnes ihre paradigmatische Gestalt. Die Abkehr von der ethischen Forderung, das eigene Handeln dem Allgemeinen zu subsumieren, bricht dem Vf. zufolge mit der »Macht« der Enzyklopädie und ermöglicht Emanzipation. Einen neuen Ort der Universalität bestimmen des Weiteren auch L. Wittgenstein mit seinen Sprachspielen sowie das von Deleuze und Guattari entwickelte Denkbild des rhizomatischen Netzwerkes, welches allerdings trotz seiner Ablehnung hierarchischer Ordnungsmodelle in seiner Privilegierung einer monistischen Totalperspektive mit diesen verbunden bleibt.

Nach dieser ausführlichen Problemexposition entwickelt der Vf. im Gespräch mit Laclau, Badiou und Žižek die von ihm favorisierte Denkform einer universalen Singularität fort, welche den Spielraum für das Außerordentliche und dessen die Ordnung(en) durchbrechende Kraft anerkennt. Hier erweist sich insbesondere die von Badiou im Gespräch mit den Texten des Apostels Paulus entwickelte Theorie eines singulären Wahrheitsereignisses sowie die von Žižek vom leidenden Gott am Kreuz her entwickelte Theorie eines Traumas des Realen als wegweisend, indem sie den Vf. dazu anleiten, die Kategorie des Singulären und Außerordentlichen konsequent ereignis- und nicht begriffslogisch auszulegen.

Die abschließenden Überlegungen zur Theologie Karl Barths bewegen sich auf einem herausragenden Niveau. Nach einer Zusammenschau und Bewertung prominenter Barth-Deutungen von Rendtorff, Wagner und Graf bis zu von Balthasar und Korsch entwickelt der Vf. seine eigene Deutung Barths in selbständig weiterführender Form. So fragt er kritisch an Barth zurück, wo dieser dem »letzten Wort« der Theologie treu geblieben und die Logik theologischer Rede ganz als Ereignislogik gedacht habe. Dabei fokussiert er Barths Versuch, den Namen Jesu Christi als Eigennamen in einer prekären Mittelstellung zwischen Christus selbst und dem Zeugnis von ihm zu verorten und parallelisiert dies mit Badious Theorie eines Eingriffs: Der Verweis auf den Eigennamen Christi sei ein Zeigen auf den Gekreuzigten, welches ihn als Wahrheitsereignis gleichsam »zur Welt bringe«, also Namensgebung sei. Zu erkennen, dass die Namensgebung eine mediale Eröffnungsgeste und damit ein Wechsel ins Register des Dritten ist, habe Barth selbst sich allerdings handlungslogisch verstellt. Konsequent und weiterführend sei das Zeigen auf das Ereignis der Wahrheit jedoch so zu deuten, dass es eine mediale Eigendynamik der Gottesoffenbarung anerkenne: Allein im singulären Namen sei die »unmögliche Ereigniswirklichkeit Jesu Christi« und mit ihr die »Selbstfestlegung Gottes auf seine Medien« Theologie und Kirche zugänglich (391). Zugleich können diese das Ereignis nur partikular bezeugen, ohne der Universalität seiner Wirklichkeit selbst inne zu werden.

Die Studie des Vf.s zur universalen Singularität als Denkform der Theologie setzt neue Maßstäbe, insofern sie zum einen die Rezeption des postmarxistischen Denkens in der Theologie auf ein neues Niveau hebt und andererseits auf fruchtbare Weise die Bedeutung dieses Diskurses für das Wahrheitsverständnis und die Episteme der Theologie herausarbeitet. Der Vf. zeigt zugleich, dass und inwiefern die Theologie auch dort »politisch« denkt, wo sie sich mit Politik im engeren Sinne gar nicht beschäftigt. Die Thesen der Arbeit haben damit nicht nur Implikationen für die Prolegomena der christlichen Dogmatik oder für die Fundamentaltheologie, sondern auch für den Öffentlichkeitsanspruch einer theologischen (politischen) Ethik, die es mit Verweis auf Übersetzungsnotwendigkeiten und Vermittlungsprozesse ablehnt, den Namen Jesu Christi explizit zu nennen.