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Ausgabe:

Juli/August/2023

Spalte:

699-701

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Riede, Peter

Titel/Untertitel:

Zwischen Mensch und Gott. Psalm 45 und die Bedeutung von König und Königin im Rahmen der judäischen Herrschaftstheologie.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2022. 424 S. m. 44 Abb. = Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament, 169. Geb. EUR 95,00. ISBN 9783525560747.

Rezensent:

Marcel Krusche

Peter Riede, außerplanmäßiger Professor an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, bietet mit seiner Monographie eine ausführliche Auslegung von Psalm 45, einem Psalm, der bisher nicht im Zentrum der Forschung zu den Königspsalmen stand, aber dennoch als »ein bedeutendes Zeugnis der judäischen Herrschaftstheologie« (7) gelten kann. Angesichts der sehr unterschiedlichen Deutungsansätze in der Forschungsgeschichte möchte der Vf. zur Klärung des Verständnisses des Psalms beitragen, indem er den Schwerpunkt auf die traditions-, motiv- und religionsgeschichtliche Einordnung (unter Einschluss ikonographischer Zeugnisse) legt, aber sich auch der Komposition, der Gattung und der redaktionsgeschichtlichen Einordnung des Psalms widmet.

Als hermeneutischer Schlüssel zum Verständnis der altorientalischen und judäischen Herrschaftstheologien insgesamt und speziell von Ps 45 dient dem Vf. die von E. H. Kantorowicz und u. a. von D. Kühn aufgegriffene Idee der Unterscheidung von »zwei Körpern« des Königs: dem menschlichen und sterblichen Körper (body natural) und dem unsterblichen Körper (body politic), der das königliche Amt charakterisiert und mit dem Tod des Amtsträgers auf dessen Nachfolger übergeht. Die Idee dieser »Doppelnatur« des Königs, die diesen in eine Position »zwischen Mensch und Gott« rückt, wird in der Studie immer wieder für die Interpretation des Psalms fruchtbar gemacht.

Der erste Teil der Arbeit behandelt »Text und Gestalt« des Psalms: Ausführlich werden philologische und textkritische Fragen behandelt, auf deren Basis anschließend eine Übersetzung erfolgt. Die Untersuchung der Gliederung und Komposition ergibt zwei längere Abschnitte im Zentrum (V. 3–9.10–16) und drei kürzere (V. 2.17.18) an den Rändern des Psalms und beinhaltet eine semantische Analyse und eine Analyse der Strophen und der Kompositionsstruktur. Vorläufig werden unter Darstellung der Forschungsgeschichte auch die Literarkritik sowie die Gattung und der Sitz im Leben angesprochen. Für Ps 45 sind verschiedene, mehrschichtige Entstehungsmodelle vorgeschlagen worden, und mehrheitlich wurde er als Hochzeitslied für den König verstanden. Die anfängliche Skepsis des Vf.s demgegenüber wird später noch weiter bekräftigt (s. u.).

Dazu tragen nicht zuletzt der zweite und der dritte Teil der Untersuchung bei. Der zweite Teil, überschrieben mit »Motiv- und traditionsgeschichtliche Aspekte«, umfasst mehr als die Hälfte der gesamten Studie. Vers für Vers geht der Vf. den Psalm durch und analysiert jede einzelne Formulierung des Psalms in begriffs-, motiv- und traditionsgeschichtlicher Hinsicht. Dabei bezieht er die alttestamentliche Tradition ebenso ein wie Zeugnisse aus der alt-orientalischen Umwelt und zahlreiche ikonographische Darstellungen (insgesamt enthält die Arbeit 44 Abbildungen). Auf diese Weise gelingt es ihm nicht nur, einzelne Vorstellungen zu erklären und zu erhellen, sondern auch, den Zusammenhang zwischen diesen zu erläutern und so ein kohärentes und stimmiges Gesamtbild von der Königtumskonzeption des Psalms darzulegen. Drei Exkurse zu hebräischen Titeln des Königs (רוֹבּ.גּּ, םי.הׂלֱא, ןוֹדאָ) ergänzen die Auslegung.

Anstelle einer Wiedergabe aller behandelten Aspekte der Analyse soll deren Ertrag hinsichtlich der fünf Abschnitte des Psalms zusammengefasst werden: (1) In V. 2 tritt ein Dichter vor dem König auf und singt zu dessen Lobpreis sein Lied, wobei nicht der einzelne (hier anonyme) König im Fokus steht, sondern das Königsamt. (2) V. 3–9 heben kriegerische und juridische Aspekte des Königtums hervor. Durch Schönheit, Rede und göttlichen Segen nimmt er eine herausragende Stellung ein. Er erfüllt die Rolle des kriegerischen Helden, schlägt seine Feinde nieder und wahrt so die Ordnung der Welt gegen die Mächte des Chaos. Zugleich agiert der König als Sachwalter des Rechts. Die Insignien repräsentieren die Durchsetzung von Gerechtigkeit und die Leitungsaufgabe ebenso wie die Beständigkeit der Dynastie und seine erhobene Position zwischen Mensch und Gott. Im in der Auslegungs- und Forschungsgeschichte nicht unumstrittenen V. 7a entscheidet sich der Vf., das Wort »Gott« (םי.הׂלֱא) als Titel auf den König zu beziehen: In seiner Funktion als Amtsträger, d. h. bezogen auf den body politic, ist der König Gott. Als Hintergrund dieser preisenden Aussagen wird eine öffentliche Hofzeremonie vermutet. (3) Eine zentrale Rolle innerhalb des Königshofes nimmt die Königin ein, der sich V. 10–16 widmen. Ihr Status als Gemahlin des Königs wird betont, und sie partizipiert an der Pracht und Herrlichkeit des Königs. Das Ziel dabei ist das intime Aufeinandertreffen von König und Königin und damit der Fortbestand der Dynastie. Dies wird im Rahmen eines Königsfestes (nicht Hochzeitsfestes!) öffentlich inszeniert. (4) Der zuvor implizierte Gedanke der Fortsetzung der Dynastie wird in V. 17 explizit angesprochen, indem die Söhne als Nachfolger und deren offizielle Funktion in den Blick genommen werden. (5) Die Schlussformel in V. 18 ist an der bleibenden Erinnerung an den Ruhm des Königs und an dessen universaler Ausstrahlung interessiert. Dem König wird Lob zuteil, das sonst nur Gott zukommt, was seine Stellung zwischen Mensch und Gott erneut unterstreicht.

Der dritte Teil untersucht ikonographische Darstellungen wie das Elfenbeinpaneel aus dem Palast von Ugarit, Elfenbeinarbeiten aus Megiddo und weitere, vergleichbare Bildzeugnisse und bezieht diese auf Ps 45. Daraus ergibt sich, dass die kombinierende Verbindung von Königtum, Krieg (als Chaosabwehr), höfischen Szenerien (Hofpersonal, Gabenbringer, Königin) und dem Gedanken des Dynastieerhaltes durch Nachkommenschaft typisch für Herrschaftsdarstellungen ist. Für Ps 45 bedeutet das: Die beiden Hauptabschnitte des Psalms gehören sachlich eng zusammen, und die Königin ist nicht allegorisch zu deuten.

Der vierte Teil greift noch einmal die Fragen der Einheitlichkeit, der Gattung und des Sitzes im Leben auf und formuliert folgende Ergebnisse: Aufgrund der engen traditionsgeschichtlichen Zusammengehörigkeit der einzelnen Teile des Psalms ist Ps 45 weitgehend einheitlich; nur in V. 5a* findet sich eine punktuelle armentheologische Neuinterpretation. Der Psalm ist kein Hochzeitslied, sondern ein Preislied, eine Eulogie aus vorexilischer Zeit auf den König bzw. das Königtum. Dies bringt der Vf. mit der Feier des »schönen Tages« in Ägypten in Verbindung. Die Überschrift charakterisiert den Psalm als Liebeslied und weist in durchdachter Weise auf verschiedene Themen des Psalms voraus.

Im fünften Teil wird Ps 45 im Rahmen der Korachpsalmen Ps 42–49 analysiert. Ps 45–48 werden als »Antwort« auf Ps 42–44 verstanden (mit Ps 45 am Wendepunkt von der Klage zum Lob), göttliches und irdisches Königtum stehen nebeneinander, und der König steht in enger Verbindung zum Zion. In dieser Zusammenstellung sieht der Vf. eine Antwort auf die Krise des Exils.

Der sechste Teil behandelt Aspekte der Rezeptionsgeschichte. Sach 9,9 f. und Jes 52,13–53,12 fasst der Vf. als Gegentexte zu Ps 45 auf. In Hebr 1,8 f. wird Ps 45,7 f. auf Jesus bezogen. Die Darstellung der Rezeptionsgeschichte ist jedoch durch ihre christliche Engführung problematisch. Bereits die Auswahl der beiden alttestamentlichen Stellen, die sich zumindest nicht offenkundig auf Ps 45 beziehen, scheint durch eine christliche Brille bestimmt zu sein, und die jüdische Rezeption, die V. 7 anders deutet als die christliche, wird völlig ausgespart. Nicht erwähnt wird zudem, dass Ps 45 auf christlicher Seite ein beliebter »Beweistext« in Adversus-Iudaeos-Schriften war – gerade deshalb ist es bedauerlich, dass die jüdische Rezeptionsgeschichte übergangen wird.

Das abschließende Kapitel fasst die Ergebnisse zusammen und bietet einen Ausblick. Ein Sach-, ein Stellen- und ein Wortregister erleichtern die Erschließung der Monographie.

Insgesamt ist das Werk eine wichtige Studie nicht nur zu Ps 45 als Einzelpsalm, sondern zur judäischen Herrschaftstheologie insgesamt. Gerade der Fokus auf das Königtum im Sinne des body politic erweist sich als plausibel. Der Wert der Arbeit liegt weniger in Einzelbeobachtungen als im synthetischen Gesamtbild, das von Ps 45 gezeichnet wird und das überzeugende Korrekturen an Tendenzen der bisherigen Forschung zu dem Psalm vornimmt.