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Ausgabe:

Mai/2023

Spalte:

502-504

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Jansen, Ludger, u. Rebekka A. Klein [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Seele digital. Mind Uploading, virtuelles Bewusstsein und Auferstehungshoffnung.

Verlag:

Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2022. 192 S. Kart. EUR 22,00. ISBN 9783791733654.

Rezensent:

Friedemann Richert

Im Jahre 1624 legte Francis Bacon mit seiner Schrift »Nova Atlantis« die erste technische Utopie vor. Deren Fokus ist es, mithilfe von Erkenntnissen und Fähigkeiten der Naturwissenschaft die Herrschaft des Menschen über die Natur bis an die Grenzen des denkbar Möglichen auszudehnen. Die geistige Grundlegung hierfür formulierte Bacon schon im Jahre 1597 in seinen Meditationes sacrae mit seinem berühmt gewordenen Satz: »nam et ipsa scientia potestas est«, also: Wissen ist Macht. Mit Wissen als Macht sollen demnach die Welt und der Mensch neugestaltet werden. Von diesem Traum ist seither die westliche Welt fasziniert. Der vorliegende Sammelband – eine Zusammenfassung eines Studientages der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum im Jahre 2019 – ist ein Beleg hierfür. In ihm begegnet uns auf Schritt und Tritt das von Bacon initiierte angelsächsisch-technische Utopiedenken.

Die Herausgeber, Ludger Jansen und Rebekka A. Klein, haben die gehaltenen Beiträge thematisch gut gegliedert und hierbei die technischen Utopien Transhumanismus und Posthumanismus in ihrem Für und Wider dargestellt. Freilich erinnern diese vermeintlich neuen Denkansätze an Mary Shelleys Roman »Frankenstein« aus dem Jahre 1818, der allemal eindrucksvoll auf die Gefahren solch eines Unternehmens hinweist, den vorfindbaren Menschen technisch verbessern zu wollen. Als erkenntnisleitender Gedanke wird darum im Sammelband der Frage nachgegangen, inwiefern das Bewusstsein des Menschen, als postulierte Hauptfunktion des Gehirns, körperunabhängig durch Computertechnik im Sinne eines Mind Uploading digitalisiert werden kann oder eben nicht (vgl. 42 ff.). Besonders drei technische Projekte dienen als gedankliche Bezugsgrößen (vgl. 40 f.):

1. LifeNaut.com will eine digitale Sicherungskopie des eigenen Geistes (Mindfile) und genetischen Codes (BioFile) erstellen.

2. Das Unternehmen Eternime will mit technischen Mitteln das menschliche Vergessen überwinden und einen digitalen Avatar entwickeln, der des Menschen Lebensgeschichte bewahrt und fortführt: Ewiges Leben im digitalen Universum.

3. Der Investor Elon Musk geht mit seinem Projekt Neuralink davon aus, dass menschliche Gehirne mit Systemen künstlicher Intelligenz eine Symbiose eingehen können.

Die ersten zwei Artikel thematisieren Fragen der Machbarkeit des Mind Uploading, sowohl die metaphysische Möglichkeit eines solchen Projekts (Jansen, Gasser) als auch seine technische Undurchführbarkeit, weil es nur hohle, quasireligiöse Versprechungen anbieten kann (Landgrebe, Smith) (11). Die folgenden Beiträge betrachten die technische Utopie des Mind Uploading kritisch: Knaup bezeichnet dies als leib- und lebensfeindlich und weist darum die Idee des Mind Uploading scharf zurück (13 f.), Becker kritisiert den Verlust der Seele in der Neuzeit, welcher zwangsläufig eine Verarmung des Geistes und Bewusstseins des Menschen auf neurowissenschaftliche Phänomene mit sich bringe. Dennoch kann Mind Uploading zu einer innerweltlichen Perfektionierung des Menschen beitragen (15). Die beiden abschließenden Beiträge diskutieren das Mind Uploading in theologischer und gesellschaftstheoretischer Hinsicht. Mühling bewertet die ganze Denkwelt von Post- und Transhumanismus als quasi-religiöse Bewegung und formuliert ernüchternd: »Wie immer wir unsere Leiber erweitern wollen, Vollendung ist weder uns noch irgendeiner Superintelligenz verfügbar. […] Die Vollendung […] wird eine Gabe des dreifaltigen Gottes sein.« (144 f.) Zudem warnt Mühling vor der totalitären Gefahr einer posthumanistischen Eschatologie, da diese keine transmundane Gerichtsinstanz kennt und somit der befreiende Gedanke des Jüngsten Gerichts verloren geht, mithin der posthumane Mensch Richter in eigener Sache ist (145). Das ist nicht gut.

In gesellschaftskritischer Perspektive betrachtet Klein die Digitalisierung der Gesellschaft: »Die digitale Kultur transformiere das Sinnerleben des Menschen durch eine soziale Praxis, […] (die) die Inszenierung des Einzigartigen und Besonderen zum Maß aller Dinge (erhebe).« (16) Dies vorausgesetzt, beurteilt Klein diese digitale Dynamik und Lebenswelt als dystopisch.

Ein Mangel des gesamten Buches ist es, den trinitarischen Gedanken von Gottes Geist, als ewiges und körperfreies Bewusstsein, in Abgrenzung zur funktionalen Philosophie des Geistes, nicht argumentativ aufgegriffen zu haben. Hat doch Robert Spaemann mit seinem grammatikalischen Gottesbeweis hierzu fundamental Theologisches vorgelegt. Das aber ist aus christlicher Sicht notwendig, um des Menschen Seele nicht als technisch verfügbare Größe, sondern als Derivat des Seins denken zu können.

Was zudem allen Projekten zugrundeliegt, ist eine naive Vorstellung der Energiesicherheit, ohne die ein Mind Uploading nicht denkbar ist: Ein Blackout, und siehe da, kein Speichermedium funktioniert mehr. Also gilt: Ewiges Leben, Auferstehung, Seele, Geist, Menschsein, all das entzieht sich der technischen Utopie des Post- und Transhumanismus, wenn der Strom ausbleibt.

Wer sich einen Überblick über die gegenwärtige Diskussion des Mind Uploading verschaffen will, für den ist vorliegendes Buch empfehlenswert. Wer hingegen eine menschengemäße Seelenlehre erwartet, der möge ein anderes Buch lesen.