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Ausgabe:

Mai/2023

Spalte:

498-500

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Chiapetti, Dario

Titel/Untertitel:

The Father’s Eternal Freedom. The Personalist Trinitarian Ontology of John Zizioulas. Ed. with a Foreword by. N. Russell.

Verlag:

Cambridge: James Clarke (Lutterworth Press) 2022. 300 S. Geb. £ 75,00. ISBN 9780227177730.

Rezensent:

Tobias Graßmann

In seiner aus einem Dissertationsprojekt an der Facoltà Teologica dell’ Italia Centrale in Florenz hervorgegangenen Studie untersucht Dario Chiapetti die personalistische trinitarische Ontologie von Ioannis Zizioulas (1931–2023). Dieser entwickelt sein Seinsverständnis ausgehend vom Zentralbegriff der Person, den er wiederum theologisch vom innertrinitarischen Relationsgeflecht der göttlichen Personen her bestimmt. Beruft er sich dabei zu Recht auf die Kirchenväter oder projiziert er vielmehr modernes Denken in die Antike zurück? Zudem besteht Zizioulas entschieden darauf, dass innerhalb der Trinität der Person des Vaters die Stellung der vorgängigen ontologischen Realität zukommen müsse. Gegenüber einer solchen »monarchischen« Konzeption der Trinität liegt allerdings immer die kritische Anfrage nahe, ob es sich nicht letztlich um eine Form von Subordinatianismus handelt. Solchen Grundfragen geht C. nach, wobei er ganz im Problemhorizont der rekonstruierten Position verbleibt und weitgehend auf die Auseinandersetzung mit alternativen Konzepten der Trinitätstheologie verzichtet. Angesichts der erforderlichen Quellenarbeit und Systematisierungsleistung ist diese Entscheidung durchaus nachvollziehbar.

C.s Buch beginnt mit einem knappen Überblick über den biographischen Rahmen, theologische Einflüsse und wichtige Werke von Zizioulas (1–8). Der erste Teil rekonstruiert sodann in zwei Kapiteln den Umgang mit den patristischen Quellen, aus denen Zizioulas für seine Theologie schöpft (9–160), bevor der zweite, stärker systematisch ausgerichtete Teil in ebenfalls zwei Kapiteln Zizioulas’ trinitarisch-personale Ontologie ihrem inneren Zusammenhang nach darstellt (161–264). Da beide Abschnitte dieselben Themen in unterschiedlichen Hinsichten bearbeiten, gibt es große Überschneidungen zwischen ihnen. So lassen sich allerdings beide Teile auch als eigenständige, eher patristisch-werkgenetisch oder philosophisch-dogmatisch ausgerichtete Untersuchungen lesen.

Im ersten Kapitel wird nachgezeichnet, wie Zizioulas ausgehend von der Kirchenvätertradition seine erste Hauptthese einer ontologischen Priorität des Personbegriffs vor dem Wesensbegriff begründet (11–101). So arbeitet Zizioulas zufolge Athanasius die aus der philosophischen Tradition übernommenen und theologisch noch eher unterbestimmten Begriffe ousia und hypostasis zu einem relationalen Verständnis der göttlichen Wesens-Substanz aus (vgl. 12–23). Der größte Teil des Kapitels ist sodann den sog. großen Kappadoziern gewidmet, die die Begriffe ousia und hypostasis einer weiteren semantischen Klärung zuführen. Hier komme es zu einer trinitätstheologischen Bestimmung des nur relational zu verstehenden Personbegriffs, während der Wesensbegriff als ontologische Kategorie in den Hintergrund tritt (vgl. 23–84). Der dritte Teil des Kapitels beschäftigt sich mit Maximus Confessor, bei dem in einem nun auch christologischen Kontext der ontologische Personalismus der Kirchenväter seine Vollendung erreicht habe (vgl. 84–101). Das Ergebnis ist die Priorität des Personbegriffs und dessen Verständnis als der spezifischen Weise, wie eine ontologisch freie Natur existiert (the way in which free nature exists, im Orig. teilw. kursiv, 92).

Im zweiten Kapitel wird ausgehend von biblischen Grundlagen, Lex Orandi und Kirchenvätertradition die Begründung der zweiten Hauptthese rekonstruiert, dass innerhalb der Trinität die Person des Vaters als ontologisches Prinzip, Ursache und Einheitsgrund des trinitarischen Seins zu identifizieren ist (102–160). Erneut sind es die Kappadozier, die den Ursachenbegriff (gr. aitia, aition) in die Theologie einführen, womit gerade keine unpersönliche und der Notwendigkeit unterliegende Emanation des göttlichen Wesens, sondern vielmehr ein personal-moralisches Verhältnis gemeint ist (vgl. 115–118). Deshalb erhalten der Sohn und der Geist ihr Sein nicht vom Wesen des Vaters, sondern von dessen Person, so dass ein personales Verständnis der innertrinitarischen Relationen festgehalten und eine Subordination hinsichtlich des göttlichen Wesens zurückgewiesen wird. Der Vater als das eine und einende ontologische Prinzip der Trinität ermöglicht somit, von dem einen Gott sowie einer gemeinsamen göttlichen Natur zu sprechen – und liturgisch den einen Gott als Vater anzurufen: »the Father who is Trinity« (128).

Im zweiten Teil des Buches wird Zizioulas’ Denkweg in seinem inneren Zusammenhang systematisch nachgezeichnet – im dritten Kapitel zunächst hinsichtlich der trinitarischen Person des Vaters und ihrer Stellung als ontologisches Prinzip göttlicher Freiheit (vgl. 163–235). Hypostatisches bzw. personales Sein ist immer Sein in Beziehung, das sich in einer ekstatischen Bewegung hin zum anderen und auf Gemeinschaft hin vollzieht. Die Freiheit des Vaters ist daher die Selbsttranszendenz einer ekstatischen Existenz zum Anderen hin, die zugleich Selbstsein und Selbst-Anders-Sein ermöglicht. Falle diese ontologische Freiheit des Vaters mit der göttlichen Liebe zusammen, die sich dem Anderen willentlich und nicht-notwendig zuwendet, dürfe dies keinesfalls als willkürlicher Wahlakt eines Individuums missverstanden werden. Das ontologische Prinzip der Trinität ist kein Individuum, keine Ontologie und auch nicht die Struktur ekstatischer Liebe als solcher, sondern eben nur die Person des Vaters in ihrem relational-personalen Sein: »the Father is love because he exists as Trinity« (196).

Im vierten Kapitel geht es noch einmal um die Konsequenzen dieser Konzeption für die Freiheit der anderen trinitarischen Personen (236–256). In der Trinität kommt Freiheit von Freiheit – jeweils verwirklicht als ekstatische Überschreitung des Selbst zum Anderen hin. Dabei besteht in Gott keine Abstufung des Wesens, sondern es ist allein die jeweils spezifische Verwirklichungsweise der Freiheit, die die Personen der Trinität voneinander unterscheidet. Mit einer reziproken Bewegung antworten der Sohn und der Heilige Geist auf ihre Zeugung bzw. ihren Hervorgang aus dem Vater, so dass die Bewegung schließlich wieder in ihren Ursprung zurückkehrt und dort im Vater ihr Ziel, ihre Erfüllung und Ruhe findet. Mit dem Heiligen Geist als der dritten trinitarischen Person kommt nicht zuletzt auch das ökumenisch zwischen Ost- und Westkirchen strittige Filioque in den Blick. Zizioulas weist das westkirchliche Filioque zwar strikt zurück, aber zieht dennoch in Erwägung, ob zumindest die Position Augustins mit derjenigen der Ostkirchen vereinbar sein könnte, sofern man den Sohn präzise als vom Vater verursachtes Mit-Prinzip (co-principle) versteht (vgl. 249–252).

Nach C.s abschließender Beurteilung (vgl. 257–264) ist Zizioulas’ trinitätstheologische Konzeption gleichermaßen vorsichtig (cautious) und wagemutig (bold): Einerseits hält Zizioulas sich demütig innerhalb der Grenzen, die ihm durch die ostkirchliche Kirchenvätertradition gesteckt sind, und wahrt darüber hinaus das Mysterium. Andererseits wird die altkirchliche Theologie durchaus selbstbewusst in existentialistische oder personalistische Kategorien übertragen. Kritisiert wird von C. etwa, dass Zizioulas faktisch den binären bzw. binitarischen Denkfiguren der Sohn-Vater-Relation verhaftet bleibt und Konzepte wie das der Perichorese (gr. perichōrēsis) kaum Beachtung finden. Dagegen wird überzeugend die Kritik zurückgewiesen, dass das relationale Denken Zizioulas’ zu einem existentialistischen Anti-Essentialismus oder einer De-Substantialisierung geführt habe. Immer wieder kommt der Autor zu dem vermittelnden Ergebnis, dass Zizioulas’ Vorschläge in sich kohärent und als Interpretation auch mit dem patristischen Textbefund vereinbar sind, ohne sich doch als einzig mögliche Interpretation aufdrängen zu können. Als positiv und weiterführend wird insbesondere das Anliegen herausgestellt, den übersteigerten Individualismus der Gegenwart nicht einfach durch Repristination vormoderner Substanz- und Naturkategorien überwinden zu wollen, sondern mit den Kirchenvätern eine relationale Ontologie der Person mit mystisch-ekklesialer, ja erotischer Fluchtlinie zu entwerfen. Wer sich für dieses Denkprojekt interessiert, ist mit C.s Buch sehr gut bedient.