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Ausgabe:

April/2023

Spalte:

390-392

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Caspary, Christiane, u. Daniela Zahneisen [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Wenn der Tod im Klassenzimmer ankommt. Tod und Trauer in der Schule – (religions-)pädagogische Perspektiven.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2022. 298 S. m. 8 Abb. = Religionspädagogik innovativ, 52. Kart. EUR 24,00. ISBN 9783170420649.

Rezensent:

Cornelia Bussmann

Christiane Caspary, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Habilitandin im Fachbereich Religionspädagogik an der Universität Koblenz-Landau, und Daniela Zahneisen, Doktorandin und wissenschaftliche Hilfskraft im gleichen Institut, legen gemeinsam eine mehrperspektivische Betrachtung der gesellschaftlich tabuisierten Themen »Sterben, Tod und Trauer« für den Schulkontext vor. Der Ausgangspunkt ihrer Forschung liegt in der Praxis. Ausgehend von den Gesprächsimpulsen einer Ringvorlesung an ihrer Alma Mater eröffnen sie unterschiedliche Blickwinkel auf ein Thema, das in der Öffentlichkeit widersprüchlich wahrgenommen wird.

Während die Herausgeberinnen gleichzeitig eine mediale Präsenz des Themas sowie eine vorhandene Tabuisierung desselben konstatieren, merken sie die Tendenz eines individualisierten Umgangs mit Trauer, Tod und Sterben in der Gegenwart an. Folgerichtig muss Schule, die den gesellschaftlichen Wandel abbildet und reflektiert, sich diesem Kernthema mehrperspektivisch nähern und es ausgerichtet auf den einzelnen Schüler und die einzelne Schülerin ausloten. Das vordringliche Anliegen dieses Sammelbandes besteht darin, die diesem Schlüsselthema anhaftenden pädagogischen Herausforderungen interdisziplinär auszudifferenzieren.

Die Herausgeberinnen setzen bei konkreten Anlässen an, bei denen Pädagoginnen und Pädagogen aus ihrem Selbstverständnis und Auftrag heraus sich des Themas Trauer, Tod und Sterben annehmen und pädagogisches, methodisches sowie fachliches Wissen benötigen. Dies einzulösen ist Absicht und Anspruch der Schreibenden dieses umfangreichen Sammelbandes. Dabei richtet sich das vorgelegte Werk nicht nur an (angehende) Religionslehrkräfte, sondern möchte auch alle anderen Lehrpersonen befähigen, Schülerinnen und Schüler kompetent zu begleiten und einen reflektierten Umgang mit dem Themenkomplex im Klassenzimmer zu ermöglichen. So schlüsseln die Herausgeberinnen ihr Thema anlassbedingt als Trauerfall im Umfeld der Schülerinnen und Schüler und als spezifisch religiösen Unterrichtsgegenstand auf. Sie verknüpfen folgerichtig erfahrungsbezogene Annäherung, interdisziplinäre wissenschaftliche Theorie und (religions-)pädagogische Reflexion miteinander, indem sie einen mehrschrittig aufgebauten Sammelband vorlegen. Ausgehend von erfahrungsbezogenen Schlaglichtern entfalten die nachfolgenden Aufsätze Erkenntnisse aus verschiedenen Fachdisziplinen, die ergänzt werden durch eine christlich-theologische Grundlegung sowie jüdische, muslimische, philosophische Sichtweisen und eine (religions-)pädagogische Grundlegung mit Perspektiven auf den Umgang mit Tod und Trauer, bevor didaktische Konkretisierungsvorschläge die Auswahl beschließen.

Im ersten Kapitel Schlaglichter: Perspektivische Annäherungen repräsentieren persönliche Einblicke die Perspektiven einiger schulischer Akteurinnen und Akteure, so dass Schule als Lern- und Lebensort mit allen elementaren Herausforderungen im Umgang mit lebensbedrohlicher Krankheit, Tod und Trauer kritisch beleuchtet wird. Im Rahmen des zweiten Abschnitts Sozial- und humanwissenschaftliche Erkenntnisse werden verschiedene wissenschaftliche Zugänge als Fundament zur Auseinandersetzung mit dem Thema grundgelegt. Dazu zählen sozial- und humanwissenschaftliche Erkenntnisse, signifikante psychologische sowie medizinische Einsichten, woraufhin ein Blick auf den gesellschaftlichen Diskurs geworfen wird. Neuere Strömungen wie die Trauerbewältigung in digitalen Medien ergänzen die qualitativ-empirische Reflexion des Themas. Die Aufsätze im dritten Kapitel Christlich-theologische Grundlegung des vorliegenden Bandes spannen den Bogen christlicher Theologie von ihren bibelwissenschaftlichen Grundlagen über die Todesvorstellungen und die Auferstehungshoffnung zu den kirchengeschichtlichen Orientierungslinien hin zu systematisch-theologischen Reflexionen. Mit dem sich anschließenden vierten Kapitel Jüdische, muslimische sowie theologische Sichtweisen bieten die Autorinnen und Autoren ein Fundament für den interreligiösen Dialog an, indem sie die entsprechenden theologischen Schlüsselbegriffe der abrahamitischen Religionen entfalten und die philosophischen Implikationen theoriegeleitet wie praxisorientiert aufzeigen.

Nach den bisherigen Annäherungen mit Hilfe verschiedener Bezugswissenschaften bildet Kapitel fünf (Religionspädagogische) Grundlegung und Perspektiven auf den Umgang mit Tod und Trauer das zentrale Anliegen der Herausgeberinnen ab. Zum Beispiel werden Denkfiguren eines pluralitätssensiblen Religionsunterrichts in Auseinandersetzung mit existentiellen Fragen zur Todesthematik dargestellt. Darüber hinaus ordnet Christiane Caspary Tod und Trauer als Gegenstand ethischer Bildung in den Zusammenhang von biblisch-theologischem Ethos, kirchlicher Positionierungen und gesellschaftlichem Diskurs ein. Daniela Zahneisen positioniert sich in ihren Ausführungen für eine Behandlung der Theodizeefrage im Religionsunterricht trotz wachsender Konfessionslosigkeit der Lernenden. Empirische Einblicke und religionsdidaktische Perspektiven von Jenseitsvorstellungen/Nachtodesvorstellungen einer religiös-weltanschaulich heterogenen Schülerschaft erwarten die Lesenden im nächsten Aufsatz. Das Kapitel schließt mit konkreter Hilfestellung, wie einzelne Schüler, aber auch eine Schulgemeinschaft im akuten Todes- und Trauerfall im Umfeld der Schule begleitet werden können. Hier geht es weniger um seelsorgliche Begleitung als vielmehr um pädagogische Handlungsfähigkeit aller Lehrkräfte angesichts des Spannungsfeldes von Säkularisierung, gesellschaftlicher Tabuisierung und persönlicher Unsicherheit.

Diesen Aspekt setzen die Aufsätze des Schlusskapitels Didaktische Konkretisierungen fort, indem Handlungsoptionen und Unterrichtsvorhaben für den didaktischen Gebrauch vor dem Hintergrund des Literaturunterrichts, des interreligiösen Lernens zu unterschiedlichen Bestattungsformen der abrahamitischen Religionen und des inklusiven Religionsunterrichts zu Leben und Tod im Jahreskreis vorgestellt werden.

Insgesamt liefert dieser Band der Reihe Religionspädagogik innovativ einen Beitrag, der mit seinem wegweisenden Charakter zu Recht Aufnahme gefunden hat. Die Herausgeberinnen bieten einen differenzierten Durchgang durch diese komplexe Thematik, der aktuelle Herausforderungen des Themenfeldes aufnimmt, sie vielschichtig bearbeitet und in ihrer gesellschaftlichen Relevanz ernst nimmt. Die Beiträge weisen eine große Breite (religions-)pädagogischer Implikationen aus und stellen sich darin dem Anspruch, einer religiös-weltanschaulich pluralen Schulgemeinschaft Antworten auf die Frage nach Sterben, Tod und Trauer geben zu können. Insofern bietet die Aufsatzsammlung angehenden (Religions-)Pädagogen und -Pädagoginnen sowie erfahrenen Lehrkräften umfassende theoretische und praxisrelevante Orientierungen für den Schulalltag. Aufgrund der interdisziplinären Herangehensweise sei es der universitären Lehre ebenso empfohlen; zumal eine vergleichbare aktuelle Darlegung bisher fehlt. Es bleibt diesem zweifelsohne zu bedeutsamen Erkenntnissen, Klärungen und Handlungsoptionen führenden Sammelband zu wünschen, dass er viele Lesende findet und eine nachhaltige Wirkung in der Lehrerbildung sowie Schulwelt erzielt.