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Ausgabe:

Juni/2023

Spalte:

629-630

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Gütter, Ruth, Hofmeister, Georg, Maier, Christoph, u. Wolfgang Schürger [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Zukunft angesichts der ökologischen Krise? Theologie neu denken.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2022. 318 S. Kart. EUR 25,00. ISBN 9783374070480.

Rezensent:

Philipp Bode

Theologie neu denken: Das klingt nach Selbstreflexion und Bewegung, nach wenig Früher und viel Morgen. Es ist ein gewaltiger Anspruch, den die Evangelische Kirche in Deutschland in ihrem 2022 erschienenen Sammelband »Zukunft angesichts der ökologischen Krise? Theologie neu denken«, der auf einer 2021 durchgeführten Tagung basiert, angesichts einer krisenreichen Gegenwart an sich selbst erhebt. Leider wird sie diesem Anspruch nur bedingt gerecht.

Da ist zunächst das unbestritten zeitgemäße Anliegen. Der EKD-Band fragt danach, was die Theologie im Angesicht ökologischer Krisen beitragen, wie diese auf jene reagieren kann. Stimmen »unsere […] Narrative von Gott, vom Menschen, von der Mitschöpfung noch?« (10), fragen die Herausgeber in der Einführung, ohne zu präzisieren, wer mit »uns« genau gemeint ist; eine problematische und im ganzen Band wiederkehrende Verallgemeinerung, die das eigentliche Anliegen in eine unpräzise Schwebe hebt.

Nicht weniger unpräzise gestaltet sich die inhaltliche Konkretisierung, wenn nach Erwähnung von Klimawandel, Artensterben und Covid-19-Pandemie geschlussfolgert wird: »Die Welt, wie wir sie kennen, verändert sich rasant« und dieses »hohe Maß an Unsicherheit und Ungewissheit weckt kollektive wie persönliche, ökonomische wie existenzielle Ängste« (7 ff.). Nun sind diese Erkenntnisse richtig, doch leider versäumt es die Einführung zu verdeutlichen, was der Band mit einer solchen eher allgemeinen Zeitdiagnose konkret anzufangen gedenkt, zumal dieser durch Erwähnung von »Klimagerechtigkeit« (7) ein gewichtiger normativer Aspekt beigemengt wird, der jedoch in keinem der nachfolgenden fünfzehn Texte wieder zur Sprache kommt.

Der erste von drei Teilen des Bandes möchte zunächst einen Blick zurück auf Neuformulierungen theologischer Er- und Bekenntnisse in vergangenen Krisenzeiten richten, womit zum einen das babylonische Exil gemeint ist (Klara Butting), zum anderen Dietrich Bonhoeffers Theologie zur Zeit des Nationalsozialismus (Interview mit Heinrich Bedford-Strohm). Doch über vereinzelte Berührungspunkte mit gegenwärtigen ökologischen Gefahren, die zumeist im Duktus der Mahnung vorgetragen oder liegen gelassen werden (so wird Bedford-Strohm gefragt, ob Menschheitskrisen auch immer theologische Krisen seien; eine Gelegenheit, die der Gefragte ungenutzt lässt) geht es selten hinaus. Eingedenk eines mit dem Wort »Zukunft« beginnenden Titels, ist ein fast 70-seitiger historischer Anlauf ein erklärungsbedürftiges und für eher allgemein und weniger theologiegeschichtlich interessierte Leser sicher irritierendes Vorgehen. Dass historische Reflexionen die Brücke in die Gegenwart gewinnbringend zu schlagen vermögen, zeigen gegen Ende des Bandes Diana Lunkwitz’ Überlegungen zu kolonial-missionsbezogenen Ökosystemen und »Strategien für ein Umdenken in allen Lebensbereichen aus einer Perspektive der relationalen öko-theologischen Ethik« (279).

Erst Ruth Gütters den ersten Teil abrundende Gedanken über einen möglichen Zusammenhang von ökologischer und Corona-krise greifen die Einleitung wieder auf, fallen indes mit der Einsicht, dass dies in der Hauptsache globale wirtschaftliche sowie biologische Zusammenhänge sind, nur wenig erhellend aus. Gütters Versuch, dieser Einsicht eine theologische Deutung abzugewinnen, verirrt sich zudem in der erneuten Verallgemeinerung, die Pandemie hätte »uns« vieles neu »wertschätzen« lassen (82). Ein solches Urteil kann nur aus einer ausnehmend privilegierten Position heraus gesprochen werden, die die Schrecken der Pandemie auf Schlagworte wie Systemrelevanz und Lieferengpässe verkürzt, und somit vorbeidenkt an den realen alltäglichen Bestürzungen angesichts katastrophaler Schicksale von Einsamkeit, Überforderung, Hilflosigkeit und Tod. Das Coronavirus vor diesem Hintergrund als »Weckruf zu einer gesamtgesellschaftlichen Umkehr« (ebd.) zu verstehen, ist daher, wiewohl fraglos gut gemeint, nicht frei von Zynismus.

Der zweite und sehr viel umfangreichere Teil möchte nun angesichts der skizzierten tiefgreifenden ökologischen Krisen »Theologie neu denken« und gliedert sich in die Unterbereiche Schöpfungstheologie, Christologie und Eschatologie sowie Anthropologie und Sozialethik. Einige der dort versammelten Texte wirken vom eigentlichen Thema des Bandes weitgehend entkoppelt (etwa Jan Christensens »ökologische Re-Lektüre« von Genesis 1+2 oder Anne-Kathrin Papperts Gedanken zu Franz von Assisis »Sonnengesang«). Andere indes gruppieren sich um einen gemeinsamen fruchtbaren Kern im Sinne einer ökologisch aufmerksamen Theologie. Georg Hofmeister, Constantin Gröhn und Maximilian von Seckendorff können sich, von unterschiedlichen Seiten kommend, auf das von dem US-amerikanischen Theologen Philip Hefner formulierte Konzept des Menschen als Created Co-Creator verständigen und deuten ihn als Teil eines größeren Lebensnetzes (Gröhn), eines »dynamische[n] Schöpfungsnetzwerk[es]« (Hofmeister, 125) – Gedanken, die über die bloße Schöpfungsbewahrung (dieses seit den 1970er Jahren in den ethischen Diskursen präsente Motto ökumenischer Friedens- und Umweltinitiativen, welches, so Seckendorff, unter dem Geburtsfehler litt, Technik und Schöpfung als Gegensätze zu stilisieren) hin-ausgehen, und die Vorteile eines Verständnisses des »Menschen als Geschöpf und Mitgeschöpf zugleich« hervorheben (Seckendorff, 235). Dieses netzstrukturelle Geschöpf-Mitgeschöpf-Konzept gestattet es den Autoren, aktuelle umweltpolitische und -ethische Fragen zuzulassen, insbesondere solche nach menschlichem Naturverständnis, Verantwortung und Überforderung, der Rolle von Technologie oder, und noch einmal grundsätzlicher, danach, wie die evangelische Kirche eigentlich Zukunft definiert. Diese drei Texte bilden das eigentliche, wenn auch unfreiwillige Zentrum des Bandes, kein anderer bezieht derart kritisch und reflexiv theologisches Denken und Handeln auf die drängenden ökologischen Fragen der Gegenwart und Zukunft.

Am Ende bleiben jedoch Fragen offen. Hauptsächlich die nach einer schlüssigen Begründung für die in der Einleitung prominent gewählte Hinzunahme der Covid-19-Pandemie, die nur einmal im gesamten Band echte Aufmerksamkeit erfährt. Ihre kurze abschließende Erwähnung im dritten Teil, dem Ausblick, tangiert zwar die Theodiezeefrage – auch hier ließe sich Theologie sicher »neu denken« –, doch vergebens, die Pandemie bleibt ein Stichwort. Und zwar eines, das verdeutlicht, wie viel mehr Plausibilität eine Fokussierung auf den Klimawandel mit Covid-19 als Konsequenz dem Band verliehen hätte, genug immerhin gäbe es hier zu sagen – etwa zum gänzlich ausgelassenen Bereich der Tierethik, welche die Rückbindung an Covid-19 dann auch gleichsam hätte notwendig werden lassen. Doch Klimawandel und Pandemie nebeneinander zu stellen, missachtet zu stark die Komplexität der Zusammenhänge. Womöglich wirkte auch einfach der Schreck über die Pandemie selbst auf diese Gesamtkonzeption mit ein.

Wird Theologie in diesem EKD-Band also neu gedacht? Dies ist wohl nur in Ausnahmen festzustellen. Vielmehr tut sie sich merklich schwer, einen Schritt aus dem Früher nach vorn zu tun. Aber ist ein gänzliches Neu-Denken denn überhaupt eine angemessene Reaktion auf die Bedrohungen unserer Zeit? Auch diese Frage bleibt offen. Nicht offen bleibt der Eindruck einer in ihrer Zusammenstellung unentschlossen wirkenden Publikation, was sich zumindest partiell dadurch erklären könnte, dass die EKD ihre Tagung als »theo-logische Denkwerkstatt« (10) verstand. Daran lässt sich anknüpfen.