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Ausgabe:

Juli/August/2023

Spalte:

730-732

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Lamb, Michael

Titel/Untertitel:

A Commonwealth of Hope. Augustine’s Political Thought.

Verlag:

Oxford u. a.: Princeton University Press 2022. 448 S. Geb. £ 30,00. ISBN 9780691226330.

Rezensent:

Marius Menke

Augustinus von Hippo gilt in der Politischen Philosophie und Theorie als einer der großen Pessimisten der Ideengeschichte, der eher die Ruhe der himmlischen Ewigkeit als die Geschäftigkeit der irdischen Agora im Blick hatte. In der Rezeptionsgeschichte augustinischen Denkens im 20. Jh. war die politische Ethik des Augustinus einer der Hauptreferenzpunkte des Realismus bei Hans J. Morgenthau und Reinhold Niebuhr, dann auch bei Herbert A. Deane. Sie meinten, Augustinus wolle die politische Hoffnung auf Frieden zerstreuen, indem er die Faktizität des Bösen hervorhob und die Bürger ermutigte, ihre Hoffnung stattdessen in den Himmel zu setzen.

Der augustinische Liberalismus – die im 21. Jh. einsetzende neueste Variante des politischen Augustinismus – stellt diese vorherrschende Interpretation in Frage und erarbeitet eine neue Perspektive des politischen Denkens bei Augustinus. Theologen und Theologinnen wie Eric Gregory, Charles Mathewes, Jennifer Herdt oder Rowan Williams bieten eine originelle Relecture augustinischen Denkens, die der Interpretation einer pessimistischen Anthropologie eine optimistische Moralpsychologie entgegensetzt. Dieser – in der protestantischen Theologie im englischsprachigen Raum bereits zu einer politischen Theologie avancierte – Ansatz fokussiert sich dazu insbesondere auf Tugendethik im Allgemeinen und den augustinischen Liebesbegriff im Besonderen. Man merkt, eine neue Generation der Augustinus-Forschung bricht sich Bahn, die sich endlich vom langen Schatten des »Hyper-Augustinismus« (Charles Taylor), von Missverständnissen und Fehlinterpretationen befreien will (5–10).

Beruhend auf der Augustinus-Forschung des 20. Jh.s – die bereits einige Missverständnisse richtigstellen und Vorurteile abbauen konnte – formuliert der augustinische Liberalismus eine aktualisierte Fassung des Verhältnisses von civitas Dei und civitas terrena, unter den Bedingungen einer modernen, säkularisierten und pluralen Gesellschaft. Die Gründe für eine augustinische Interpretation der Theorie des Politischen Liberalismus liegen in den sozio-politischen Verwerfungen des 20. Jh.s, hervorgerufen durch die Erfahrung des Totalitarismus, die Erfindung der Atombombe, das Erleben des Vietnam-Kriegs und die Anschläge auf das World Trade Center, sowie Globalisierung und Säkularisierung. Die meisten Beiträge im Kontext des augustinischen Liberalismus sind vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen nicht nur als Beitrag zur klassischen Augustinus-Forschung zu verstehen, sondern aus einem interdisziplinären – ethischen, historischen, politischen, soziologischen – Bemühen heraus entstanden.

Die hier zu besprechende Monographie von Michael Lamb, Associate Professor of Interdisciplinary Humanities an der Wake Forest University in North Carolina, steht in dieser Tradition (275–282). Als Doktorand an der Princeton University und Rhodes Scholar an der University of Oxford verfasste er – in engem Austausch mit den herausragenden Vertretern und Vertreterinnen der englischsprachigen Augustinus-Forschung – einen originellen Beitrag, der sich nahtlos in die junge Rezeptionsgeschichte des augustinischen Liberalismus einfügt und zugleich eine wichtige eigenständige Weiterentwicklung bedeutet: Denn erstmals liegt hier eine auf profunde Textkenntnisse gestützte Analyse des Begriffs der Hoffnung bei Augustinus vor, die zugleich eine so anschauliche wie gut begründete Erweiterung in das Anwendungsfeld politischen Handelns bietet.

Angesichts zunehmender sozialer Ungleichheit und Ungerechtigkeit, argumentativer Uneinigkeit und politischer Spaltung gerade auch in Demokratien westlicher Prägung, fragen sich viele Bürger und Bürgerinnen, was sie von der Politik erhoffen können und ob es möglich ist, in einer polarisierten Gesellschaft die Erfahrung einer gemeinsam geteilten Hoffnung zu machen (167–201). Dies gilt umso mehr, wenn man den aktuellen gesellschaftspolitischen Kontext in den USA berücksichtigt, an der Schwelle zu einem Kulturkampf, der sich im exklusivistischen Modus des Links-Rechts-Antagonismus entfaltet. In dieser Gemengelage sei es jedoch gerade die Aufgabe der christlichen Staatsbürger, die dem christlichen Glauben zutiefst eingelegte Hoffnung auf Vollendung und Heilung der Welt in den Mittelpunkt ihres Lebens zu stellen. Nicht stille Resignation, sondern gespannte Hoffnung kennzeichnen ihr öffentliches Sprechen und Handeln (148–166). Dieses Argument ist gerade deshalb von Bedeutung, weil Christen angesichts rein weltlich-politischer Herausforderungen nicht selten zu außerweltlichem Eskapismus und innerweltlicher Apokalyptik neigen.

Eine solche Haltung, so L., sei mit Augustinus jedoch nicht durchzuhalten. Zwar sei es korrekt, dass eine gewisse eschatologische Spannung bestehen bleibe, denn die Hoffnung ist immer auf eine noch nicht bekannte Zukunft bezogen, wie es Augustinus in seiner Geschichtstheologie und mit ihm L. nicht müde werden zu betonen. Wichtiger aber ist L. einerseits die motivationale Kraft der Hoffnung herauszustellen und andererseits die augustinische Hoffnung als wesentliches Bindeglied zwischen innerlicher Kontemplation und äußerlicher Aktion zu verdeutlichen. Anders gesagt, die Wirklichkeit der Gottesliebe und die Hoffnung auf uneingeschränkte Erfahrung dieser Gottesliebe drängen zu einer caritativ ausgerichteten Anwendung im politischen Bereich. Daher verbindet L. im Anschluss an Eric Gregory die Hoffnung auf das zukünftige Leben mit dem, was diesem zukünftigen Leben Gestalt geben soll: der Liebe (32–46). Die ethische Frage »Was soll ich tun?« wird so eng an die heilsgeschichtlich konnotierte Frage »Was darf ich hoffen?« gebunden. Der pilgernde Gläubige erfährt bereits in diesem irdischen Leben die ewigen Güter anfanghaft und soll – begleitet durch das Handeln der Kirche – im Laufe des Lebens einübend in sie hineinwachsen. Die Vervollkommnung und den genießenden Besitz der ewigen Güter – das heißt eine perfekt harmonische Beziehungsgemeinschaft, in der Leid, Schmerz, das Böse und der Tod nicht mehr existieren – erhoffen die Christen hingegen von der Zukunft des ewigen Lebens (49).

In seinen zahlreichen Predigten und Briefen habe der Kirchenvater seine Zuhörer ermutigt, auf das Wohlergehen der Stadt zu hoffen – und gleichzeitig aktiv etwas dafür zu tun (47–116). Ebenso beschreibe Augustinus das ausschließlich im Saeculum Gestalt annehmende Verhältnis zwischen Christen und Nicht-Christen, die miteinander handeln und gemeinsame Strebensziele identifizieren, um ihr Leben auf der Erde zu verbessern (230–262). Aus der Augustinus-Interpretation nach L. folgt schließlich das, was man eine »liberale« Vorstellung einer pluralistischen Gesellschaft nennt, die sich dem zeitlichen Frieden und der vorrangigen Option für die Armen verschrieben hat. Die augustinische Hoffnung als von allen Menschen in der ein oder anderen Form geteilte Geistesregung, wirkt in der Interpretation von L. geradezu wie eine sozial-integrierende Tugend, die die imaginierte Grenze von Religiosität und Säkularität im öffentlichen Raum transzendiert und die unterschiedlichen Handlungsintentionen und -motivationen auf gemeinsam zu definierende und dem Wohl des Gemeinwesens unterliegende Handlungsziele ausrichtet (263–274).

Man merkt der Studie auf den ersten Blick an, dass sie wissenschaftlich gründlich und streng methodisch gearbeitet ist. Dass die Monographie in Teilen aus bereits veröffentlichten Einzelpublikationen besteht, ist für den englischsprachigen Raum nicht ungewöhnlich. Der Studie eignet eine hohe Relevanz für den Bereich der Augustinus-Forschung. Darüber hinaus ist der wegweisende Perspektivwechsel von pessimistischer Anthropologie zu optimistischer Moralpsychologie in erster Linie für die Systematische Theologie und Theologische Ethik von besonderem Interesse. Sollten sich Politik- und Sozialwissenschaftler für Augustinus interessieren, sei ihnen diese Monographie unbedingt empfohlen. Es ist abschließend zu hoffen, dass die dort vorgebrachten Argumente ein breites Echo entfalten und im Diskurs der deutschsprachigen Theologie rezipiert werden.