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Ausgabe:

Juli/August/2023

Spalte:

714-716

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Weller, Jonas

Titel/Untertitel:

»Feuer auf die Erde«. Eine motivkritische, auslegungsgeschichtliche und bibeltheologische Studie zu Lk 12,49–53.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2022. 616 S. = Herders biblische Studien, 99. Geb. EUR 80,00. ISBN 9783451388996.

Rezensent:

Reinhard Feldmeier

Die 2021 bei Hans-Georg Gradl in Trier angenommene Dissertation von Jonas Weller widmet sich dem »merkwürdigen und sehr fremden Jesusbild« von Lk 12,49–53. Zunächst werden die unterschiedlichen Deutungen dieser crux interpretum vorgestellt und im Anschluss daran die These formuliert, dass das Feuer hier »Symbol für das eschatologische Gericht« ist, das »mit dem Kommen Jesu in diese Welt beginnt und antizipativ in dessen irdisches Wirken hineinreicht« und so »zur Entscheidung heraus[fordert]« (26–28).

Im zweiten Kapitel folgt eine Annäherung an das Jesuswort über das Motiv des Feuers im biblischen und außerbiblischen Kontext, ausgehend von dessen Ambivalenz als »kulturstiftende Kraft und zerstörerische Macht« (43), und zwar in realer wie in übertragener Bedeutung: Es ist Bild für Gottes heilbringende Gegenwart, für die Läuterung durch Gott, seinen Zorn und die Vernichtung durch ihn. Im Frühjudentum spielt entsprechend das Feuer in diversen Theophanieschilderungen eine Rolle und bringt Gottes universale Herrschermacht und in Verbindung damit seine Richterfunktion zum Ausdruck. Entsprechend wird »seit dem 2. Jh. v. Chr. die Scheol als Aufenthaltsort der Toten immer mehr als feuriger Ort angesehen, welcher der Bestrafung der Frevler dient« (88).

Im dritten Kapitel wird dann gezeigt, wie die alttestamentlich-jüdische Feuersymbolik im Neuen Testament aufgegriffen und weiterentwickelt wird. Auch hier begegnet das Feuer im Kontext der Theophanie und wird vor allem für Gottes Gerichtshandeln verwendet. W. zeigt dies zunächst anhand der Verkündigung Johannes des Täufers, sodann der (umsichtig dazu in Beziehung gesetzten) Predigt Jesu: »Immer, wenn Jesus πῦρ verwendet, geschieht dies im Kontext eschatologischen Gerichtshandelns« (115). Derselbe Befund zeigt sich ebenfalls im Corpus Paulinum sowie in der weiteren neutestamentlichen Briefliteratur; auch in der Johannesoffenbarung ist das Feuer »Bild für Gottes Gegenwart und sein eschatologisches Gerichtshandeln« (144).

Das dritte Kapitel gilt dann dem »Feuer im lukanischen Doppelwerk« in allen Texten außer Lk 12,49. Auch hier zeigt W. »den vornehmlich eschatologisch-gerichtlichen Kontext dieser Stellen« auf (182, vgl. 187–189), die auf die Umkehr der Hörer zielen.

Im vierten Kapitel folgt eine ausführliche Analyse von Lk 12,49–53, in welcher zunächst der Text kontextuell verortet wird. Es folgt die Gliederung in drei Teile (Doppellogion von Gerichtsfeuer und Todestaufe, fingierter Dialog, Illustrierung der angekündigten Spaltungen) und Gattungsbestimmung als »Gerichtswort … mit Heilsankündigung« (205), um dann den komplexen Entstehungsprozess des Textes mit vorlukanischer Tradition und lukanischer Redaktion nachzuzeichnen. W. kommt zu dem Ergebnis, dass Lk 12,49 vorlukanisch sein dürfte und zusammen mit V. 51 bereits in Q stand, wobei ein jesuanischer Ursprung möglich, aber weniger wahrscheinlich ist als bei V. 51. Das Werfen des Feuers erinnert an Sodom und Gomorrha (Gen 19,24) und an die Vernichtung der Baalspriester (2Kön 1,10.12.14). In diesem Sinne hatte bereits der Täufer Jesu Kommen als Feuertäufer angekündigt (Lk 3,16), der neben Heil auch Vernichtung bringt (Lk 3,9.17). Dagegen mache der im Anschluss an Mk 10,38 f. gebildete V. 50 deutlich, dass der Feuerrichter »zugleich durch seine Todestaufe das Heil Gottes erwirkt« (281).

Eine markante Besonderheit der Arbeit ist die ungewöhnlich ausführliche Darstellung der Auslegungsgeschichte, beginnend mit den außerkanonischen Schriften. Besonderes Augenmerk gilt dabei zunächst dem Thomasevangelium, das zwar als Ganzes gnostisch geprägt und an vielen Stellen gegenüber der synoptischen Tradition sekundär sei, in dem aber mit EvThom 82 (»Wer mir nahe ist, ist dem Feuer nahe«) ein authentisches Jesuswort bewahrt worden sein könne. Bei den weiteren außerkanonischen Texten fällt die Verbreitung des Wortes in der Gnosis auf, mit der sich dann auch noch die Kirchenväter auseinandersetzen. Deren Auslegungen, die auf dem Hintergrund zeitgenössischer Auseinandersetzungen das Feuer oft auf Gott oder den Heiligen Geist deuten und dabei auf dessen reinigende wie vernichtende Wirkung Bezug nehmen, nehmen mit 80 Seiten den größten Raum in der Wirkungsgeschichte ein, gefolgt von ausgewählten Exegesen vom Mittelalter bis zur Neuzeit – mit Einschluss der letzten beiden Päpste, der Liturgie sowie der bildenden Kunst. W. will damit der gewachsenen Bedeutung der Auslegungsgeschichte in der Exegese Rechnung tragen. Der Fülle dieser Darstellungen kann diese Rezension nicht gerecht werden, aber wenn auch nicht alles gleich erhellend ist, so wird doch sehr überzeugend deutlich, wie vielfältig dieser Text in verschiedene Situationen hinein zu wirken und seine Rezipienten zu inspirieren vermochte. Hilfreich ist dabei, dass die (chronologisch angeordneten) Zeugnisse mit Überschriften versehen werden, die ihre jeweilige Pointe erkennen lassen. Einige der Auslegungen von Origenes bis Benedikt XVI. sind ausgesprochen anregend (wobei die Rede von der »Hölle« bei Ersterem der Spezifikation bedurft hätte).

Es folgt eine »bibeltheologische Auslegung«, welche die Implikationen des Textes für die Christologie, die Ekklesiologie, die Soteriologie und die Eschatologie gerade im Blick auf die Verbin-dung von Gerichtsfeuer und Todestaufe darlegt. In Lk 12,49 f. spiegelt sich nach W. das zweistufige Kommen Jesu (als Irdischer in Niedrigkeit und als endzeitlicher Richter in Hoheit), was Lukas durch seine Zusammenstellung der Verse 49 und 50 ausgedrückt habe. Dieser Zusammenhang des eschatologischen Gerichts- und Heilshandelns Gottes in Jesus Christus, der als der Richter zugleich mit seinem Leiden und Sterben stellvertretend das göttliche Gericht auf sich genommen hat, wird von W. an weiteren Stellen des Evangeliums sowie des gesamten Neuen Testaments aufgezeigt und (vorsichtig) bereits auf das Selbstverständnis des Irdischen zurückgeführt. Abgeschlossen wird die Studie mit einer Zusammenfassung sowie einem Epilog, in dem W. nochmals deutlich macht, »dass Lukas das göttliche Gerichtshandeln vom Todesleiden Jesu her deutet« (553). Das Wort rufe gegen alle Zerstreuung und Trägheit zur Umkehr und mache zugleich deutlich, dass der Richter »den Seinen als Retter zugewandt bleibt« (554).

Es handelt sich um eine äußerst gründliche Arbeit, welche mit großem Fleiß die einschlägigen Prätexte im Alten Testament und im Antiken Judentum, aber auch in der griechisch-römischen Welt auslegt und so zusammen mit der ausführlichen Auslegungsgeschichte den Assoziationshorizont der Feuermetapher für das Verständnis des lukanischen Textes fruchtbar macht. Manches hätte man etwas kürzer machen und die eine oder andere Wiederholung vermeiden können. Bisweilen schießt W. in seiner Begeisterung für die metaphorische Bedeutung des Feuers m. E. auch etwas über das Ziel hinaus, etwa beim Lagerfeuer bei der Verleugnung des Petrus (168) oder dem Feuer, in das Paulus die Schlange schleudert (178); etwas kühn ist auch die Feststellung, Lukas habe den ganzen Reisebericht »mithilfe der aus Q stammenden Gerichtstexte strukturiert« (194). Aber das ändert nichts an dem Gesamturteil, dass es sich um eine sehr verdienstvolle Studie zu einem widerständigen und gerne vernachlässigten Text des dritten Evangeliums handelt.