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Ausgabe:

Mai/2023

Spalte:

527-529

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Frank, Günter, Leppin, Volker, u. Tobias Licht [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Die »Confessio Augustana« im ökumenischen Gespräch.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2021. XXXII, 452 S. Geb. EUR 30,95. ISBN 9783110683769.

Rezensent:

Andreas Stegmann

Ein Tagungsband, der mit den Grußworten zweier römisch-katholischer Bischöfe, eines leitenden evangelischen Geistlichen und eines Oberbürgermeisters sowie der Predigt eines Kurienkardinals eingeleitet wird, dokumentiert nicht bloß einen wissenschaftlichen Austausch, sondern erhebt einen kirchenpolitischen Anspruch: Was hier verhandelt wird, ist über den Raum der Wissenschaft hinaus wichtig, ja es geschieht in einem übergeordneten kirchlichen Interesse. 24 Beiträge zählt der 452-seitige Band, der auf eine Tagung im Herbst 2019 zurückgeht und sich zum Ziel gesetzt hat, die 1530 auf dem Augsburger Reichstag von den ›protestierenden‹ Ständen vorgelegte religionspolitische Rechtfertigungsschrift aufs Neue für die Verständigung zwischen römischem Katholizismus und landeskirchlichem Protestantismus fruchtbar zu machen. Ein erster Versuch dazu wurde in den 1970er Jahren von Seiten römisch-katholischer Theologen unternommen, die im Gefolge des konziliaren Aufbruchs das Augsburgische Bekenntnis als Mittel ökumenischer Annäherung entdeckten. Nachdem der landeskirchliche Protestantismus seinerseits auf das ökumenische Potential dieses Texts aufmerksam wurde und ihn neu schätzen lernte, entwickelte sich um 1980 tatsächlich ein Gespräch, das den Rückgriff auf einen Text des 16. Jh.s mit einer Öffnung gegenüber dem konfessionellen Gegenüber im 20. Jh. verband. Zwar blieben die auf unterschiedlichen Ebenen geführten Gespräche letztlich erfolglos, aber sie wirken in der Rückschau doch so verheißungsvoll, dass 40 Jahre später eine Wiederanknüpfung an diese Diskussionen möglich und lohnenswert erscheint.

Zwei Teile des Buchs blicken zurück: Der Teil zu den »His-torische[n] Grundlagen« (1–156) beschäftigt sich mit dem Bekenntnis und seiner frühneuzeitlichen Wirkungsgeschichte, der Teil zu den »Rezeptionen« (157–223) mit der Zuwendung zum Bekenntnis vor allem im 19. und 20. Jh. Eine Vielzahl von Themen wird hier abgehandelt; viel Neues findet sich nicht, dafür manches, was weder für die historischen Grundlagen noch für die Rezeption relevant erscheint. Der dritte Teil blickt auf die gegenwärtige ökumenische Diskussion (225–436). Vieles, was hier zu lesen ist, haben die Beiträgerinnen und Beiträger bereits an anderer Stelle ausgeführt. Gleichwohl ist es nützlich, Risto Saarinens wegweisende Forschungen zum Thema »Anerkennung« (369–380), Bo Kristian Holms bedenkenswerten Hinweis auf die gabetheologische Relevanz der CA (259–277) oder Notger Slenczkas Sicht des systematischen Zentrums und der Gegenwartsrelevanz des Augsburgischen Bekenntnisses (419–435) zusammengefasst zu bekommen. Über weite Strecken bietet der Band allerdings das übliche ökumenische Geklapper, das so routiniert abgespult wird, dass mancher Fehler unentdeckt geblieben ist. Da wird etwa Patriarch Jeremias II. zu Joachim II. umgetauft (119) oder Gottfried Seebaß mit Reinhold Seeberg verwechselt (229, Anm. 9).

Das Augsburgische Bekenntnis spielt in nicht allen Beiträgen eine wesentliche Rolle, und für die meisten Beiträgerinnen und Beiträger scheint ein Rückgriff auf diesen Text wenig auszutragen. Obwohl Kurt Koch die traditionelle Methodik ökumenischer Unterhandlungen und damit die Relevanz eines Texts wie des Augsburgischen Bekenntnisses verteidigt (381–398), fordern die meisten Beiträge, andere Wege einzuschlagen. Ob das Augsburgische Bekenntnis überhaupt für heutige ökumenische Gespräche taugt, wird dabei kaum hinterfragt. Der Text wird vielmehr so gedeutet, dass er kirchenpolitisch verwertbar ist. Das betrifft vor allem die Ekklesiologie. Für die römisch-katholische Kirche sind die Institution Kirche und das kirchliche Amt von zentraler Bedeutung und damit Schlüsselthemen jedes ökumenischen Dialogs. Das Augsburgische Bekenntnis kann nur dann Bedeutung für einen solchen Dialog haben, wenn es die Ekklesiologie besonders berücksichtigt und sie so formuliert, dass sich Möglichkeiten für Formelkompromisse oder sogar sachliche Annäherungen ergeben. Nun gibt es eine etablierte Deutung des Bekenntnisses, die die Rechtfertigungslehre für die zentrale Botschaft des Bekenntnisses hält, die Aussagen über Kirche und Amt nicht in den Mittelpunkt rückt und die Behauptung Melanchthons, die Dissens beziehe sich nur auf einige Missbräuche (s. u.), als eine unzulässige, wenn auch aus der Entstehungssituation der CA verstehbare Unterschätzung des sachlichen Gegensatzes zwischen Reformation und Papstkirche betrachtet. Weil mit dieser Deutung, für die gewichtige Gründe sprechen, ein ökumenisches Gespräch nicht ohne Weiteres zu führen ist, hat sich seit den 1970er Jahren eine alternative Deutung etabliert, die im vorliegenden Band dominiert. Nicht die Rechtfertigung, sondern die Kirche stehe im Mittelpunkt des Bekenntnisses, und in den Aussagen über die Rechtfertigung (CA 4) und das Wortamt (CA 5) seien die Institution Kirche und das erst in CA 14 ausdrücklich behandelte kirchliche Amt mitgesetzt. Wenn Kirche in CA 7 auf reine Evangeliumsverkündigung und rechte Sakramentsverwaltung zurückgeführt werde, sei damit vor allem das institutionalisierte kirchliche Amt gemeint. Hinsichtlich der Kirche habe im 16. Jh. gegolten und gelte bei rechter Betrachtungsweise auch heute, dass es kein »enges Implikationsverhältnis zwischen Rechtfertigungslehre und Kirchenbegriff« gebe, weshalb die »konfessionelle Aufladung der Fragen um Kirche und Amt« unnötig sei und eine »Einigung in den Fragen des kirchlichen Amts und der Ekklesiologie« für einen römisch-katholischen Beiträger denkbar war und ist (103 f.).

Diese ekklesiologische Deutung der CA bedarf weiterer Diskussion, die etwa mit dem Beitrag von Wolfgang Thönissen (399–417) einsetzen kann, der Rechtfertigungslehre und Ekklesiologie der CA einander auf andere Weise zuordnet und der CA im Gefolge der ökumenischen Dialoge der 1980er und 90er Jahre gerade auch hinsichtlich der Soteriologie eine »einheitsstiftende Überzeugung« (417) zuspricht. Wer die Kirche ins Zentrum der CA rückt und gerade in diesem Thema ökumenisches Verständnispotential entdeckt, sollte aber nicht nur den Zusammenhang von Ekklesiologie und Soteriologie berücksichtigen, sondern auch in Betracht ziehen, dass ein die ekklesiologische Deutung der CA verfechtender protestantischer Beiträger die »Differenz im Verständnis der Kirche für tiefgreifend und für nicht aufhebbar« hält (434). Möglicherweise werden mit der ekklesiologischen Deutung der CA also nicht nur der Text und seine Entstehungsgeschichte nicht angemessen wahrgenommen, sondern auch die ökumenische Verständigung eher erschwert als befördert.

Neben der Frage, welche Deutung des Augsburgischen Bekenntnisses historisch und theologisch angemessen und ökumenisch förderlich ist, stellt sich auch die Frage, welche Textgestalt zugrunde zu legen ist. In vielen Beiträgen des Bands findet die Ausgabe der lutherischen Bekenntnisschriften von 1930 Verwendung; in anderen wird aber auch die Neuausgabe von 2014 angeführt. Darauf, dass die Wahl der zu zitierenden Edition gerade für das ökumenische Gespräch nicht ohne Bedeutung ist, weist der Beitrag von Volker Leppin hin (51–62). Der Beitrag ist bemerkenswert, weil er einerseits auf die Mängel der von Leppin mitverantworteten CA-Ausgabe von 2014 hinweist, andererseits aber mit wenig überzeugenden Argumenten diese Ausgabe rechtfertigt. Es stellt sich die Frage, ob die 1930 vorgelegte und von Heinrich Bornkamm in den folgenden Jahrzehnten immer weiter verbesserte Ausgabe nicht doch die bestmögliche Annäherung an den am 25. Juni 1530 Kaiser Karl V. übergebenen und in den darauf folgenden Religionsverhandlungen benutzten Text des Bekenntnisses ist. Wer historisch und theologisch am Augsburgischen Bekenntnis interessiert ist und dieses Interesse ökumenisch nutzbar machen will, muss jedenfalls die Bekenntnisschriftenausgabe von 2014 mit Vorsicht benutzen. Das gilt auch darum, weil nicht nur die Wahl der Editionsgrundlage des Augsburgischen Bekenntnisses Fragen aufwirft, sondern auch die Machart der Edition und die die Edition begleitenden Einleitung und Apparate. Der für das ökumenische Gespräch wohl wichtigste Mangel der neuen Bekenntnisschriftenausgabe findet sich im Verbindungsstück zwischen erstem und zweitem Hauptteil des Augsburgischen Bekenntnisses: Während des Drucks der Erstausgabe wurde Bogen C an mehreren Stellen verändert. Die Editoren waren sich dessen nicht bewusst. So wurde die die Differenzen relativierende Aussage »Tota dissensio est de paucis quibusdam abusibus« – wohl von Melanchthon – verändert zur deutlicher abgrenzenden Formulierung »Sed dissensio est de quibusdam abusibus« (BSLK 83c).

Auch viele andere Textänderungen der Erstausgabe zielen auf solche deutlichere Abgrenzung von der Papstkirche. Angesichts der auch im vorliegenden Aufsatzband geäußerten Ansicht, Melanchthons Überarbeitungen des Bekenntnisses zielten auf die Nutzbarmachung des »integrative[n] Potential[s]« (10) des Bekenntnisses zur »Verständigung mit der römischen Kirche« (12), ist an Georg Kretschmars Einschätzung zu erinnern, dass es Melanchthon bei seinen Überarbeitungen des Bekenntnistexts »nicht um Verschärfung oder Abschwächung des Textes von 1530 gegenüber den alten und wieder neuen Partnern im Religionsgespräch [geht] – das sind Maßstäbe einer späteren Kontroverse –, auch nicht eigentlich darum, die neue Situation seit der Wittenberger Konkordie von 1536 mit einzubringen», »sondern um die deutliche Fixierung des status controversiae« (Der Reichstag von Regensburg 1541 und seine Folgen im protestantischen Lager, in: Das Regensburger Religionsgespräch im Jahr 1541. Rückblick und aktuelle Perspektiven, Regensburg 1992, 47–91, hier: 61).

Der Aufsatzband will auch mit Blick auf das Jubiläum 2030 das Augsburgische Bekenntnis wieder in Erinnerung bringen. Es braucht allerdings mehr historisches und theologisches Bemühen, als hier geboten wird, um sich über die Relevanz dieses Texts und damit über die Bedeutung des bevorstehenden Jubiläums zu verständigen. Das Augsburgische Bekenntnis verdient solches Bemühen, das im Zusammenhang vergangener Jubiläen evangelische Theologie und Kirche stets bereichert hat.