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Ausgabe:

Juni/2023

Spalte:

636-637

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Bubmann, Peter

Titel/Untertitel:

Musik. Spiritualität. Lebenskunst. Studien zu Ästhetik und Musik aus theologischer Perspektive. Hgg. v. A.-S. Markert u. S. von Münster.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2022. 436 S. = Beiträge zu Liturgie und Spiritualität, 35. Kart. EUR 48,00. ISBN 9783374071937.

Rezensent:

Michael Fischer

Peter Bubmann, Theologieprofessor in Erlangen, ist einer der profiliertesten Vertreter des Faches Praktische Theologie im protestantischen Raum. Einen besonderen Forschungs- und Interessenschwerpunkt bildet dabei das Verhältnis zwischen Musik und Religion. Seit seinem Studium der Kirchenmusik und der Theologie steht dabei die populäre (christliche) Musik im Zentrum, schon 1988 hat sich B. mit dem damals aktuellen Thema »New Age und Musik« auseinandergesetzt. Weitere Publikationen folgen, immer im Schnittfeld von Musik, Schule und Gemeinde. Nun ist – als Geschenk zum 60. Geburtstag – der Band »Musik. Spiritualität. Lebenskunst« herausgekommen. Er versammelt Beitrage B.s, die zwischen 1994 und 2019 veröffentlicht wurden.

Das Vorwort der beiden Herausgeberinnen fällt etwas überschwänglich aus, aber sie heben zu Recht die Weite des Denkens B.s hervor. In der Tat spiegeln die einzelnen Beiträge des Gefeierten die Tatsache wider, dass er nicht nur theologisch und liturgisch denkt, sondern seine Ansätze vor allem mit soziologischen und ethischen Impulsen verbindet. Der älteste Aufsatz mit dem Titel »Traumzeit und Stammesritual – Bausteine zu einer kritischen Theorie der Popularmusik« verdeutlicht dies. B. relativiert die Konsumindustrie-These von Adorno/Horkheimer und die »medienkritischen Apokalypsen« im Stile von Marshall McLuhan oder Neil Postman. Vielmehr stellte er 1994 fest, dass die Popularmusik für die Menschen viel bedeute und von daher zu fragen sei, »welche Bedeutung Popularkultur und speziell Popularmusik für das Leben in der heutigen Konsum- und ›Erlebnisgesellschaft‹« habe. B. rekurriert im Anschluss an Gerhard Schulze auf verschiedene kulturelle Milieus mit ihren jeweiligen Lebensstilen. Selbstverständlich stellt der Autor auch normative Fragen, die er im Rückgriff auf eine theologische Ethik beantworten möchte. Hier zeigt sich am ehesten die Zeitgebundenheit seiner Überlegungen, etwa wenn der Autor den »gedankenlosen Konsum von Popularmusik« als »verantwortungslos« bezeichnete. B. warnte damals vor »Realitätsflucht« und vor einer Musik, die »lediglich als Reklame einer konsumfixierten Erlebnisgesellschaft« diene.

In neueren Beiträgen werden die Moderne und Postmoderne weitaus detaillierter betrachtet als in den älteren Aufsätzen, etwa wenn die Ausdifferenzierung und Individualisierung der Religion zu Recht einer schroffen und im Grunde veralteten Säkularisierungsthese gegenübergestellt wird. B. macht deutlich, dass die gegenwärtige Musikkultur (der Beitrag stammt aus dem Jahr 2002) voller Religion sei, man könne – etwa im Hinblick auf Arvo Pärt und Sofia Gubaidulina – sogar von einer »Re-Sakralisierung einiger Musikszenen« reden. Zudem weist der Autor darauf hin, dass dies auch auf die populäre Musik zutreffe, beispielsweise auf den seinerzeit bekannten Künstler Xavier Naidoo.

B.s weiter Horizont erstreckt sich vom Hören und Singen, vom Geistlichen Lied über Popmusik und Techno bis hin zum Musical und zur Orgelkultur. Dabei steht immer auch das Gemeindliche im Vordergrund, der Sitz der Musik im Leben. Der lesenswerte Sammelband fragt auch nach der »Gegenwart des Protestantischen in der Musik«, wie es in einem Beitrag aus dem Jahr 2002 heißt. Dass B. die Musik als ein »Spiel der Freiheit« begreift, ist theologisch und ethisch zu begrüßen. Allerdings erscheint die Rückführung auf eine angebliche erfahrungsbezogene »Musiktheologie Luthers« an dieser Stelle historisch und systematisch fragwürdig – weil es nach Ansicht des Rezensenten eine solche geschlossene Theologie Luthers zur Musik gar nicht gibt und der normative Gehalt einer lutherischen Musikauffassung kritischer zu hinterfragen wäre.

Bemerkenswert erscheint der Versuch, die Popmusik insgesamt eher dem Protestantismus zuzuordnen (als »botschaftsbezogene«), während die »Neo-Mystik von Techno und Trance« (als rituell begangene) eher dem Katholizismus zugeschrieben wird. Vielleicht sind solche musikalisch-konfessionellen Identitätskonstruktionen heute überflüssig, und zwar nicht nur wegen der theologischen, religiösen und kirchenmusikalischen Ökumene, die sich mittlerweile eingestellt hat. Vielmehr hat sich die religiöse und soziale Landschaft auch innerhalb der einzelnen Konfessionen in einem Maße ausdifferenziert und pluralisiert (der Autor selbst verweist immer wieder darauf), dass das Abstecken von Grenzen und das Erstellen von Proprien leicht unter Ideologieverdacht geraten kann. Dass B. die Musik als »geisterfülltes Zeiterleben« würdigt – als »gleichsam sakramentale Vor-Erfahrung der Ewigkeit« –, dürfte konfessionsübergreifend Zustimmung finden und, wenn man diese Begrifflichkeit verwenden möchte, wahre Evangelizität und Katholizität umfassen.