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Ausgabe:

Juni/2023

Spalte:

576-578

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Lang, Maria B.

Titel/Untertitel:

Praesentia Iesu Christi. Die Apostelgeschichte als christologische Erzählung.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2022. 384 S. = Herders biblische Studien, 98. Geb. EUR 75,00. ISBN 9783451388989.

Rezensent:

Marion Chr. Hauck

In ihrer Studie »Praesentia Iesu Christi. Die Apostelgeschichte als christologische Erzählung«, bei der es sich um die leicht überarbeitete Version ihrer 2021 an der Katholisch-Theologischen Fakultät der LMU München angenommenen Dissertation handelt (Supervisor: Knut Backhaus), widmet sich Maria B. Lang der in der Acta-Forschung kontrovers diskutierten Frage einer Präsenz Jesu in der Apostelgeschichte.

Im Einführungsteil (A.) legt L. die Leitthese der Gesamtuntersuchung dar: »Es wirkt, als sei Jesu Rolle mit seiner Himmelfahrt bereits nach den ersten Versen der Apostelgeschichte beendet. Doch ergibt sich im weiteren Verlauf der paradoxe Eindruck, dass Jesus, der nach seiner Himmelfahrt geradezu programmatisch ›abwesend‹ ist, auf subtile Weise der eigentliche Protagonist der Erzählung bleibt« (15; vgl. auch 45).

Hinsichtlich des Forschungsstandes (A.I) unterscheidet L. drei Positionen: Der generellen Bestreitung einer Präsenz Christi und Annahme einer »absentee christology« werden die Beobachtung einer Gegenwart oder Aktivität des nach der Himmelfahrt irdisch Abwesenden und die Bekräftigung einer fortgesetzten Präsenz und Aktivität Jesu nach der Himmelfahrt gegenübergestellt. L. knüpft mit ihrer Untersuchung an die dritte Position an und widmet sich damit dem »zweifachen Desiderat« (45) einer umfassenden monographischen Untersuchung der Frage nach der Präsenz Christi, bei der es sich zugleich um eine Analyse der »Rolle Jesu als zentralem Aktanten der Apostelgeschichte unter Berücksichtigung ihres Erzählgefüges« (45) handelt.

In A.II folgt eine terminologische Grundlegung, in der die Verfasserin zunächst auf Konzepte der Präsenz im Forschungsdiskurs eingeht. Präsenz wird L. zufolge in der Forschung oftmals als Anwesenheit Jesu auf der Erzählbühne aufgefasst, ohne weitere mögliche Präsenzdimensionen zu berücksichtigen: »Wo die Abwesenheit Jesu in der Apostelgeschichte betont wird, liegt in der Regel ein räumlich-physisches Konzept von Präsenz zugrunde: Aus der Aufnahme und dem damit verbundenen Weilen Jesu im Himmel folge seine Abwesenheit auf der Erde« (29). Demgegenüber legt L. ihrer Untersuchung einen weitgefassten Präsenzbegriff zugrunde, der das Bedeutungsspektrum der Begriffe »Gegenwart« und »Anwesenheit« abdeckt, darüber hinaus aber auch den Aspekt der Wahrnehmbarkeit umfasst (31–32; vgl. auch 319).

Methodologisch wird die Frage nach der Präsenz Jesu – als die bloße Textebene übergreifende Präsenz – in einem erzähltheoretischen Horizont beleuchtet, indem L. Erkenntnisse und Prämissen der modernen Erzählforschung aufgreift und für ihre Analyse fruchtbar macht (37–45). Da Präsenz wie Absenz jeweils einen Bezugspunkt voraussetzen, ist eine Präsenz Jesu auf der Textebene, welche aus dem wortstatistischen Befund und der wiederholten Nennung Jesu im Textverlauf des Gesamtwerkes hervorgeht (33–36), der Autorin zufolge zu ergänzen durch eine über die Textebene hinausweisende Präsenz Jesu auf den unterschiedlichen Ebenen des sich aus Erzählerrede, Figurenrede und zitierter Figurenrede zusammensetzenden Erzähltextes sowie durch eine Präsenz über die Ebenengrenzen hinaus. Im Blick auf Letzteres nimmt die Autorin das Phänomen der Metalepse in den Blick, welche in der Erzähltheorie eine Grenzüberschreitung zwischen verschiedenen Erzählebenen umschreibt (40–44). Vor diesem Hintergrund untergliedert L. den Hauptteil ihrer Studie in zwei Sektionen.

Im ersten Teil (B.) wird die Präsenz Jesu entlang des Erzählverlaufs der Apostelgeschichte untersucht. L. strukturiert die Apostelgeschichte in vier Abschnitte: Präsenz in der anfänglichen Übergangszeit (Apg 1,1–14), Präsenz in der Jerusalemer Urzeit (Apg 1,15–6,7), Präsenz in der Umbruchszeit (6,8–12,24) und Präsenz in der Aufbruchszeit (12,25–28,31). Innerhalb dieser vier Abschnitte erfolgt die abschnittsweise Erschließung der Präsenz Jesu in einem Dreischritt: L. setzt stets bei den Nennungen Jesu auf der Textebene bzw. im Erzählverlauf an, nimmt sodann die Rolle Jesu innerhalb der einzelnen Abschnitte narratologisch in den Blick und äußert sich abschließend zu Entwicklung und Formen der Präsenz Jesu im Erzählverlauf. L. betont, dass das Vorkommen Jesu auf der Textebene dabei stets ein erstes Indiz, jedoch kein hinreichendes Kriterium seiner Präsenz bildet. Über die Textebene und Erzählerrede hinaus werden auch weitere Erzählebenen (Figurenrede, zitierte Figurenrede) sowie die Möglichkeit einer ebenenübergreifenden metaleptischen Präsenz Jesu in die Analyse einbezogen (z. B. 164–166; vgl. auch 320).

Insgesamt zeichnet sich bei der Analyse ab, dass der anfänglichen Übergangszeit (Apg 1,1–14) erzählpragmatisch wie -strategisch eine grundlegende Funktion für die weitere Erzählung zukommt, indem sie »die fortdauernde, wenngleich veränderte Präsenzweise des Erhöhten« (321) als des zentralen Aktanten der Apostelgeschichte gezielt vorbereitet: durch die Verheißung des Empfangs des Geistes, durch die Apostel als Jesu Zeugen sowie durch die Himmelfahrt, welche die Voraussetzungen für eine neue Weise der Präsenz Jesu schafft (85).

Im zweiten Teil (C.) wird der Akzent auf eine Analyse der verschiedenen Präsenzformen Jesu im Erzählverlauf nach der Himmelfahrt gelegt (vgl. die Systematisierung 313–318). L. unterscheidet Jesu Erscheinungen als eindeutige Präsenzformen von Weisen einer mittelbaren Präsenz und eines vermittelten Wirkens Jesu, unter welche sie die Geistsendung und das Wirken des Geistes, Jesu Namen, Wunder, Verkündigung und weitere Figurenrede, Jesu Zeugen und ihr Geschick sowie die Gemeinschaft und Vollzüge der Ekklesia subsumiert.

In einer abschließenden Bilanz (D.) korreliert die Autorin die in Hauptteil B. und C. erzielten Ergebnisse mit den einführenden Bemerkungen zu Forschungsstand und Terminologie in einer Synthese. Sie resümiert, dass sich die Forschungsthese von einer »absentee Christology« von narratologischem Blickwinkel aus betrachtet und unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Dimensionen der Apostelgeschichte als Erzähltext nicht halten lässt (320). Aus den vielfältigen Präsenzformen Jesu (Präsenz Jesu über die verschiedenen Erzählebenen hinweg, Möglichkeit einer metaleptischen Präsenz) geht ihr zufolge vielmehr hervor, dass die Gegenwart Jesu das Gesamtwerk über den gesamten Erzählverlauf hinweg »in vielfältiger Form, wenngleich in unterschiedlicher Intensität« (319) prägt und dass es sich bei der Apostelgeschichte um eine christologische Erzählung handelt.

L.s Eingangsthese (15.45) erfährt, gestützt auf die gewählte narratologische Methodik und demonstriert durch die nachfolgenden Analysen, im Laufe der Untersuchung sukzessive ihre Begründung. Aufgezeigt wird die Vielschichtigkeit der Apostelgeschichte als Erzählwerk. Jesus wird als der eigentliche Handlungsträger, als souveräner Lenker des Geschehens präsentiert, der auch nach seiner Himmelfahrt im Erzählverlauf präsent ist, ohne dass dadurch die Rolle Gottes oder des Geistes in der Apostelgeschichte aufgekündigt wird. Die Analysen werden mit großer Genauigkeit durchgeführt. Die einzelnen Komponenten der Untersuchung ergeben ein in sich geschlossenes Gesamtbild, welches die leitende These wie ein roter Faden durchdringt.

Mit diesem Bild provoziert die Studie eine weiterführende Frage: Wie sind in seinem Kontext die lukanische Darstellung der Apostel und des Paulus zu verstehen? Speziell mit Blick auf Paulus wäre zu klären, welche Schlussfolgerungen für seine Rolle im Erzählgang sich aus L.s Nachweis einer souveränen Präsenz und lenkenden Aktivität des Kyrios Jesus ergeben.