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Ausgabe:

Mai/2023

Spalte:

455-456

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Römer, Thomas, Schmid, Konrad, and Axel Bühler [Eds.]

Titel/Untertitel:

The Joseph Story between Egypt and Israel.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2021. VI, 178 S. = Archaeology and Bible. Kart. EUR 64,00. ISBN 9783161601538.

Rezensent:

Jörg Lankau

Der kompakte Sammelband bietet die Ergebnisse des interdisziplinären Workshops vom 15.–16.06.2018 in Lausanne, welcher im Rahmen des vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierten Projekts The History of the Pentateuch: Combining Literary and Archaeo-logical Approaches stattfand. Namhafte Ägyptologen, Archäologen, Spezialisten für Alte Geschichte und Bibelwissenschaftler diskutieren den neuesten Stand der Forschung zur Josefsgeschichte.

Die beiden einleitenden Artikel von Franziska Ede und Reinhard G. Kratz untersuchen diachron deren Genese und literarische Funktionen (The Joseph Story: Diaspora Novella – Patriarchal Story – Exodus Narrative). F. Ede nimmt an, dass eine frühere Josefsgeschichte die Patriarchenerzählungen fortsetzte, wobei sie inhaltlich ein jüdisches Leben in der ägyptischen Diaspora legitimiert – diese Position kann aufgrund der mannigfachen Rückbezüge der Josefsgeschichte auf die Patriarchenerzählungen durchaus überzeugen. Erst in einem späteren Stadium, so Ede, fungierte die Josefsgeschichte als erzählerische Brücke zur Exodus- und Landnahmeerzählung, womit sie inhaltlich nur noch einen »Wegpunkt« des Auszugs aus Ägypten markiert – auch dies ist bereits intensiv erforscht und leuchtet ein. R. G. Kratz bestimmt die »ursprüngliche« Josefsgeschichte historisch als Reflexion einer samarisch-judäischen Diaspora in Ägypten – im Hinblick auf Gen 39–41 und 47 sei an eine Entstehung in persischer oder hellenistischer Zeit zu denken, in der ein Kontrapunkt zur Position der Ablehnung derselben Diaspora durch die Hrsg. des Jeremiabuches (Jer 43–44) gesetzt würde.

Thomas Römer (How »Persian« or »Hellenistic« is the Joseph Narrative?) verortet die ursprünglich selbstständige Josefsgeschichte – wie die Majorität der Autorinnen und Autoren – in persischer Zeit. Die Spuren einer Überarbeitung in frühhellenistisch-ptolemäischer Zeit seien jedoch gut erkennbar – sie sei jedoch erst nach der Integration der »priesterlichen« Texte (P) redaktionell in den heutigen Zusammenhang der Genesis eingefügt worden. Gibt es somit keinerlei Spuren mehr in die vorexilische Zeit zu entdecken, in der doch das »Haus Josef« und das »Haus Juda« staatlich verfasst waren und demnach historische Reminiszenzen zur Zeit der assyrischen Vorherrschaft anklingen könnten?

Lauren Monroe (Stripping off the Robe. New Light on »Joseph the Hebrew« and the bet-yosef) legt nahe, die Hauptfigur mit dem bet-yosef zu assoziieren: Der Prozess der Strukturierung »Israels« beinhaltete auch die Integration desselben, und es sei hinter der vorliegenden Erzählung sogar ein »hebräischer Josef« als historischer Vorfahre in Kanaan auszumachen.

Die beiden Artikel von Samuel Arnet (Aspects of Jewish Identity in the Joseph Story) und Safwat Marzouk (Forced Migration and Reconciliation in the Joseph Narrative) fokussieren vor allem auf die Konstruktion von (kollektiven) Identitäten. S. Arnet zeigt anhand vieler Beispiele die Unterschiede zu deuteronomistischen Diskursen ebenso wie zu jenen der Bücher Esra und Nehemia – die nachexilische Josefsgeschichte vertritt eine offenere Position und grenzt sich weniger von den »Völkern« ab. S. Marzouk geht noch einen Schritt weiter, wenn er den bereits durch R. G. Kratz angesprochenen Prozess der Selbstreflexion in der Diaspora vertieft. Er arbeitet einen (in Migrationsprozessen bis heute wichtigen) Aspekt der Identitätsbildung heraus: Die Hauptfigur lebt eine hybride Identität, die in der Situation erzwungener Migration eine echte Überlebensperspektive bietet.

Konrad Schmid (Sapiential Anthropology in the Joseph Story) zeichnet die Anthropologie, aber auch Theologie der Josefsgeschichte überzeugend in einen weitgesteckten Horizont der Transformation jüdischen, weisheitlichen Denkens ein. Zeitlich wird ihre Entstehung ab 587 v. Chr. angesetzt, auch die frühe persische Zeit käme infrage. Für das Verständnis des zweiten Traums Josefs wird vor allem die Beobachtung blasphemischer Untertöne der sich vor einem Menschen verneigenden Gestirne fruchtbar gemacht. K. Schmid betont m. E. zu Recht, dass Josef keinesfalls idealisiert werden soll und weist auf die Besonderheit der Einführung einer Gottesfigur in Gen 37,14 hin. Zur Frage der Erfüllung bzw. Nichterfüllung des zweiten Traumes würde ich mich gern noch einmal in einem separaten Artikel äußern.

Die letzten beiden Beiträge lesen die Josefsgeschichte ägyptologisch. Sie demonstrieren eindrücklich den unschätzbaren Nutzen interdisziplinärer Zusammenarbeit: Camille Guérin (The Joseph Story from an Egyptological Perspective) untersucht diverse Hinweise auf ökonomische und kulturelle Hintergründe und ordnet die entsprechenden Realitäten ebenfalls eher der persisch-frühhellenistischen Zeit zu. Dies bestätigt Bernd U. Schipper (Joseph in Egypt. A Critical Evaluation of the Classical Parallels and a New Interpretation) in seiner Diskussion der bekannten Parallelen zur Ahiqar-Tradition sowie der Hungerstelen: Der Papyrus pBerlin 23071 trägt auf seiner Rückseite einen hieratischen Text aus persischer Zeit, welcher alle Motive der Hungerstelen enthält, die sich mit der biblischen Geschichte in Verbindung bringen ließen.

Der Sammelband liest sich mit Gewinn und Hoffnung auf eine Fortsetzung der angeregten Diskussion; die beigegebenen Verzeichnisse sind sehr übersichtlich.