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Ausgabe:

Juli/August/2023

Spalte:

733-734

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Bietenhard, Benedikt u. Stefanie Blaser

Titel/Untertitel:

Geschichte der theologischen Fakultäten der Universität Bern 1834–2001.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2020. 516 S. Kart. EUR 58,00. ISBN 9783290183523.

Rezensent:

Steffen Götze

Die Historikerin Stefanie Blaser und ihr Vater Benedikt Bietenhard, langgedienter Berner Dozent für Hebräisch, späterer Titularprofessor der Fakultät und Sohn des Berner Neutestamentlers Hans Bietenhard, legen eine materialreiche Geschichte der theologischen Fakultäten der Universität Bern vor. Das Auftragswerk entstand unter reger Mitarbeit zahlreicher Fakultätsmitglieder, die im Vorwort herzlich verdankt wird.

Nach der von Konrad Schmid verantworteten und 2016 erschienen Geschichte der Zürcher Theologischen Fakultät (Schmid: Die Theologische Fakultät der Universität Zürich. Ihre Geschichte von 1833 bis 2015) und dem 2019 von Angela Berlis, Stephan Leimgruber und Martin Sallmann herausgegebenen dritten Band zu Schweizer Theologinnen und Theologen des 19. und 20. Jahrhunderts ergänzt die Darstellung von B. und B. eine wichtige Facette zur lebendigen und vielfältigen theologischen Landschaft der Schweiz.

Vieles trägt das Autorenduo aus der Sekundärliteratur zur Universitätsgeschichte und einschlägigen Einzelstudien zusammen. Die Angaben zu den Einzelpersonen stammen überwiegend aus dem Historischen Lexikon der Schweiz, gelegentlich auch von wikipedia (60, 89, 330 u. ö.). Wichtige Referenzen sind die Arbeiten von Ulrich Im Hof (Hohe Schule – Akademie – Universität), Rudolf Dellsperger (v. a. Staat, Kirche und Politik im Kanton Bern von der Reformation bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts) und Kurt Guggisberg (Bernische Kirchengeschichte und Bernische Kirchenkunde). B. und B. ergänzen das Material durch eigene Archiv-Recherche und setzen für ihre Darstellung einen eigenen Schwerpunkt: Sie wollen die Geschichte der universitären Theologie in Bern »von ihren politischen Aspekten her« (11) angehen. Das heißt konkret, dass sie die Interdependenzen von kantonaler Erziehungsdirektion, reformierter Syn-ode, christkatholischem Bischofsamt und den Fakultäten detailliert rekonstruieren. Für solche Leser und Leserinnen allerdings, die nicht näher mit den Berner Verhältnissen vertraut sind, fehlen angesichts dieser thematischen Fokussierung grundlegende Erläuterungen zur politischen Landschaft und den theologischen Affinitäten der kantonalen Funktionsträger sowie zum rechtlichen Rahmen der Verschränkung von Kanton, Kirche und Universität.

Die Darstellung ist in vier große Abschnitte untergliedert: Der erste reicht von der Vorgeschichte der Universitätsgründung bis zum Ersten Weltkrieg. Er leuchtet die näheren Umstände der Etablierung der evangelisch-theologischen Fakultät 1834 sowie ihre ersten Jahre aus. B. und B. behandeln zudem ausführlich die Einrichtung der christkatholischen Fakultät 50 Jahre später. Das Autorenduo – das zeigt sich schon hier – nimmt den Plural der Titelformulierung sehr ernst. Sie verlieren die kleinere christkatholische Fakultät über die gesamte Darstellung hinweg nie aus den Augen und würdigen auf diese Weise ihren Beitrag zur einmaligen Charakteristik des theologischen Hochschulstandorts Bern.

Der zweite Abschnitt behandelt die erste Hälfte des 20. Jh.s, der dritte die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Die thematisch ausgerichteten Unterkapitel durchbrechen den von dieser Gliederung vorgegebenen Zeitrahmen. Das Autorenduo setzt dadurch bemerkenswerte Akzente. B. und B. arbeiten anschaulich – der gewählten Leitperspektive folgend – die Jahrzehnte andauernde hochschulpolitische Lähmung der Fakultät als das Resultat persönlicher Streitigkeiten und vor allem theologisch-positioneller Uneinigkeit heraus. Ein weiteres Längsschnittthema, das viel Raum in der Darstellung einnimmt, ist die sich verändernde Stellung der Frauen an der Universität, im Lehrkörper der Fakultäten und in den Kirchen. Die thematische Aufbereitung des Stoffs führt jedoch auch zu Redundanzen, besonders im sehr ausführlich traktierten Zeitraum von der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jh. bis in die 60er Jahre des 20. Jh.s.

Aus dem Geflecht von Namen und Daten ragen manche exemplarisch ausgewählten Episoden heraus: Sehr lesenswert sind die Passagen über das belastete Verhältnis der Berner Fakultät zu Karl Barth (156–175.179–185). Hier tragen B. und B. aus den Archiven neue Aspekte zur zeitgenössischen Rezeption des theologischen Shootingstars bei. Der Abschnitt zur heiklen Personalie des deutschen Neutestamentlers und aktiven Mitglieds der NSDAP Wilhelm Michaelis (191–207) veranschaulicht eindrücklich, vor welche Herausforderungen das nationalsozialistische Regime in Deutschland die akademische Theologie in der Schweiz und die Berner Politiker mit liberalem Gesellschaftsverständnis stellte. Lebendige Einblicke in das studentische Leben an der Fakultät gewähren die bisher unveröffentlichten Berichte von Hans und Andreas von Rütte (115–122, 217–228).

Im vierten Abschnitt werden schließlich die jüngeren institutionellen Veränderungen thematisiert wie z. B. der Zusammenschluss der beiden theologischen Fakultäten oder die Etablierung der Judaistik. Weitere Entwicklungen seit der Jahrtausendwende werden, wie der Untertitel bereits anzeigt, allenfalls angedeutet. Zudem finden sich hier übergreifende Längsschnitte z. B. zu den theologischen Rektoratsreden sowie eine lange Passage zur Statistik.

Die Darstellung orientiert sich überwiegend an den Professorinnen und Professoren. Die übrigen – wenigstens für die moderne Universität – unverzichtbaren Statusgruppen kommen demgegenüber zu kurz: Die Entstehung des Mittelbaus und die damit einhergehende Veränderung des akademischen cursus honorum werden zwar thematisiert, die Leistungen dieser Gruppe in Wissenschaft und Lehre sind jedoch im Anhang versteckt. Diejenigen, die die Fakultät administrativ am Laufen halten, kommen nur ganz am Rand vor. Schließlich die Studierenden: Abgesehen von der vorausgesetzten, schematischen Unterteilung in liberal, positiv, vermittlungstheologisch und später auch dialektisch erfährt man wenig Detailliertes über die konkreten theologischen Positionen, die sie in Bern hören konnten. Im Sinn einer Geschichtsschreibung von unten ließen sich die Berichte der von Rüttes diesbezüglich um weiteres Material ergänzen. Die Vorlesungsverzeichnisse und Kurrikula finden kaum Beachtung, ebenso die Karrierewege der Absolventen.

Eine Fakultätsgeschichte ist gewiss ein Fass ohne Boden und bleibt stets ergänzungsbedürftig. Der gewählte Fokus auf die Beziehung zu den politischen Institutionen in der Darstellung von B. und B. bildet ein stabiles Gerüst für den Durchgang durch die Fakultätsgeschichte und ist ein guter Ausgangspunkt z. B. für theologiegeschichtliche Vertiefungen. Für die Forschung sind vor allem die zahlreichen Beigaben zur historischen Darstellung eine Fundgrube: Abgesehen von Bibliographie und Personenregister bieten B. und B. Anhänge zum wissenschaftlichen Personal, zu den verliehenen Titeln, ferner anschaulich aufbereitete Statistiken und manches mehr. Eine Ergänzung zu den überaus verdienstvollen Zusammenstellungen sei gestattet: Die Rektoratsrede des Neutes-tamentlers Rudolf Steck von 1897 mit dem Titel Die Piscatorbibel und ihre Einführung in Bern im Jahre 1684 sollte in die einschlägige Liste eingefügt werden.