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Ausgabe:

April/2023

Spalte:

360-361

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Bengel, Johann Albrecht

Titel/Untertitel:

Briefwechsel. Briefe 1732–April 1741. Hg. v. D. Ising.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2022. 733 S. = Texte zur Geschichte des Pietismus. Abt. VI, B, Bd. 3. Geb. EUR 150,00. ISBN 9783525558720.

Rezensent:

Marita Gruner

Nach einer längeren Bearbeitungszeit hat Dieter Ising nach zehn Jahren den nun vorliegenden dritten Band des Bengelschen Briefwechsels aus den Jahren 1732 bis April 1741 herausgegeben. Der Band umfasst den Zeitraum des Wirkens Johann Albrecht Bengels (1687–1752) als Klosterpräzeptor in Denkendorf bis zu seiner Berufung zum Propst in Herbrechtingen und damit seinem Weggang aus Denkendorf im April 1741 – dieser Umzug dient als Schlusspunkt des Bandes. Aus den Jahren 1732 bis 1741 sind 486 Briefe teils als eigenhändige oder diktierte Ausfertigungen, teils im Entwurf oder in Abschrift, teils nur im Auszug erhalten und jetzt ediert worden.

In seiner ausführlichen Einführung (9–74) geht Dieter Ising auf die wichtigsten inhaltlichen Schwerpunkte der Briefe dieser Jahre ein. Ein Schwerpunkt der ersten beiden Bände begegnet hier wieder: B.s Arbeit an der Textkritik und Auslegung des Neuen Testaments mit einem Fokus auf die apokalyptischen Schriften (21–55). B. präzisierte von 1732 bis 1741 seine endzeitlichen Berechnungen (er verstand diese als eine Auslegung der Bibel) und setzte sich mit zeitgenössischen Befürwortern (z. B. Samuel Urlsperger), Kritikern (z. B. Johannes Oechslin, 155–168) auseinander und äußerte sich zu Apokalyptikern und Inspirierten (z. B. Johann Christian Seitz und Johann Kayser). In seiner Einleitung setzt Dieter Ising die apokalyptischen Aussagen B.s bis 1741 mit seinen Werken in Beziehung, die im gleichen Zeitraum entstanden. Ins Zentrum rückt dabei als neuer Aspekt B.s Kritik am Papsttum (43–55), denn mit der Vertreibung der Salzburger Protestanten 1732 und ihrem Zug durch das Herzogtum Württemberg war er unmittelbar mit dem Problem der (Re-)Katholisierung konfrontiert (9). Insbesondere »Berichte über die Verfolgung Evangelischer durch die katholische Kirche« bewegten B. nachhaltig und führten ihn zu seiner Kritik am Papsttum (46–49). Im Rahmen der Auslegung der Offenbarung deutet er das erste Tier (Apk 13) mit dem Papsttum und schließt daraus das Ende der Herrschaft der römischen Päpste (45). Bei aller Kritik feindete B. allerdings weder einzelne Katholiken an noch ereiferte er sich gegen die Konversionen evangelischer Theologen zum Katholizismus (49 f.).

Ein weiterer zentraler Punkt aus den 1730er Jahren ist die Begegnung mit Graf Nikolaus Ludwig von Zinzendorf (1700–1760) und dessen Herrnhuter Brüdergemeine (58–67). B. begegnete dem Grafen im Jahr 1733 persönlich. Dieter Ising macht mit der Briefedition erstmals eine eigenhändige Schilderung B.s dieses Besuchs bekannt (190–193, B.s Brief an Jeremias Friedrich Reuß vom 06.05.1733), die bisher von der Forschung noch nicht aufgenommen wurde (59). Daraus geht hervor, dass »der größte Teil der Unterredung […] um die Übersetzung der Heiligen Schrift [kreiste], welche B. als sehr schwierige Aufgabe herausstellte« (191). Als Zinzendorf 1739 erneut nach Württemberg reiste, fand kein Treffen mit B. statt, weil sich insbesondere an der Frage nach dem Umgang mit dem Bibeltext zu große Differenzen zwischen beiden gezeigt hatten (63–65). In diesen Jahren tauschte sich B. brieflich mit seinem vertrauten Korrespondenten Friedrich Christoph Oetinger (1702–1782) über Zinzendorf aus. Als B.s Schwiegersohn Albrecht Reichard Reuß sich »begeistert über die Herrnhuter Diasporaarbeiter an seinem Wohnort Sulz« zeigte, reagierte B. mit einer eher behutsam dar-gelegten Kritik »an der herrnhutischen Lehre und Glaubenspraxis« und riet von einer engen Bindung an die Herrnhuter ab (65 f.619 f.). Auch anderen (u. a. Oetinger, 683) gegenüber äußerte sich B. kritisch über Zinzendorf (690). Doch erst zwei Jahre später wurde B.s Kritik an Zinzendorf größer und schärfer. In seinen Briefen nach 1741 trat sie in aller Deutlichkeit hervor, bis sie 1751 in seinem »Abriß der sogenannten Brüdergemeine« kulminierte (67).

Darüber hinaus soll B. in seinen Briefen als Seelsorger und Familienvater hervortreten. In die Jahre 1732–1741 fallen sowohl eine eigene lange Krankheitsphase B.s im Jahr 1734 als auch die Eheschließungen seiner Töchter und zudem die Brautsuche seiner verschiedenen Schüler, mit denen er in Kontakt stand (71). Während anhand seiner Krankheit seine eigene Entwicklung als Seelsorger aufgezeigt werden kann und die Briefe an seine Schüler erhalten sind, ist es um seine Sichtbarkeit als Familienvater schlechter bestellt. 1737 heiratete Johanna Rosina Bengel (1720–1788) Christian Gottlieb Williardts (1712–1779) und ein Jahr später wurde Sophia Elisabetha Bengel (1717–1777), mit Albrecht Reichard Reuß (1712–1780) vermählt (71). Da Johanna Rosina mit ihrem Mann in räumlicher Nähe zu den Eltern lebte, sind nicht viele Briefe von dieser Familie an B. erhalten (71). Mehr Briefe gibt es zwischen Albrecht Reichard Reuß und Bengel, der als Arzt ein wichtiger Ansprechpartner in medizinischen Fragen für alle Familienmitglieder war (72). Zudem lebte die junge Familie Reuß weiter weg von Bengel (71).

Nur sechs Briefe zwischen Töchtern und Eltern finden sich im Editionsband, und die meisten davon sind nur als Regest aufgenommen. Etwas häufiger, knapp 20 Mal, finden sich eigenhändige Nachsätze der jeweiligen Ehefrau an die Briefe ihrer Ehemänner (aber nur zwei der Briefe sind komplett mit ihrem Nachsatz abgedruckt). Die familiären Beziehungen von B. als Ehemann und Vater bleiben ebenso wie in den Bänden eins und zwei eher undeutlich. Die Ursache liegt nur zum Teil an der anderen Schwerpunktsetzung des Herausgebers und ist hauptsächlich darin begründet, dass Briefe rein familiären Charakters bereits im 18. Jh. nicht als überlieferungswürdig galten und deshalb verloren sind.

Der Hauptteil des Bandes enthält alle Briefe entweder als Volltext oder Regest. Auf verlorengegangene Schreiben wird in den Anmerkungen hingewiesen. Den als Volltext edierten Briefen steht jeweils eine Inhaltsangabe voran. Wie in den Bänden davor wurden lateinische Briefe oder Textstellen übersetzt. Ebenso begleitet weiterhin ein doppelter Apparat alle Schreiben mit textkritischen Anmerkungen, inhaltlichen Erläuterungen und biographischen Angaben. Wünschenswert wäre gewesen, die Editionsrichtlinien noch einmal abzudrucken, die sich nur im ersten Band finden. Ein Glossar und ausführliche Register zu Bibelstellen, Personen und Geographischen Begriffen runden den vorliegenden Band ab.

Dieser dritte ist zugleich der letzte Band, den Dieter Ising herausgeben wird. 1.175 der insgesamt über 3.100 Briefe umfassenden erhaltenen Korrespondenz hat er damit ediert und übergibt die weiteren Bände, die für den Zeitraum von 1741 bis zu B.s Tod im Jahr 1752 geplant sind, in »jüngere Hände« (8). Für seine gründliche, akribische und zugleich nutzerfreundliche Edition kann man Dieter Ising nur danken – viele heutige Leser und Leserinnen haben bereits von den ersten zwei Bänden seiner Bearbeitung der Bengelschen Korrespondenz profitiert, und der dritte steht ihnen in nichts nach. Am Ende soll ausblickend Dieter Isings Einladung für weitere Forschungen stehen: »Meine Unterlagen zur Bengel-Forschung, darunter Kopien aller bekannten Briefe von und an B. werden im Landeskirchlichen Archiv Stuttgart als ›Sammlung Ising zu Bengel‹ verwahrt.« (8) Es ist zu hoffen, dass viele Forscherinnen und Forscher von diesen wertvollen Schätzen Gebrauch machen!