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Ausgabe:

Juli/August/2023

Spalte:

719-721

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Stegmann, Andreas, Deuschle, Matthias A., u. Jennifer Wasmuth

Titel/Untertitel:

Proseminar Kirchengeschichte. Einführung in die Methoden des wissenschaftlichen Arbeitens.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2022. VIII, 90 S. = utb. Kart. EUR 12,00. ISBN 9783825259839.

Rezensent:

Aneke Dornbusch

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Jammerthal, Tobias, Janssen, David Burkhart, Reinert, Jonathan u. Susanne Schuster: Methodik der Kirchengeschichte. Ein Lehrbuch. Tübingen: Mohr Siebeck 2022. XII, 146 S. = UTB, 5851. Kart. EUR 19,00. ISBN 9783825258511.


Mehrere Generationen angehender Theologinnen und Theologen wurden im kirchengeschichtlichen Proseminar vom »Markschies« (Christoph Markschies, Arbeitsbuch Kirchengeschichte, Tübingen 1995) begleitet. Von Beginn an auch aufgrund seiner Informationsdichte nicht unumstritten (vgl. etwa die Rezension von Klaus Fitschen in ThLZ 121 [1996], Nr. 9, 845 f.), behauptete es sich doch fast drei Jahrzehnte als Standardwerk im Lehrbetrieb. Im letzten Jahr brachte nun UTB gleich zwei neue Methodenbücher auf den Markt, die sich selbst als Begleitlektüre zum kirchengeschichtlichen Proseminar empfehlen.

»Proseminar Kirchengeschichte. Einführung in die Methoden des wissenschaftlichen Arbeitens« von Andreas Stegmann, Matthias Deuschle und Jennifer Wasmuth verbindet, wie der Name ankündigt, eine Einführung ins wissenschaftliche Arbeiten und in das Feld und die Methoden der Kirchengeschichte. Die Grundlage bilden von Stegmann für seine Proseminare verfasste Materialien (s. Vorwort), ergänzt durch drei beispielhafte Quellenanalysen. Dieser konkrete Sitz im Leben spiegelt sich im Aufbau des Buches wider: Neben einer Einführung in die Kirchengeschichte als theologische Disziplin und in die historisch-kritische Quellenkritik finden sich auch Abschnitte zum Umgang mit Literatur, zum Anfertigen von Protokollen, Referaten und der Proseminararbeit sowie eine in Anbetracht der nur 90 Seiten des Buches sehr ausführliche Bibliographie.

Die Quellenarbeit ist unter dem Slogan »Einordnen, Erfassen, Erschließen, Interpretieren« breit angelegt: Es gelte, sich dem jeweiligen Thema über Einführungsliteratur zu nähern, die Quelle dann sprachlich zu erfassen und methodisch zu erschließen, um schließlich die eigene Interpretation zu formulieren. Das Potential dieses Programms liegt darin, dass es die Studierenden nachvollziehbar auf ihrem gesamten Arbeitsweg mit einer Quelle begleitet. Leider sind die Ausführungen zu den jeweiligen Methodenschritten äußerst knapp und können eigentlich nur verstanden werden, wenn man die folgenden Quellenanalysen als Beispiele stets mitliest. Die dort behandelten Texte, das Nicäno-Konstantinopolitanum, Luthers Freiheitsschrift sowie »Dei verbum« vom II. Vaticanum, sind in ihrer Prägnanz gut ausgewählt.

Die Darstellung der Methoden wirft außerdem einige Fragen auf: Zu Beginn wird Droysens »Grundriß der Historik« als »bis heute gültige Methode historischer Forschung« (18) präsentiert. Dies wird dann allerdings so konkretisiert, dass für Text- und Redaktionskritik auf die exegetischen Fächer verwiesen und der Bereich der inneren Quellenkritik stillschweigend auf die Traditionsgeschichte reduziert wird. Die historisch-kritische Methode wird somit als Relikt des Historismus profiliert, das sich in großen Teilen an Methoden der Exegese bedient und die Tendenz des Textes weitgehend außer Acht lässt. Lehrende müssen selbst reflektieren, ob sie den Methodenkanon unter diesen Prämissen präsentieren wollen.

Die Kritik der Knappheit gilt auch für die Aussagen zur Proseminararbeit: Es mangelt an konkreten Beispielen, die Aussagen verständlich machen könnten wie: »es braucht […] einen kreativen Impuls, sodass aus einer Masse von Exzerpten eine stimmige Vergangenheitsrekonstruktion wird« (59). Die Erläuterungen zum wissenschaftlichen Arbeiten bleiben ebenfalls skizzenhaft und können als Auffrischung für die dienen, die bereits eine Erstbegegnung mit diesen Themen hatten. Dabei lassen die praktischen Ratschläge eine auffallende Distanz zur Lebenswelt der Studierenden erkennen, wenn Arbeitsmethoden wie ein »Handapparat« (9) oder ein »Zettelkasten« (58) ans Herz gelegt werden, ohne die Möglichkeiten digitaler Ressourcen angemessen auszuleuchten.

Zuletzt sei auf einige kontroverse Ausführungen zum Fachverständnis hingewiesen: Kirchengeschichte werde laut der Einführung »von kirchlich gebundenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im Dienst der Kirche betrieben« (7). Die kirchengeschichtliche Forschung habe jedoch nur noch eine lose »Verbindung zur Institution Kirche als dem notwendigen Resonanzraum der Kirchengeschichte« (4). Der Begriff »Christentumsgeschichte«, heute in Lehrstuhlbezeichnungen und Vorlesungstiteln schon Standard, sei »Ausdruck der Tendenz, Kirchengeschichte als rein historische Disziplin, unabhängig von ihrem Kommunikationszusammenhang mit den anderen theologischen Fächern und der verfassten Kirche zu betreiben« (4). Somit bildet das Buch insgesamt einen sehr spezifischen Zugang zur Kirchengeschichte ab. Man wird ihm am ehesten gerecht, wenn man es als das begreift, als was es auch präsentiert wird: Eine für konkrete Proseminare verfasste Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten, die ohne die zugehörigen Seminare leider schemenhaft bleibt.

Die »Methodik der Kirchengeschichte« von Tobias Jammerthal, David Burkhart Janssen, Jonathan Reinert und Susanne Schuster, ein Gemeinschaftswerk der vier Autorinnen und Autoren, präsentiert hauptsächlich eine Methodenlehre, gerahmt von einleitenden Bemerkungen zum Fachverständnis, Hinweisen zur Seminararbeit und exemplarischen Quellenarbeiten. Das Buch wird durch eine Online-Plattform (https://www.methodik-kg.mohrsiebeck.com) ergänzt, wobei die aktuell gehaltene annotierte Bibliographie sowie die Sammlung von Online-Ressourcen hervorzuheben sind. Somit bleiben fast die ganzen 146 Seiten des Werks für die Darstellung. Es ist erfrischend, das Buch von diesem Ballast zu befreien, wobei in Zukunft sicher weitere Wege denkbar sind, die Verschränkung von Buch und Bildschirm zu stärken. Aktuell entgeht denen, die die Einleitung überspringen, dieses Material.

In Bezug auf mögliche Perspektiven des Fachs wird die Idee einer »bewusst ökumenisch geöffneten Kirchengeschichte« entworfen: »Im Sinne der Multiperspektivität kann anderen christlichen Perspektiven, die in der eigenen Geschichte ausgeblendet, unterdrückt, verketzert oder verfolgt wurden, eine Stimme gegeben werden« (12). Der Unterschied zum oben besprochenen Entwurf ist eklatant.

Das Werk orientiert sich ebenfalls an der historisch-kritischen Methode in der Droysen-Markschies-Tradition, verabschiedet sich aber von den altbekannten Begriffen: So wird aus der Traditionskritik die »geistige Prägung« und aus der Tendenzkritik die »Perspektive des Autors/der Autorin«. Am Ende der Quellenanalyse wird mit dem Schritt einer »Analyse theologischer Deutungskonzepte« der theologische Anspruch der Kirchengeschichte noch einmal betont. Dies geht mit einer gewissen theologiegeschichtlichen Engführung der Interpretationsperspektiven einher.

Im Ganzen bietet das Buch einen didaktisch aufbereiteten Text mit einer Fülle an Beispielen, Grafiken und Zusammenfassungen an Kapitelenden. An einigen Stellen ist eine gewisse »Über«-Didaktisierung spürbar, wenn beispielsweise innerhalb eines Abschnitts sowohl die Metapher eines Wandteppichs als auch eines Waldspaziergangs bemüht werden (60.64). Dennoch erfreut die »Methodik der Kirchengeschichte« durch ihre stringente Orientierung an den Bedürfnissen von Studierenden: Neuere Forschungsperspektiven wie Genderforschung finden ebenso Eingang wie die Frage, welche Internetbeiträge eigentlich zitierfähig sind.

Die abschließenden Beispielinterpretationen haben gegenüber denen im »Proseminar Kirchengeschichte« den Vorteil, dass die betreffenden Quellen – ein Lied und ein Gebet aus einem Andachtsbuch des 17. Jh.s sowie ein Brief von Karl Holl – vollständig abgedruckt sind. Sie setzen allerdings mehr Vorwissen bei den Studierenden voraus. Anmerken kann man, dass eine altsprachliche Quelle fehlt.

Im Ganzen setzt das Lehrbuch mit didaktischer und sprachlicher Frische neue Akzente, ohne die Methodik neu zu erfinden. In seiner Fülle läuft es dabei allerdings Gefahr, dass ähnlich wie beim »Markschies« durch die Lehrenden vor Ort wieder eine stoffliche Reduktion vorgenommen werden muss. Eine selbstständige Nutzung durch Studierende ist jedoch durchaus denkbar.

Beide vorgestellten Bücher antworten auf den Relevanzverlust der Kirchengeschichte mit der Verstärkung des theologischen An­spruchs des Fachs, was sich in der Methodenlehre in jeweils eigener Weise ausdrückt. Lag die theologische Reflexion bei Markschies noch am Ende, so ist sie nun in die Einleitung gerückt. In beiden Büchern ist daneben gegenüber diesem Vorgänger vor allem eine inhaltliche Reduzierung zu bemerken, dennoch stehen sie, was die Methodenlehre angeht, offensichtlich in seiner Tradition.

In einigen Annahmen hinken beide Entwürfe allerdings den Herausforderungen der kommenden Jahre bereits jetzt hinterher: So wird hier die kirchengeschichtliche Seminararbeit noch als Regelfall präsentiert, während heute gerade im Grundstudium diese Prüfungsform an Bedeutung verliert. Beide Bücher erwarten selbstverständlich das Arbeiten an altsprachlichen Originaltexten, doch schon heute sind Sprachkenntnisse für einige Studierende keine Zugangsvoraussetzung mehr, und dieser Trend wird sich noch verstärken. Zuletzt befindet sich auch unser Fach auf dem Weg in die Digitalität – aktuell sorgt ChatGPT für Unruhe. Für die Zukunft wünscht man sich daher noch mutigere Methodenbücher, die sich diesen Herausforderungen produktiv stellen.