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Ausgabe:

Juni/2000

Spalte:

651 f

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Lauster, Jörg

Titel/Untertitel:

Die Erlösungslehre Marsilio Ficinos. Theologiegeschichtliche Aspekte des Renaissanceplatonismus.

Verlag:

Berlin-New York: de Gruyter 1998. VIII, 268 S. gr.8 = Arbeiten zur Kirchengeschichte, 69. Lw. DM 134,-. ISBN 3-11-015713-6.

Rezensent:

Klaus Kienzler

Es liegt offensichtlich etwas in der Luft, wenn sich fast zeitgleich zwei wissenschaftliche Arbeiten einem gleichen Thema zuwenden, das lange Zeit brach lag, der Theologie der italienischen Renaissance und dabei der Person Marsilio Ficinos: hier die vorliegende Dissertation der Evangelischen Fakultät München, dort die Habilitationsschrift der Katholischen Fakultät Trier von Walter Andreas Euler, Pia philosophia und docta religio (München 1998). Beide Arbeiten sind sich überraschend einig im Grundtenor der Charakterisierung der Philosophie Ficinos; es ist der neu aufbrechende christliche Humanismus der italienischen Renaissance. Beide sind sich auch darin einig, dass es einiger Arbeit bedürfe, Vorurteile hinsichtlich des Charakters dieses Humanismus zu korrigieren, an erster Stelle die bekannte Einschätzung Jakob Burckhardts, die italienische Renaissancephilosophie läute die Neuzeit des Modernismus und Subjektivismus ein. Dieses Vorurteil mag auch dazu beigetragen haben, von Seiten der Theologie dieser Zeit und ihrer Philosophie gegenüber skeptisch zu bleiben. Lauster bringt ein weiteres Argument bei, warum es kaum relevante theologische Forschungen zu M. Ficino gibt: Der theologische Beitrag Ficinos ist kontroverstheologisch zerpflückt und verdorben worden (Dreß 1929, Anichini 1937).

Die vorliegende Dissertation versteht sich bewusst als theologie- und dogmengeschichtliche Untersuchung zum Werk M. Ficinos. Der Vf. will also wie Euler eine offenkundige Lücke füllen, nachdem zu dessen Philosophie Standardinterpretationen (Kristeller u. a.) vorliegen. Den Hauptteil des Buches bilden vier große Kapitel der christlichen Theologie aus: Nach einer Einführung in das Werk Ficinos (I.) werden "Sünde" und "Erlösungsbedürftigkeit" des Menschen (II.), "Christologie" (III.), christlicher Heilsweg von Glaube, Hoffnung und Liebe (IV.) sowie die "Eschatologie" (V.) untersucht. Zum Schluss folgt ein Resümee und eine gewichtige Beurteilung des Ortes M. Ficinos in der Theologiegeschichte (VI.).

Die Einleitung in das Denken Marcilio Ficinos fällt zunächst recht knapp aus (1-2). Es wird durch das Bestreben Ficinos charakterisiert, eine Synthese von Philosophie und Theologie zu suchen, wie sie ihm in Gestalt des christlichen Platonismus und im Stichwort eines christlichen Humanismus vor Augen schwebte. Dabei ist sich der Vf. durchaus dessen bewusst, dass die Bereiche von Philosophie und Theologie nicht überspannt werden dürfen, da die Theologie M. Ficinos meist seiner Philosophie eingelagert ist. Dieser Aufgabe will er sich denn auch stellen, die christliche Theologie aus den (meist) philosophischen Schriften herauszuschälen. Eine Beschreibung der soliden Forschungslage hinsichtlich der Philosophie und des Desiderates entsprechender Forschungen der Theologie schließen sich an (2-7). Sodann stellt das Buch die wichtigsten explizit theologischen Schriften Ficinos ihrer Gestalt und ihrem Inhalt nach vor, nämlich "De christiana doctrina", "Epistolarum libri XII", "Praedicationes" und den unvollendeten Römerbriefkommentar, während die philosophischen Hauptwerke nur genannt werden (7-32). Bei der späteren Bedeutung des Opus magnum "Theologia Platonica" auch für die christliche Thematik wäre allerdings eine kurze Einführung dazu ebenso sinnvoll gewesen. Schließlich erscheint M. Ficino die Gestalt des Paulus, und vor allem die Tradition des "raptus Pauli", der beste christliche Gewährsmann gegenüber dem überragenden Plato zu sein.

Die Einführungen in die christlichen Texte des M. Ficino dienen als gute Vorbereitungen für den theologischen Hauptteil der Arbeit. II.: Die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen nach M. Ficino findet ihren Anhalt vor allem in der "Theologia Platonica" und ihren Themen der Anthropologie, der Seelenlehre, der Göttlichkeit und Körperlichkeit des Menschen. Ficino korrigiert den platonischen Optimismus durch seine christliche Einschätzung der Sünde und Erlösungsbedürfigkeit des Menschen. III.: Die Christologie Ficinos rekonstruiert der Vf. vor allem im Rückgriff auf "De christiana doctrina", die dort eigenartigerweise in die ausgreifende Abhandlung über die Religion der Juden eingelagert ist. IV.: Der christliche Heilsweg folgt dem platonisch-augustinischen Vorbild des Aufstieges der Seele und dabei vor allem der theologischen Tradition des "raptus Pauli"; die Hauptaussagen zu Glaube, Hoffnung und Liebe finden sich verstreut in den "Epistolae" und "Praedicationes". V.: Die zentralen Fundstellen zur Eschatologie Ficinos entnimmt der Vf. interessanterweise wiederum der "Theologia Platonica".

Es seien zusammenfassend einige Bemerkungen erlaubt. Euler erkennt in der Renaissancephilosophie M. Ficinos das Heraufkommen eines neuen Paradigmas (auch) in der Theologiegeschichte: die Hinwendung zur Anthropologie. Ich würde dieser Meinung zustimmen. Damit sind aber alle Folgen eines solchen Paradigmenwechsels mitgegeben wie das Erproben und Experimentieren auch der Theologie auf der neuen Grundlage und eine Reihe von Unsicherheiten und Unstimmigkeiten gegenüber der herrschenden Tradition.

L. macht am Ende der Arbeit auf solche Brüche und Unstimmigkeiten in der Theologie Ficinos aufmerksam. Er erkennt aber weniger den genannten Hintergrund des Aufbrechens des neuen Paradigmas. Er arbeitet und urteilt eher noch traditions- und dogmengeschichtlich. Auch die andere Auffälligkeit hätte ihm stärker bewusst werden müssen: Ficino legt nirgends - außer in der Gestalt des Paulus - eine zusammenhängende Theologie vor, sondern diese ist in philosophische Kontexte (Theologia Platonica) oder solche des Religionsgespräches (De christiana doctrina) eingelagert. M. Ficino hat offensichtlich ein apologetisches und dahinter ein fundamentaltheologisches Interesse an den Themen des Christentums, kein zuerst systematisches oder dogmatisches.

Ohne Zweifel hat der Vf. die neue Bedeutung der Anthropologie bei Ficino gut erkannt. Es scheint mir aber eine gewichtige Entwicklung und Verlagerung des Problembewusstseins des Vf.s innerhalb der Untersuchung selbst vorzuliegen. Wenn zu Beginn noch recht selbstverständlich von christlichem ,Humanismus' im Anschluss an Plato die Rede war, so wird gerade dieser Begriff in der Schlussreflexion signifikant problematisiert (242-246). Es wäre deshalb gut gewesen, mit einer entsprechenden Reflexion, die auch am Ende insgesamt noch recht summarisch bleibt, in das Denken und seine neue Situierung in die Studie über Marcilio Ficino gleich zu Anfang hinzuführen.

Es bleibt das Verdienst des Vf.s, auf die Bedeutung der christlichen Theologie bei M. Ficino jenseits aller kontroverstheologischen Streitigkeiten aufmerksam gemacht zu haben, ein Beitrag, der auch heute bedenkenswert ist.