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Ausgabe:

Mai/2023

Spalte:

445-447

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Siquans, Agnethe, u. Markus Vinzent [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Biblische Frauenfiguren in der Spätantike.

Verlag:

Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag 2022. 376 S. m. 6 Abb. = Die Bibel und die Frauen, 5.2. Kart. EUR 79,00. ISBN 9783170374447.

Rezensent:

Dorothee Schenk

Bei dem zu besprechenden Buch handelt es sich um eine Fortführung des vorhergehenden Bandes derselben Reihe (5.1: »Christliche Autoren der Antike«, hg. v. K. E. Børresen/E. Prinzivalli). Während dort untersucht wurde, wie einzelne Autoren bzw. Traditionen Frauen thematisieren und ansprechen, ist der vorliegende Band eher querschnittsartig angelegt und verfolgt das Schicksal und die Auslegung einzelner biblischer Frauenfiguren und Personengruppen durch verschiedene Quellen hindurch. Dies hat zur Folge, dass Leser und Leserinnen zwar umfassend über eine feministisch-theologische Sichtweise auf die spätantiken Quellen informiert werden, aus historischer Perspektive jedoch – zumindest bei einem Großteil der Beiträge – ein breites Vorwissen notwendig ist, um die dargestellten Inhalte gewinnbringend kontextualisieren zu können.

Die Herausgeberin und der Herausgeber des Bandes, Agnethe Siquans (Wien) und Markus Vinzent (London), versammeln in diesem Band dreizehn Beiträge, die aus einem Kolloquium an der Universität Wien (2019) hervorgehen. Nicht alle Beiträge widmen sich einer konkreten Person oder Personengruppe, sondern sind umfassender angelegt. So bietet Cristina Simonelli mit ihrem Beitrag »Patristische Exegese: Hermeneutik auf dem Prüfstand von Praxen und Gendermodellen« den Auftakt des Sammelbandes. Einleitend stellt Simonelli fest, dass eine »genderbezogene und intersektionelle Lesart immer eine zweischichtige Hermeneutik erfordert, die sowohl auf den Horizont des Texts als auch auf die darin enthaltenen Genderdynamiken achtet« (15 f.). Hierin sieht sie einen Schlüssel, um die übliche, »neutrale und vermeintlich allgemeingültige Lesart« (16) gewinnbringend aufzubrechen. Um zu zeigen, weshalb diese Öffnung der Perspektive notwendig sei, spannt sie ein weites Netz von Theorien, beginnend mit dem Verweis auf die beständige und fluide Intertextualität spätantiker Texte, über die Begriffe des Symbols (Ricœur) und des kollektiven Gedächtnisses (Halbwachs, Assmann) bis hin zur Praxis-Exegese (Haberman). Simonelli versäumt es leider, diese Theorien zu einem kohärenten Fokus, der als Arbeits- oder Lesehilfe für die folgenden Beiträge dienen könnte, zu verbinden. Stattdessen formuliert sie am Ende ihres Beitrags »ein lateinisches Verfahren anstelle eines Schlusswortes: Die Regulae« (29) und kommt zu dem recht offenen Ergebnis, dass die regulierende Kraft eines Verses nicht etwa in ihm selbst angelegt sei, sondern sich erst aus der ihm nachfolgenden hermeneutischen Praxis ergebe.

Dieser nachfolgenden Praxis widmet sich gewissermaßen auch der abschließende Beitrag des Sammelbandes, in dem Renate J. Pillinger eine katalogartige Übersicht bietet, die bestrebt ist, »alle Darstellungen biblischer Frauen in der spätantiken Bildkunst zu sammeln und entsprechend auszuwerten« (312). Sie offeriert die erstaunliche Vielfalt von gut zwanzig Personen und Personengruppen mit je einer kurzen Beschreibung und gelangt zu dem Schluss, dass die bildlichen Darstellungen zwar jeweils typisch antike Frauenbilder bedienten, jedoch auch – und das überraschend häufig – diese Stereotypen überschreiten und den biblischen Frauenfiguren unübliche Leitungsaufgaben zuschreiben würden.

Die hier benannte Frage nach Frauen mit kirchlichen Leitungs- und Verkündigungsaufgaben stellt eine der großen Linien dar, die sich durch den gesamten Band zieht. Dieses Phänomen musste sich stets an dem paulinischen Vorbehalt, dass die Frau in der Gemeinde zu schweigen habe (1Kor 14,34 f.; s. u.), messen lassen, wie alle Beiträge zum Thema übereinstimmend deutlich machen. Agnethe Siquans (»Im höchsten der Ämter auch Frauen? Zur Deutung der biblischen Prophetinnen bei den Kirchenvätern«), Katharina Greschat (»›Die Frau möge schweigen‹: Diskurse über das öffentliche Sprechen und Lehren von Frauen in vorkonstantinischer Zeit«) und Clelia Martínez Maza (»Frauen in Ämtern und Führungspositionen [4.–5. Jh.]«) loten aus, inwiefern die leitende und verkündigende Frau in der Spätantike gleichermaßen existent und umstritten war. Siquans widmet sich nicht nur einer biblischen Frauenfigur, sondern gleich einem ganzen ›Berufsstand‹. Sie arbeitet heraus, dass die geistbegabten Prophetinnen der Bibel nicht immer unkritisch betrachtet, jedoch durch die Kirchenväter oft positiv bewertet wurden, gerade dann, wenn in der Ansprache an zeitgenössische Frauen ein biblisches Vorbild benötigt wurde, wie etwa mit dem Aufkommen weiblich-asketischer Strömungen. Greschat macht in drei Schritten (Auferstehungszeuginnen – Apostelinnen – Prophetinnen) deutlich, dass die Tatsache, dass es leitende und öffentlich sprechende Christinnen gab, nie vollständig akzeptiert wurde, sondern sowohl internen als auch externen Kritikern des frühen Christentums Argumente lieferte. Zeitlich an Greschats Beitrag anschließend, setzt sich Martínez Maza mit der Frage auseinander, welche konkreten Ämter und Funktionen sich aus den biblischen und frühchristlichen Belegen ergaben und bis weit in die Spätantike hinein überdauerten. Sie beschäftigt sich mit dem relativ gut belegten Amt der Diakoninnen und dem weniger eindeutigen Begriff der Presbyterae sowie quasi selbstständigen christlichen Theologinnen.

Die theoretische Grundlage zu diesen drei Aufsätzen liefert der substantielle Beitrag von Dominika Kurek-Chomycz, die sich detailliert und in wohltuender Distanz zum Thema mit Frauen in den paulinischen Briefen auseinandersetzt, wobei klar zwischen allgemeinen Aussagen und konkreten Frauenfiguren unterschieden wird. Damit zeigt sie, in welchem Rahmen der o. g. ›paulinische Vorbehalt‹ zu diskutieren ist. Dieser Beitrag bietet nicht nur eine fundierte historisch-kritische Einordnung, sondern auch eine präzise Verfolgung der aufgezeigten Inhalte durch die neutestamentlichen Apokryphen sowie durch die bekanntesten griechisch- und lateinischsprachigen Kommentatoren der Spätantike.

Die andere große Linie, die den Sammelband prägt, verfolgt noch entschiedener biblische Einzelfiguren. Einen aufschlussreichen Beginn bietet hier der Beitrag von Maria E. Doerfler, die fragt, welche Rückschlüsse sich so über »den soziokulturellen Kontext der Lebenswirklichkeit von Frauen in der Spätantike gewinnen lassen« (33): Anhand von Saras Beispiel reflektiert sie über die Tugenden pudor und verecundia, die ebenso römischen Matronen zugeschrieben werden können; Jiftachs Tochter wird zum Exempel für die Weihe eines Kindes zum asketischen Leben und Hagar steht für das anfechtungsreiche Leben römischer Haussklavinnen.

Weitere Beiträge fragen weniger nach der Lebenswirklichkeit als nach der exegetischen Praxis, die an bestimmte biblische Figuren gebunden ist. Arianna Rotondo vollzieht dies im Blick auf Texte der Weisheitsliteratur nach und Anneliese Felber richtet die Aufmerksamkeit auf die Rezeption von Maria und Maria Magdalena. Wiederum losgelöster von konkreten Figuren und stärker methodisch ausgerichtet argumentieren die Beiträge von Miyako Demura und Hannah Hunt, die sich mit den Phänomenen der allegorischen und typologischen Exegese beschäftigen.

Insgesamt bietet das Buch eine anregende Vielfalt von Zugängen und Fragestellungen. So ist sichergestellt, dass alle Lesenden, egal ob ihr primäres Interesse in der feministischen Theologie, der Kirchengeschichte oder den exegetischen Fächern liegt, etwas für sich in diesem Sammelband entdecken können, das sich weiter zu verfolgen lohnt.