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Ausgabe:

Juni/2023

Spalte:

631-632

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Ohly, Lukas

Titel/Untertitel:

Ethische Begriffe in biblischer Perspektive.

Verlag:

Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag 2022. 300 S. = utb. Kart. EUR 23,90. ISBN 9783825258092.

Rezensent:

Raphael Döhn

Als Gegenstück zu seiner Dogmatik in biblischer Perspektive (2020) sind nun auch Lukas Ohlys Ethische Begriffe in biblischer Perspektive erschienen. In dreißig kurzen Kapiteln setzt er sich hier mit Begriffen wie Menschenwürde, Migration, Gewissen und Themen wie dem Schutz des ungeborenen Lebens oder der Sterbebegleitung auseinander, wobei jeweils ein Bibeltext den Ausgangspunkt seiner Überlegungen darstellt.

In der Einleitung konstatiert O. zunächst, dass sein Anliegen, ethische Begriffe in biblischer Perspektive zu durchdenken, gewissermaßen dem Zeitgeist der theologischen Ethik zu widersprechen scheine, innerhalb derer »die Bibel aktuell nur noch eine unbedeutende Rolle« (11) spiele. Ohne dabei fundamentalistisch zu argumentieren, sei es jedoch sehr wohl auch heute möglich, die Orientierungskraft biblischer Texte zur Entfaltung kommen zu lassen. Dies kann als Hauptziel und zugleich -begründung dieses Bandes bezeichnet werden.

Die dreißig kurzen Kapitel, die in einigen Fällen noch in Unterabschnitte aufgeteilt wurden, sind zwar lose jeweils einem der drei Unterpunkte »I. Grundbedingungen der Ethik«, »II. Sozialethische Begriffe« und »III. Lebensbedingungen« zugeordnet und folgen dahingehend in ihrer Chronologie einer inneren Logik; jedoch kann dieser Band nicht nur als Ganzes gelesen, sondern vielmehr auch jedes Kapitel für sich stehen und verstanden werden. Aus diesem Grund finden sich jeweils auch nur wenige Querverweise auf andere Kapitel. Empfehlenswert ist angesichts der hohen Bedeutung, welche die Bibelstellen als Ausgangspunkte O.s einnehmen, jedoch nicht nur eine Lektüre der Einleitung, sondern auch des ersten Kapitels, in dem ausgeführt wird, wie die Bibel aus der theologisch-ethischen Perspektive O.s verstanden werden kann. Die im Folgenden thematisierten Termini umfassen dabei biblische Konzepte wie Gerechtigkeit und Vergebung, aber auch nicht-biblische Begriffe und Themen wie Menschenwürde und Robotik/Gentechnik.

Wie bereits erwähnt, ist jedem Kapitel bzw. Unterkapitel ein Bibeltext vorangestellt, wobei im Zentrum dabei »nicht biblische Gebote stehen, sondern eher biblische Beschreibungen und Interpretationen Gottes und der Menschen« (12), die Lebensorientierung vermitteln. O. ist sich hierbei wohl bewusst, dass eine solche Auswahl – nicht zuletzt aufgrund der Vielschichtigkeit und Vielstimmigkeit der Bibel – stets kritisiert werden kann. Diesem Dilemma begegnet er unter anderem, indem er am Anfang eines jeden Kapitels seine Textauswahl kurz erläutert und am Ende jedes Kapitels biblische Alternativtexte anführt und ausführt, inwiefern diese andere Akzente setzen als der von ihm ausgewählte Text und weshalb er sich für einen bestimmten und gegen andere Texte entschieden hat. Außerdem finden sich am Anfang eines jeden Kapitels ein knapper Einblick in die Diskurslage sowie am Ende jedes Kapitels einige wenige Hinweise auf Vertiefungsliteratur, deren wichtigste These(n) O. jeweils kurz benennt.

Es fällt auf, dass die verschiedenen Termini, denen O. eigene Kapitel widmet, sich nicht nur darin unterscheiden, ob sie auch in der Bibel gefunden werden können, sondern es sich in einigen Fällen um eher abstrakte, komplexe Theoriebegriffe handelt, andere Termini hingegen sehr konkrete ethische Fragestellungen thematisieren. So findet sich beispielsweise ein Kapitel zum Begriff Tugend, innerhalb dessen O. die Diskurslage sowie die Historie der Diskussion schlaglichtartig inklusive Verweisen auf Aristoteles, Immanuel Kant sowie gegenwärtige anglo-amerikanische Stimmen (Martha Nussbaum, Alasdair MacIntyre) nachzeichnet. Dass dieser Abschnitt zu jenen Kapiteln gehört, die zumindest teilweise auf einer eher abstrakttheoretischen Ebene verbleiben, kann O. nicht vorgeworfen werden, sondern ist primär dem Gegenstand geschuldet, und wird aufgebrochen, indem O. in diesen Kapiteln in der Auseinandersetzung mit jeweils einer Bibelstelle (hier 1Petr 1,3–8) durchaus praktischer und lebensnäher argumentiert. Insbesondere die Kapitel zu konkreten (theologisch-)ethischen Fragestellungen (u. a. Schutz des ungeborenen Lebens, Sterbebegleitung) sowie allgemein zu biblischen Geboten bzw. zur Goldenen Regel dürften jedoch auch für Nichtwissenschaftler, Nichttheologen und Studierende leichter zugänglich sein und einen unmittelbareren Bezug zur eigenen Glaubens- und Lebenspraxis aufweisen. In solchen Kapiteln kommt darüber hinaus zum Tragen, dass O. nicht nur Professor für Systematische Theologie und Religionsphilosophie an der Goethe-Universität Frankfurt ist, sondern zugleich auch Gemeindepfarrer. Insbesondere jene Passagen, in denen er eigene Erfahrungen aus der Gemeindearbeit und insbesondere der Seelsorge einfließen lässt, dürften für Nichtwissenschaftler besonders interessant sein.

Insgesamt ist jedoch festzuhalten, dass die Aufteilung in kurze, für sich selbst stehende Kapitel, die klare, unprätentiöse Sprache, der gut nachvollziehbare Argumentationsgang sowie die gekonnte theologische Argumentation dieses Buch zu einem jener Bände werden lassen, die für Experten wie Einsteiger im Bereich der theologischen Ethik uneingeschränkt zu empfehlen sind. Aufgrund der Kürze der einzelnen Kapitel kann hier naturgemäß kein Tiefengrad erreicht werden wie in Spezialuntersuchungen, die auf mehreren hundert Seiten einen bestimmten wissenschaftlichen Gegenstand thematisieren, aber dies ist auch nicht die Intention O.s. Auch, dass wichtigen ethischen Termini (z. B. Barmherzigkeit) oder gegenwärtigen (theologisch-)ethischen Fragestellungen (z. B. Ehe für alle) keine eigenen Kapitel gewidmet wurden, ist zwar zu beachten, aber nicht wirklich zu kritisieren, da es schlicht nicht leistbar ist, alle relevanten Begriffe zu berücksichtigen.

Aus diesem Grund lohnt sich, sofern man einen Einblick in O.s Überlegungen zu einem bestimmten Themengebiet erhalten möchte, nicht nur ein Blick in das Inhaltsverzeichnis, sondern auch in das Sachregister, in welches auch einige Termini aufgenommen wurden, die zwar vielfach Verwendung innerhalb des Buches finden, aber nicht in einem einzelnen Kapitel fokussiert werden (z. B. Gesetz, Verantwortung). Ein Bibelstellenregister, welches ebenfalls nicht nur die jeweils in einem Kapitel fokussierten Bibelstellen aufführt, sondern deutlich umfangreicher ist, beschließt den Band.

Zur weiteren Lektüre sei an dieser Stelle auch auf einige theologisch-ethische Publikationen O.s verwiesen, die in den vorangegangenen Jahren veröffentlicht worden sind und einige der in diesem Band nur schlaglichtartig diskutierten Fragen intensiver behandeln; zu nennen sind z. B. Ethik des Notstandes (2022) oder Gerechtigkeit und gerechtes Wirtschaften (2021).