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Ausgabe:

Juli/August/2023

Spalte:

758-759

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

East, Brad

Titel/Untertitel:

The Church’s Book. Theology of Scripture in Ecclesial Context. Foreword by S. E. Fowl.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2022. 408 S. Geb. US$ 49,99. ISBN 9780802878151.

Rezensent:

Martin Hailer

Das Buch von Brad East entstand aus seiner Dissertation (Yale University 2017, Kathryn Tanner) und hat mit »The Doctrine of Scripture«, Eugene OR 2021, ein Seitenstück, dessen Hauptergebnisse in Teil III des vorliegenden Bandes einfließen. E. ist Assistant Professor am Department of Bible, Missions and Ministry der Abilene Christian University (Texas, USA). Sein Buch geht den Verbindungen aus Lehre von der Schrift und Ekklesiologie nach:

Zweifellos gründet die Kirche (auch) in der Schrift, aber sie ist eben auch deren Subjekt, Tradentin usw. Der Zirkel wird unauflösbar sein, rechtfertigt aber allemal seine nähere Betrachtung. Der Vf. unternimmt dies, indem er drei distinkt unterschiedliche Schriftlehren in der neueren evangelischen Theologie analysiert, die alle, sei es rezipierend oder mit kritischer Distanz, Bezug zu Karl Barth aufweisen: John Webster, Robert W. Jenson und John H. Yoder. Teil I des Buches skizziert das systematisch-theologische Problem, Teil II ist eingehenden Analysen der Schriftlehre der drei Genannten gewidmet, in Teil III findet eine zusammenfassende Diskussion der Ergebnisse statt, die – über ein Summarium deutlich hinaus – das systematisch-theologische Gesprächsangebot des Vf.s darstellt.

Teil I: »Every account of the Bibel both assumes and implies an account of the church, and vice versa; the lines of influence are reciprocal and circular.« (20) Das ist einsichtig. Der Vf. macht seine Position freilich bereits auf den ersten Seiten deutlich. Er behauptet »the significance of the precedence of God’s people to God’s word written« (4). Drei Gründe: Die Erwählung und Heiligung des Volkes Gottes geht der Kanonbildung voraus; die Kirche hat die Schrift zusammengestellt, tradiert sie und hat sie im liturgischen Gebrauch; der Zweck der Schrift ist das Leben des Volkes Gottes (ebd.). Untermauert wird dies mit Erwägungen zum theologischen Gebrauch der Schrift, also zu ihrer kirchlichen Indienstnahme, die zu ihrer wissenschaftlichen Erforschung nicht in Widerspruch stehen muss, sich von ihr aber unterscheidet. Um den Kontext für die in Teil II folgenden Analysen deutlich zu machen, schließt Teil I mit einer Exposition der Schriftlehre Karl Barths. Der Vf. sieht hier vor allem eine Befreiungsbewegung am Werk: Barth nehme die Bibel den Kritikern aus der Hand: »returning it to pride of place in the church’s pulpit, and stepping back to let it speak for itself« (41). Wenn das auch etwas unterkomplex gesehen sein mag, so ist die auf einen Durchgang vor allem durch § 19 der Kirchlichen Dogmatik (»Gottes Wort für die Kirche«, KD I/2, 505–598) vorgestellte Liste von zehn Themen, die Barth der Diskussion weitergab, interessant (64–66). Hier geht es unter anderem um die christologische Verankerung, das Verständnis von Offenbarung als solcher und nicht zuletzt um das Verhältnis von Kirche und Israel.

In Teil II werden zuerst die entsprechenden Arbeiten von John Webster (1955–2016) besprochen. Obschon anglikanischer Priester, ist bei ihm das Erbe Barths und Calvins besonders merklich. Der Vf. ordnet ihn deshalb auch dem reformierten Typ der Schrifttheo-logie zu. Deren hervorstechendes Merkmal ist, dass die Schrift der Kirche vorausliegt: Von der Bibel hört die Kirche, was sie zu hören hat, aber sie hört dabei nicht ihre eigene Stimme (69). Das liegt vor allem daran, dass die Schrift wesentlich Mittlerin und Medium Jesu Christi ist. Schriftautorität kann also niemals Autorität der Kirche selbst sein, sie ist Autorität, die über die Kirche ausgeübt wird. Die Kirche tut gut daran, wesentlich hörende Kirche zu sein (87.98). Hier aber sieht der Vf. das Paradox, dass die Kirche der Schrift bei Webster unterworfen ist, aber dennoch als Trägerin der Erwählung viel wichtiger ist als diese (121). Können andere dieses Paradox besser auflösen? Bei dem in der anglophonen Theologie weithin bekannten Lutheraner Robert W. Jenson (1930–2017), dessen Sammelband The Triune Story (Oxford 2019) er herausgab, ist der Vf. optimistisch. Jenson wird – für europäische Ohren ungewöhnlich – dem katholischen Kirchentyp zugeordnet, für den das bischöfliche Amt und ein Bezug auf Liturgie, Sakrament und Lehre, die auch vor dem 16. Jh. in Geltung standen, wesentlich ist (33.151). Hier gilt ganz klar: Die Bibel »is a product of the church« (128). Ohne lehrhafte Entscheidungen der Kirche würde es keine Schrift geben. Entsprechend ist es die Freiheit der Kirche, Bibelleserin zu sein, woraus sie nicht zuletzt Freiheit im Umgang mit philosophischer Theologie gewinnt. Die Bibel ist das Buch der Kirche und das Buch des Heiligen Geistes, der wiederum der Gemeingeist der Kirche ist. Hier scheint dem Vf. Zurückhaltung angebracht: Der Hl. Geist ist nicht Eigentum der Kirche, sondern »alien […], a troublemaker« (165). Das ist ein barthianischer (und Webster'scher) Zug, der auf die ansonsten sehr zugewandte Jenson-Darstellung ein kritisches Licht wirft. Auch für den mennonitischen Theologen John H. Yoder (1927–1997) ist die Bibel »the church’s book«. Vor der Analyse dieser Position steht eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob durch Yoders Taten sexuellen Missbrauchs sein Werk so kontaminiert ist, dass sich die Auseinandersetzung verbietet. Der Vf. verneint dies mit Blick auf die Autor-Werk-Differenz und mit hamartiologischen Erwägungen (177–194). Yoder, Exponent täuferisch-baptistischer Tradition (34), liest die Schrift als das theologisch-sozial-politische Dokument der gläubigen Gemeinschaft. Sie besiegelt den Unterschied von Kirche und Welt und ist u. a. als Grund scharfer Theologie- und Kirchenkritik (Stichwort: Konstantinische Wende als Sünde der Kirche) lesbar. Das trifft auf merkliche Kritik des Vf.s, auch da, wo Yoder zur Identifikation von christlicher Gemeinschaft und Evangelium neigt (220.229.236).

Teil III führt die Argumente zusammen. Als Axiom gilt: »bibliology just is ecclesiology in the outworking of its implications for Scripture« (255, i. O. herv.). Im Rahmen dieser Prämisse macht der Vf. als Themen einer Schriftlehre fünf Verhältnissetzungen aus: Göttliches und menschliches Handeln, theologische und his-torische Lesart der Schrift, Metaphysik und Moral, Autorität von Schrift und Kirche, offene und determinierte Bedeutung der Schrift, also »rote Linien«, die keine Schriftauslegung je überschreiten darf.

Der Band endet mit Grundlinien einer Ekklesiologie, die die Grundlage für eine verantwortliche Lehre von der Schrift sein soll. Die Typologie der drei herangezogenen Schriftlehren taucht hierbei wieder auf. Im katholischen Paradigma ist die Kirche »deputy« (Stellvertreter): Der Herr der Kirche beauftragt eben diese, an seiner Stelle zu dienen, zu handeln und zu sprechen (304). Die Kirche im reformierten Paradigma ist »beneficiary« (Nutznießerin/Begüns-tigte) der Schrift. Diese enthält den kompletten Stifterwillen und sorgt so für das Wohlergehen der Nutznießerin. Sie ist »legal heir and addressee – of God, the testator« (308). Für das baptistische Modell bezeichnet der Vf. die Kirche als »vanguard« (Vorhut): Sie ist wahrhaft ecclesia militans, Elitegemeinschaft mit einer Aufgabe, die ins nicht zugehörige, ja feindlich gesonnene Feld geschickt wird (311). Ganz zum Schluss werden noch einmal klassische Fragen der Schrifthermeneutik benannt.

Der Vf. legt eine analytisch klare, gelehrte und konstruktive Studie über das Verhältnis von Schriftlehre und Ekklesiologie vor. Kritiken sind mitunter deutlich, jedoch fair und übergehen auch die positiv rezipierte Position Robert W. Jensons nicht. Die ekklesiologische Typologie gegen Ende des Bandes verwendet sprechende Bilder und könnte dem notorisch schwierigen ökumenischen Gespräch auf diesem Feld aufhelfen. Zeitigt eine theologische Schrifthermeneutik (auch) hier positive Effekte, dann hat sie viel erreicht.