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Ausgabe:

Mai/2023

Spalte:

476-477

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Felder, Matthias

Titel/Untertitel:

Christliches Leben und die Verbesserung des Menschen. Enhancement und Heiligung bei Calvin.

Verlag:

Berlin u. a.: De Gruyter 2022. XI, 242 S. = Theologische Bibliothek Töpelmann, 197. Geb. EUR 102,95. ISBN 9783110745931.

Rezensent:

Herman Selderhuis

Diese an der Universität Bern angenommene Dissertation – die bei De Gruyter auch über Open Access zugänglich ist – zeichnet eine wohltuend klare Struktur aus. Die Arbeit von Matthias Felder steht im Kontext der sogenannten »Enhancement Debatte« und beantwortet die Frage, ob Calvins Heiligungslehre zu dieser Debatte einen Beitrag leisten kann. »Enhancement« ist ein vielumfassender Begriff, steht aber kurzgefasst für die Möglichkeit, den Menschen bzw. die menschlichen Leistungen zu verbessern.

Nach einem kurzen einleitenden Kapitel führt F. den Leser sorgfältig und gut dokumentiert in diese aktuelle Debatte sowie deren kirchlich-theologische Rezeption ein. Dabei macht er deutlich, dass für »Enhancement« die Voraussetzung der menschlichen Freiheit und der menschlichen Möglichkeit, sich zu verbessern, grundlegend ist. F. sieht dieses Verlangen nach Verbesserung als »ein Phänomen der Leistungsgesellschaft«. Im dritten Kapitel folgt eine sehr gründliche, hauptsächlich auf der Institutio basierte – aber mit effektiver Bezugnahme auf Calvins Bibelkommentare – Analyse der Heiligungslehre Calvins, und zwar aus der Perspektive, worauf und mit welchen Zielen und Ergebnissen der neue Mensch in Christo sein Leben gestaltet. Heiligung ist fundiert in der Rechtfertigung und in dieser Hinsicht gibt es zwischen Luther und Calvin keinen Unterschied. Aber der Genfer unterscheidet sich vom Wittenberger, indem er die Heiligung stärker betont als die Spur, in der der Mensch sich auf seine geschöpfliche Bestimmung ausrichtet und auf der er auch Fortschritte machen kann. Diese Fortschritte sind bei Calvin aber immer Fortschritte in der Buße. F. beherrscht nicht nur die Kunst, sich klar auszudrücken, sondern ist auch in der Lage, die Auffassungen Calvins ausgewogen darzustellen. Er vermeidet die traditionellen und – obwohl von der Forschung schon längst widerlegten, aber immer wieder auftauchenden – negativen Urteile über Calvins Anthropologie, aber er tut dies, ohne als Apologet des Genfer Theologen aufzutreten. Im vierten Kapitel folgt dann der Vergleich zwischen heutigen Enhancement-Theorien und Calvins Heiligungslehre. Der Autor weist auf fundamentale Unterschiede hin, besonders darauf, dass bei Calvin eine Verbesserung des Menschen ohne eine Beziehung zu Gott und ohne die Gemeinschaft mit Christus undenkbar und unmöglich ist. Dennoch kommt Felder zum Schluss, dass Calvins Heiligungslehre einen wesentlichen Beitrag zur Enhancement-Debatte leisten kann. F. spricht von Calvins »Theologie der Krea- tivität«, die es in der Verbindung mit seiner »Theologie der Dankbarkeit« ermöglicht, das Nachdenken über Enhancement zu vertiefen und für die Gegenwart wertvoll zu machen, auch indem seine Anthropologie inklusive Sündenlehre den Optimismus über die menschlichen Möglichkeiten realistisch eingrenzt, ohne aber das Streben nach Verbesserung zu bremsen.

Diese Arbeit ist ein herausragendes Beispiel von relevanter Forschung. Relevant ist sie für die Forschung, weil neue Perspektiven eingebracht und alte korrigiert werden. Relevant auch für Gegenwartsfragen und heutige Debatten, in denen die Einsichten von Denkern aus der Frühen Neuzeit und – in diesem Fall vom Theologen Calvin – noch zu wenig berücksichtigt werden.