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Ausgabe:

April/2023

Spalte:

382-384

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Hofheinz, Marco

Titel/Untertitel:

Christus peregrinus. Christologie auf dem Weg in die Fremde.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2022. 488 S. m. Abb. Kart. EUR 64,00. ISBN 9783374071197.

Rezensent:

Christoph Böttigheimer

Bei dem vorliegenden Band handelt es sich um eine Aufsatzsammlung. Sie umfasst insgesamt fünfzehn Beiträge, die allesamt schon anderenorts veröffentlicht und nun »leicht überarbeitet« wurden. Eingruppiert sind sie in sieben Abteilungen, die sowohl die Lernentwicklung als auch das theologische Programm Marco Hofheinz’ abbilden sollen. Während die sieben Gruppen ohne eine eigene systematische Hinführung und Reflexion auskommen, ist ihnen eine Einleitung vorangestellt.

Die Christologie, so wird in der Einleitung ausgeführt, sei innerhalb der christlichen Theologie kein Thema unter anderen Themen, sondern ein Grundthema bzw. eine »Themaregel«. Da dem gegenwärtigen Protestantismus jedoch die Person Jesu abhandengekommen sei, weiß sich der vorliegende Band dem Ansatz einer narrativen Christologie verpflichtet, dem »Erzählen der Evangelien« (19). Im Zusammenhang mit dem Erzählen der »Jesus-Geschichte (story)« (19) wird die Wegmetapher, wie sie im Titel des Bandes prominent zu stehen kommt, als unverzichtbar erachtet. Näherhin wird der Weg Jesu Christi als »Weg der Hinwendung und Offenheit zu dem Fremden« (19) gedeutet, womit neben dem Barthschen Diktum der Selbsterniedrigung Gottes in Jesus Christus auch das verwegene Sich-Aussetzen einer narrativen Theologie gegenüber einer inflationären Tendenz zum Narrativen gemeint ist. Damit ist das theologische Programm umrissen: »Narrative Christologie auf dem Weg in die Fremde« (30). Offen bleibt, weshalb dies im Untertitel nur verkürzt anklingt.

Die ersten beiden Aufsätze vertiefen das in der Einleitung des Buches angedeutete christologische Programm, indem zum einen die theologische Notwendigkeit des Erzählens, das nicht ohne Reflexion und Argumentation auskomme, begründet und der Weg Jesu als Weg in die Fremde ausgelegt sowie die Begegnung mit Jesus als Begegnung mit einem Fremden gedeutet wird. Thesenhaft werden Eigenarten und Stärken einer narrativen Christologie zusammengefasst, wobei u. a. auf die geistvermittelte Gegenwart Jesu in der narrativen Christologie sowie auf die Einbettung theologischer Begriffe abgehoben wird. Der zweite Aufsatz wiederholt, indem zwei unterschiedliche narrative Theologien, nämlich die von Karl Barth und Friedrich Mildenberger, miteinander vergli-chen werden, Wesentliches und setzt sich mit dem Einwand von Dietrich Ritschl gegenüber der narratologisch-christologischen Methode, dass nämlich die Theologie durchweg reflektierend und argumentierend sei, kritisch auseinander.

Die nachfolgenden sechs Teile sollen gemäß der einleitenden Ankündigung weniger programmatischer als vielmehr inhaltlich-konkreter Art sein: Anstatt über die narrative Christologie zu reflektieren, soll es nun um deren Explikation, d. h. um »die Entfaltung und materiale Ausgestaltung des Programms« (31) in sechs unterschiedlichen Kontexten und Bezügen gehen: innerkonfessionell, interkonfessionell, interdisziplinär, religionspädagogisch, interkulturell und schließlich interreligiös. Wer indes auf eine »materiale« Konkretion des vorab vorgestellten Programms gespannt ist, wird mitunter enttäuscht. Bei der Lektüre der Beiträge wird schnell deutlich, dass keineswegs durchgehend narrative Theologie bzw. Christologie zur Darstellung kommt, sondern ebenso über konkrete Problem- und Fragestellungen derart systematisch-theologisch reflektiert wird, dass die dogmatische Begriffsarbeit deutlich über das Erzählerische dominiert. So wird etwa der innerkonfessionelle Teilbereich durch eine kritische Auseinandersetzung mit dem Konzept und der Begrifflichkeit von Hans-Joachim Kraus’ Geist-Christologie eingeleitet. Der zweite Beitrag dieses Teilbereichs befasst sich mit derselben Thematik und gelangt am Ende zur selben Erkenntnis: der trinitätstheologischen Unzulänglichkeit einer Geist-Christologie.

Der »interkonfessionelle« Teil ist im Rahmen der Soteriologie verortet. Während im ersten Aufsatz Calvins Lehre vom dreifachen Amt Christi, als dem »klassischen Interpretament [der Soteriologie] in der reformierten und lutherischen Tradition« (145) mittels des Freundschaftsbegriffs expliziert wird, geht es im zweiten Beitrag um »dogmatische Erwägungen zu einem theologisch sachgemäßen Gebrauch des Wiedergeburtsbegriffs« (167) und dessen Revision, angesichts seiner Diskreditierung durch evangelikalen und pfingstlerischen Missbrauch.

Unter dem Stichwort »interdisziplinär« finden sich zwei weitere Aufsätze, in denen zum einen aufgezeigt wird, wie in der aktuellen Jesus-Forschung die Diastase zwischen historischem Jesus und geglaubtem, kerygmatischen Christus mittels des Erinnerungsparadigmas (»Jesus-Memory-Approach«) zu überwinden und der Christus praesens zur Geltung zu bringen versucht wird. Zum andern wird anhand zweier unterschiedlicher Arten und Weisen, Weihnachten zu feiern, so wie sie von den beiden christozentrischen Theologen Karl Barth und Rudolf Bultmann bezeugt werden, das Praktisch-Werden der Christologie thematisiert und gezeigt, dass eine streng christozentrische Konzentration die bürgerliche Weihnachtstradition nur bedingt aufzusprengen vermag.

Im Abschnitt »religionsunterrichtlich« sind zwei weitere Aufsätze eingruppiert. Der eine beschäftigt sich ausgehend vom Christusprädikat »Sohn Gottes« mit der Frage, wie im schulischen Unterricht Jesus thematisiert werden kann. Plädiert wird anstelle einer »niedrigen« für eine »hohe Christologie«, d. h. dem gängigen historischen Ansatz wird ein dezidiert christologischer gegenübergestellt, verbunden mit bibeldidaktischen Impulsen für die Unterrichtspraxis. Sodann wird der christologiedidaktische Ansatz im zweiten Beitrag anhand der Frage, ob Jesus als Vorbild dienen kann, weiterverfolgt. Bei der Suche nach einem theologisch verantwortbareren Umgang mit Vorbildern und der Klärung des Unterschieds zwischen menschlichen Vorbildern und Jesus als Vorbild, erweist sich das Gespräch mit Dietrich Bonhoeffer als hilfreich.

Der vorletzte Abschnitt weitet den Blick »interkulturell«. Anhand der Karikatur eines nichtchristlichen Künstlers wird das Kreuzesgeschehen, anhand Wittgensteins Vexierbild von der Kaninchenente die Zweinaturenlehre von Chalcedon sowie anhand des »Fußballgottes« Cristiano Ronaldo das Inkarnationsgeschehen erläutert. Der letzte Abschnitt thematisiert die Christologie im religionstheologischen Kontext. Aufgezeigt wird, dass eine christologische Konzentration keineswegs dialogfeindlich sein muss, und eine innerchristliche theologische Religionskritik als Kehrseite einer Theologie der Religionen zu verstehen sei.

Zweifellos finden sich in dem Band informative, lesenswerte Aufsätze, die evangelische (reformierte) Tradition aufgreifen und im Kontext aktueller Fragestellungen erhellend zur Sprache bringen. Die Christologie als »Themaregel« für die Theologie fungiert als roter Faden. Die Relevanz der Christologie wird in unterschiedlichen Kontexten einsichtig entfaltet und begründet. Dass Redundanzen nicht gänzlich vermieden werden können, liegt in der Natur einer Aufsatzsammlung. Damit verbunden ist wohl auch der Umstand, dass das Narrative als Kern des propagierten christologischen Ansatzes nicht in allen Aufsätzen gleichermaßen zur Geltung kommt.