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Ausgabe:

April/2023

Spalte:

409-412

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Noble, Ivana

Titel/Untertitel:

Essays in Ecumenical Theology II. Conversations with Orthodoxy.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2022. VIII, 438 S. = Studies in Reformed Theology, 44. Kart. EUR 64,00. ISBN 9789004517998.

Rezensent:

Vladimir Latinovic

Wer ein Buch sucht, das die Theologie von Symeon dem Neuen Theologen, Ignatius von Loyola, Johannes Klimakos, Leonardo Boff, Georgij Florowskij, Paul Tillich und vielen anderen östlichen und westlichen Theologen einschließt und es dennoch schafft, konsistent zu bleiben, wird von der Lektüre dieses Buches profitieren. Das Buch von Ivana Noble, das man am ehesten als »Sammelmonographie« bezeichnen könnte, bietet in seinen zwölf Kapiteln ein breites Spektrum an Themen. Um zu verstehen, wie reichhaltig dieses Angebot ist, werden diese Themen zunächst einzeln vorgestellt.

Im 1. Kapitel bringt N. zwei große Traditionen der spirituellen Praxis des christlichen Ostens und des Westens (Hesychasmus und ignatianische Spiritualität) zur Sprache, indem sie die Frage stellt, »was als ihre Vertiefung und Transformation gilt und welche spirituellen Praktiken und vergeistigten Vorstellungen (spiritualized ideas) sie gefährden« (12). Dabei bringt sie große Bewunderung für die hesychastischen spirituellen Traditionen, wie »die Mystik des ungeschaffenen Lichts, die Zentralität des Herzens und das unaufhörliche Gebet basierend auf der Anrufung des Namens Jesu« (16) zum Ausdruck und vergleicht sie mit ähnlichen westlichen Praktiken der ignatianischen Spiritualität.

Im 2. Kapitel untersucht sie das Thema der spirituellen Reise weiter, indem sie die Frage des spirituellen Wachstums und der Regression anhand der allegorischen Interpretation der biblischen Erzählung der Jakobs-Leiter (Gen 28,10–22) anbietet. Dazu vergleicht sie die spirituellen Lehren von Johannes Klimakos und Petre Ţuţea, einem rumänischen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts, der sein Werk Klimax (Treppe zum Paradies) studierte.

Im 3. Kapitel setzt sie die Erforschung der hesychastischen Tradition fort, indem sie sich mit dem Konzept der Vergöttlichung (θέωσις) näher befasst. Sie bringt hier asketische Einsichten und Praktiken von Gregor Palamas ins Gespräch mit der postmodernen philosophischen Mystik, vor allem mit Philosophie von Wittgenstein (seine Betonung auf der Wendung nach außen) und Derrida (seine Konzepte von Gerechtigkeit, Verantwortung und Gastfreundschaft). Das größte Potenzial von Palamas Lehren für die moderne Theologie liegt laut ihr in seiner »Betonung der realen Gegenwart Gottes in der Schöpfung und insbesondere in der menschlichen Erfahrung, von Gott erreicht, gereinigt und transformiert zu werden« (76).

Im 4. Kapitel zeichnet sie (zusammen mit Zdenko Širka) nach, wie hesychastische Einsichten die orthodoxe, aber auch die katholische Theologie des 20. Jahrhunderts beeinflusst haben. Zum einen untersucht sie den Einfluss der Neupatristik und Sophiologie auf die orthodoxe Theologie, zum anderen die westliche Deutung des Hesychasmus am Beispiel der Lehre und Praxis des tschechischen Jesuiten und Kardinals Tomáš Špidlík und seiner Schule. Hier bietet sie auch einen nützlichen Überblick sowohl über die Literatur zu Palamas und Hesychasmus (104–108) als auch die Anhänger von Špidlík und deren Theologie (117–126).

Das 5. Kapitel widmet sich der Untersuchung der kenotischen Spiritualität sowie verschiedener Bedeutungen des Konzepts von κένωσις, die in der christlichen Theologie zu finden sind. Besonderes Augenmerk gilt Louis (Lev) Gillet, der vom Benediktiner zum ostkatholischen und schließlich zum orthodoxen Mönch wurde. Durch den Dom Cabrol in die lateinischen, griechischen und orientalischen Wurzeln der frühen Kirche sowie historisch-kritischer Methode eingeleitet, wurde er später einer der engsten Mitarbeiter von Metropolit Sheptytsky. Er hat eine spezifische »kenotische ökumenische Vision entwickelt, die auf Nicht-Besitz basiert« (144), die auch andere orthodoxe Geistliche wie Mutter Maria (Gysi) beeinflusste.

Zusammen mit ihrem Ehemann Tim Noble befasst sich N. im 6. Kapitel mit der transformativen Kraft der Heiligkeit als himmlische Existenzweise und als Weg, die Welt zu verändern. Dabei wird einerseits die Theologie von Leonardo Boff untersucht (sie sucht auch nach Parallelen zwischen ihm, dem Hl. Franziskus und Papst Franziskus) und dann mit Vorstellungen der eben erwähnten orthodoxen Nonne Mutter Maria verglichen (insbesondere deren Interpretation der russischen Tradition von starchestvo, d. h. spirituelle Begleitung).

Im 7. Kapitel untersucht sie, wie P. Georgij Florovskij die orthodoxe Mission im Lichte einer großen Zahl von im Westen lebenden orthodoxen Gläubigen neu interpretierte (dabei werden auch viele Aspekte von Dostojewskis Begegnung mit und sein Blick auf den Westen analysiert), und ergänzt dies mit einem »dialogisch-orthodoxen Missionsbegriff, der von P. Emmanuel Clapsis entwickelt wurde, einem zeitgenössischen griechisch-orthodoxen Theologen, der in Amerika lebt und arbeitet« (183). Er kritisiert den orthodoxen Fokus auf die Liturgie (205 f.) und plädiert für eine »transformative Präsenz der orthodoxen Kirche im öffentlichen Leben einer pluralistischen Gesellschaft« (207).

Kapitel 8 untersucht zuerst den Sinn, in dem Liturgie als »allumfassende Vision des Lebens« (215) verstanden und gefeiert werden kann, und bringt dann die liturgische Theologie von P. Alexander Schmemann mit dem zeitgenössischen französischen römisch-katholischen Theologen P. Louis Marie Chauvet ins Gespräch. Im Hinblick auf Schmemann analysiert N. die Frage des Wachstums theologischen Wissens in Beziehung zu Gott sowie die Symbole, die dieses Wissen ausmachen und die in der Liturgie verwurzelt sind. Für ihn sind sowohl die Welt als auch die Kirche sakramental eingerichtet (224). Für Chauvet aber ist die Feier der Liturgie sakramental, weil sie ein Akt des Glaubens ist und »die Liturgie […] für ihn mit der Heiligen Schrift und der Ethik verbunden [ist].« (243)

Symbolik und symbolische Vermittlung sind auch Themen des neunten Kapitels. Dieses beschäftigt sich mit der Frage, »wie das Symbol zu einer bevorzugten Kategorie für das Erfassen dessen wurde, was es bedeutet, Mensch zu sein« (246). Diese wird durch die Hinwendung zu zwei protestantischen Denkern, Paul Tillich und Paul Ricœur, beantwortet. Das Ziel ist zu zeigen, »wie ein tiefes Verständnis von Symbolen und symbolischer Vermittlung helfen kann, Menschen zu verstehen, die in diese Kommunikation mit Gott eintreten und ganze Netze der Kommunikation miteinander und mit der Welt einbringen, in der sie leben« (250).

Im 10. Kapitel spricht sie das Thema der menschlichen Zugehörigkeit an, insbesondere wie sie vom rumänisch-orthodoxen Theologen Dumitru Stăniloae formuliert wurde. Ihr Weg zu Stăniloae führt über Moltmann und sie beginnt auch dieses Kapitel mit der Analyse seiner Kosmologie. Sie analysiert hier seine Vorstellung von Kirche als gemeinsamem Zuhause, in dem »geschöpfliche Beziehungen durch die Teilnahme an der Heiligen Dreifaltigkeit eingebracht und genährt werden« (298). Auch für ihn spielt die Liturgie eine zentrale Rolle im christlichen Leben und ihre Hauptwirkung auf die Gläubigen ist Befreiung und Einheit (284). Die Verbindung zum Hesychasmus ist ebenfalls vorhanden, nicht nur durch seine wissenschaftliche Arbeit über Palamas, sondern auch durch sein Engagement für die Erneuerung der hesychastischen Spiritualität in Rumänien.

Das 11. Kapitel stellt die Frage, ob es möglich ist, »dem Leiden einen Sinn oder sogar einen erlösenden Wert als integralen Bestandteil der christlichen Lehre zuzuschreiben« (302). Im ersten Teil wird eine Analyse einiger Metanarrative von Jean-François Lyotard angeboten, gefolgt von seiner Kritik an den theologischen Traditionen, die die Formulierung der westlichen Erlösungslehre beeinflusst haben. Diese wurden dann den Interpretationen der Erlösungslehre von Vladimir Lossky und Raymund Schwager gegenübergestellt. Im zweiten Teil werden einige Schlüssellehren von Anselm von Canterbury diskutiert, wie zum Beispiel die über Entschädigung, Zufriedenheit und Sühne. Die Hauptaufgabe besteht darin zu untersuchen, ob es möglich wäre, von einer Ökonomie der Bestrafung und der »Dominanz der kausal-rechtlichen Metaphern« (336) zur Ökonomie des Geschenks und »der Erneuerung des Lebens auf mysteriöse Weise« (338) überzugehen.

Das 12. und letzte Kapitel reflektiert die orthodoxe Suche nach Einheit sowohl intern als auch extern. Die interne Einheit wird durch die Analyse des sogenannten Panorthodoxen Konzils und die externe durch das orthodoxe Engagement im ökumenischen Dialog veranschaulicht. N. zeigt zunächst, wie diese Teilnahme der Orthodoxen durch die Initiativen des Ökumenischen Patriarchen Joachim III. begann und wie sie sich durch »Khomyakovs Verständnis von Sobornost als Zusammengehörigkeit« (344), »Solovyovs Vorstellung von Pan-Einheit, in der Andersheit« (344), Bulgakovs Idee der »Sobornizität als die ›Vieleinheit‹ der Kirche« (344) und viele andere Ideen entwickelte. Sie bietet einen Überblick über die historischen Phasen der orthodoxen Teilnahme an diesem Dialog und leistet danach dasselbe für die vorbereitenden Konferenzen des Panorthodoxen Konzils. Schließlich bringt sie beides zusammen, indem sie die ökumenischen Beschlüsse dieses Konzils aufgreift. Ihr Urteil ist, dass dieses Konzil das »Gleichgewicht zwischen Nein zum Proselytismus und Ja zur Ökumene« herausgebracht hat (362).

Im gesamten Buch bietet N. ein »Bild gelebter Orthodoxie« (1). Der wahre Wert dieses Buches, abgesehen davon, dass es nicht-orthodoxen Lesern einen Einblick in die Schatzkammer des Ostens (UR 14) gewährt, besteht darin, dass es eine Außenperspektive von jemandem bietet, der sich während seiner gesamten akademischen Karriere mit Orthodoxie befasst hat. Das bedeutet sowohl Neutralität als auch Objektivität, gepaart mit Sachkenntnis. Dieses Buch könnte als eine Art Spiegel angesehen werden, der den Orthodoxen sicherlich helfen kann zu verstehen, wie die anderen sie wahr-nehmen.

Ein weiterer wichtiger Beitrag des Buches ist, dass es zeigt, wie komplex unsere Identitäten sind. N. selbst ist »eine hussitische Priesterin, die mit einem Katholiken verheiratet ist und mit ihm in beiden Kirchen zusammenlebt und an der evangelisch-theologischen Fakultät lehrt« (3) und über ein großes Wissen und Interesse an den Themen der orthodoxen Theologie verfügt. Als jemand, der einen ähnlichen Hintergrund hat, nur in die entgegengesetzte Richtung, wäre es für mich schwer, ein solches Buch nicht zu empfehlen. Meine Empfehlung hier basiert aber in erster Linie auf der wissenschaftlichen Qualität des Buches.