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Ausgabe:

Mai/2023

Spalte:

512-514

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Jakob, Beate, and Birgit Weyel [Eds.]

Titel/Untertitel:

Spirituality, Mental Health, and Social Support. A Community Approach.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2020. X, 227 S. m. 13 Abb. = Studies in Spiritual Care, 7. Geb. EUR 104,95. ISBN 9783110673166.

Rezensent:

Klaus Baumann

In vielfältiger Weise können sich Fragen nach dem Zusammenhang und den Wechselwirkungen von Spiritualität bzw. Religiosität oder persönlichem Glauben und psychischer Gesundheit stellen. Den vorliegenden Band gaben Beate Jakob und Birgit Weyel als Ergebnis vieler Jahre der Kooperation zwischen dem Deutschen Institut für Ärztliche Mission, Tübingen, und Praktischer Theologie III der Fakultät für evangelische Theologie an der Universität Tübingen heraus – Beate Jakob als Beraterin für Gesundheit und Heilung des Instituts, Birgit Weyel als Universitätsprofessorin mit Schwerpunkt Seelsorge und Pastoraltheologie. Sie wollen die Ergebnisse dieser Zusammenarbeit mit einer internationalen Öffentlichkeit teilen (darum in englischer Sprache) und bei aller Begrenztheit doch aus ihrer Perspektive einen Diskussionsbeitrag leisten. In der Zusammenarbeit lag ein Schwerpunkt auf der Frage, wie Gemeinden Menschen mit psychischen Erkrankungen begleiten können und wie sie für psychische Gesundheit und die Bedürfnisse von psychisch Erkrankten sensibilisiert werden können (vgl. VI).

Der Band ist nach der ausführlichen und instruktiven Einleitung der beiden Herausgeberinnen in drei Teile für die unterschiedlichen Artikel gruppiert: Teil I verspricht einen Überblick über »Religion und Gesundheit« zu geben. Er enthält drei sehr lesenswerte Beiträge: Michael Klessmann behandelt die Frage, ob Glaube heilt; Christian Zwingmann und Constantin Klein bieten in ihrem Beitrag über Religion und Gesundheit aus religionspsychologischer Sicht eine Auswahl empirischer Ergebnisse, ihr heuristisches Modell für mögliche Wirkpfade von Religiosität zu Gesundheit und Hinweise auf die Rolle des (sehr unterschiedlichen) kulturellen Kontextes, etwa in den USA und dem deutlich stärker säkularen Deutschland. Im dritten Artikel von Teil I referiert Annette Haußmann differenziert über die ambivalente Beziehung zwischen Depression und Spiritualität/Religion und schließt mit Hinweisen zu möglichen »spirituellen Interventionen« in Psychotherapie und Seelsorge.

Teil II enthält Berichte über empirische Studien; die erste (Haußmann, Jakob, Weyel) befragte 27 Seelsorgerinnen und Seelsorger zu ihren Erfahrungen mit und Sichtweisen auf Depression und Seelsorge. In der zweiten antwortet Birgit Weyel aufgrund einer qualitativen Erhebung auf die Frage, was freiwillig Engagierte in Gemeinden (»Ehrenamtliche«) motiviert, für Menschen mit psychischen Erkrankungen zu sorgen und wie sie ihre Mitwirkung in der Seelsorge (in seelsorglichen Gesprächen) erfuhren und einschätzten. Die dritte Studie nimmt − ebenfalls mit qualitativer Methode − hingegen Menschen mit psychischen Erkrankungen und ihre Angehörigen mit zwei Hauptfragen in den Blick: Ist der Glaube für sie eine Kraftquelle? Und inwiefern erfahren sie Unterstützung durch die Gemeinden? Der Glaube stärkt sie, die Gemeinden kaum – hier gäbe es noch viel Potenzial (vgl. 140). Die vierte Studie (Haußmann, Jakob, Weyel) wagt einen Vergleich sehr ungleicher Stichproben als »komparative Studie« unter Freiwilligen in deutschen Gemeinden und unter Berufstätigen in Gesundheitsdiensten in Malawi, zu ihren Motivationen und ihren Sichtweisen auf Depressionen, Glauben und Gemeinden. Auch ohne den komparativen Versuch wäre jede einzelne Studie einen kleinen Bericht wert. Als fünfte Studie erhoben Paul Mekani und Japhet Myaba in einem malawischen District (Lilongwe) unter 111 Angehörigen von Gesundheitsberufen und 97 Gemeindemitgliedern quantitativ und qualitativ das Wissen um psychische Gesundheit und psychische Erkrankungen sowie die Wahrnehmungen und Einstellungen gegenüber psychisch erkrankten Menschen. Mit beiden Methoden wurden große Wissens- und Einstellungsunterschiede zwischen Gesundheitspersonal und Bevölkerung dokumentiert – wobei in Letzterer magische Vorstellungen und das Vertrauen auf traditionelle Heilerinnen und Heiler verbreitet sind (vgl. 170 f.).

Diese Studie leitet wie natürlich über zu Teil III: Wege zur Verbesserung der psychischen Gesundheit. Beate Jakob gibt zunächst einen Überblick über psychische Gesundheit weltweit, den Anteil psychischer Erkrankungen und besonders von Depression an den Krankheitslasten der Weltbevölkerung und die große(n) Behandlungslücke(n) für psychische Erkrankte in den Gesundheitssystemen zumal in Niedriglohnländern (am extremsten in Afrika). Nicht zuletzt in diesen bedürfe es dringend Gemeinde-basierter psychiatrischer Gesundheitsdienste, um die Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen dort zu erreichen, wo sie leben. Mit einem Beispielprojekt in Deutschland (Beate Jakob) und einem in Indien (Vandana Kanth) veranschaulichen die abschließenden Kapitel, wie (Kirchen-)Gemeinden in die Förderung psychischer Gesundheit involviert werden können.

Es ist verdienstvoll, dass die beiden Herausgeberinnen mit diesem Sammelband sowohl ihre o. g. Zusammenarbeit dokumentieren als auch für die Not psychisch kranker Menschen, für ihre möglichen Glaubensressourcen und für die Schwächen und Stärken christlicher Gemeinden ihnen gegenüber sensibilisieren. Dazu gehören auch die Berichte und Daten empirischer Erhebungen, die so (als Originalarbeiten) kaum für wissenschaftliche Fachjournale mit Reviewverfahren geeignet wären, aber gleichwohl ihre deskriptive Relevanz haben; nichtsdestoweniger wäre es in einer zweiten Auflage passend, jedem Bericht ein geeignetes Abstract voranzustellen.

Psychische Erkrankungen und besonders Depressionen bedürfen nicht nur in den Ländern des globalen Südens, sondern auch in Deutschland bzw. westlichen Gesellschaften weiterhin der Aufklärung und Entstigmatisierung in der jeweiligen Bevölkerung. Für die Entstigmatisierung können und sollten christliche Gemeinden eine Vorreiterrolle spielen, angefangen mit der Umsetzung der stets aktuellen Aufforderung von Röm 15,7: »Nehmt einander an, wie auch Christus uns angenommen hat, zur Ehre Gottes.« Ebenso jedoch sollten christliche Gemeinden Avantgarde sein für kultursensible medizinische und theologische Aufklärung gegenüber magischen und abergläubischen Vorstellungen von Besessenheit und Dämonenglauben. Eine stärker theologisch-interdisziplinäre Auseinandersetzung mit diesen Vorstellungen, die auch in christlichen Gruppen florieren und eine verantwortete Praxis in Gemeinden und Gesundheitswesen herausfordern, wäre eine passende Weiterführung im Anschluss an Michael Klessmanns Beitrag, zumal im Dienst der Absicht internationaler Sichtbarkeit der präsentierten Artikel als Sammelband in englischer Sprache (vgl. neben der Zeitschrift Spiritual Care, in deren Buchreihe die- ser Band erscheint, und den jüngeren Publikationen von Simon Peng-Keller exemplarisch die aktuellen thematischen Schwerpunkte der beiden folgenden Zeitschriften aus Theologie sowie Neurologie, Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie: Ökumenische Rundschau 4/2022: Dämonen. Skizzen zu einem herausfordernden Phänomen in Ökumene und Religionen; Nervenheilkunde 12/2022: Religiosität für Psychiatrie und Psychotherapie).

Wenn auch der Preis dieses Buches eine m. E. überhohe Hürde darstellt, ist seinen Anliegen doch eine breite Rezeption zu wünschen.