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Ausgabe:

April/2023

Spalte:

336-338

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Cornell, Collin

Titel/Untertitel:

Divine Aggression in Psalms and Inscriptions. Vengeful Gods and Loyal Kings.

Verlag:

Cambridge u. a.: Cambridge University Press 2020. 325 S. = Society for Old Testament Study. Monograph Series. Geb. £ 75,00. ISBN 9781108842679.

Rezensent:

Frédérique Dantonel

In der Einführung seiner Habilitationsschrift Gottes Zorn in den Psalmen (OBO 244, Göttingen 2012), erinnert Stefan H. Wälchli daran, wie schon der Gnostiker Marcion im 2. Jh. n. Chr. das Bild eines zornigen und strafenden Gottes entwarf, welches er dem Alten Testament zuordnete, um somit die Einheit des Gottes des Alten und des Neuen Testamentes in Abrede zu stellen (Wälchli, 1 f.). Bis in die heutige Zeit hinein finden sich immer wieder einzelne Theologen, die offensichtlich vor einer solchen simplifizierenden Sichtweise nicht gefeit sind, dennoch ist es eine Minderheit. Die meisten Theologen nehmen Abstand von diesem falschen Ansatz und bauen auf einem differenzierten Konzept auf. So beobachtet U. Berges in seinem Essay »Der Zorn Gottes in der Prophetie und Poesie Israels auf dem Hintergrund altorientalischer Vorstellungen« (Bib. 85, 2004, 305–330), dass »das alttestamentliche Zeugnis […] dreimal häufiger vom Zorn Gottes als vom zornigen Gott spricht« (306) und er stellt fest, dass die »exilisch-nachexilischen« Psalmen sich von den deuteronomistischen Texten in der Verwendung des Zornmotivs dadurch unterscheiden, dass sie Fragen nach dem Grund und nach der Dauer des göttlichen Zornes stellen (308). Auch hält U. Berges fest, was seit der Antike bekannt ist, nämlich dass das Motiv des Zornes im Alten Testament nie alleinsteht, sondern dass es immer neben dem Motiv der »beständigen Güte«, des »Erbarmens der Gottheit« (308 ff.) steht.

Der Zorn und das Erbarmen der Götter gehören tatsächlich zu den wichtigsten Phänomenen der Antike. Sie stehen für die menschlichen Erfahrungen von Leid und Bedrängnis wie auch von göttlichem Schutz und Rettung. Überraschend ist es daher nicht, dass sich die Forschung mit dieser Motivik mehrmals und unter verschiedenen Perspektiven befasst hat, so zum Beispiel im Rahmen eines von R. G. Kratz und H. Spieckermann in Göttingen veranstalteten Symposiums: »Divine Wrath and Divine Mercy in the World of Antiquity« (FAT II/33, 2008). Andererseits ist eine lebhafte Kontroverse um die Erschließung der Schriftprophetie entstanden, seitdem mehrere Gelehrte dargelegt haben, dass der Gedanke des göttlichen Zornes nur in der biblischen Schriftprophetie zu einer unbedingten Unheilsankündigung werde und dass das Unheil irreparabel sei (so R. G. Kratz in: Kratz/Spieckermann 2008, 93 »apparently irreparabl[e]«).

Collin Cornells Buch, die überarbeitete Fassung seiner im Frühjahr 2018 unter der Supervision von Brent A. Strawn an der Emory University in Atlanta/Georgia vorgelegten Dissertation, wirft die Frage auf, ob JHWH in Bezug auf seinen königlichen Schützling sich einzigartig verhält oder ob sich theologische und literarische Ähnlichkeiten zum Verhalten anderer Schutzgötter gegenüber deren Königen feststellen lassen. C. formuliert eine Leitfrage, die einerseits provokativ wirkt und andererseits deutlich macht, aus welcher Perspektive er problematisieren will: »Is the aggression of Yhwh really uniquely devastating relative to the patron gods of the nations?« (8 f.) C. geht also nicht der Frage des göttlichen Zornes nach, sondern ihm geht es um »Divine Aggression«. Während der Begriff des Zornes im Biblisch-Hebräischen bekannt ist – elf Begriffe stehen für Zorn im Alten Testament (vgl. M. Witte: Kratz/Spieckermann 2008, 180) –, ist der Begriff »Aggression« im Biblisch-Hebräischen unbekannt. Der von C. gewählte Begriff »Aggression« stammt aus dem Lateinischen und ist im 18. Jh. entstanden. Er gehört zu zwei semantischen Feldern, die sich auf menschliche Eigenarten beziehen, nämlich das Psychologische und das Rechtliche. Es stellt sich daher die Frage, inwiefern die Übertragung eines Begriffes, der dem Menschlichen zugehört, auf Gott, dazu beitragen kann, hebräische Begriffe »hoher Reflexionsstufe« theologisch zu erfassen. (Auf diese Problematik machen aufmerksam: J. Jeremias, Der Zorn Gottes im Alten Testament, BThSt 104, 2011; H. Janssen, »[…] es geschah wegen des Zornes JHWHs«, BVB 41, 2020).

In der Einleitung (»Divine Aggression in Comparative Perspective«; 1–37), begründet C. die Wahl dieses Begriffes mit einem Vergleich: Er stellt den Ansatz der Prolegomena von J. Wellhausen neben die Theologie des Alten Testaments von W. Eichrodt. Leitfrage der Studie ist dabei, ob »Divine Aggression« ein Proprium der Hebräischen Bibel sei. Der Vergleich führt mit Blick auf Eichrodt zu folgender Frage: »›Is the aggression of Yhwh really uniquely devastating relative to the patron Gods of the nations?‹ Did the latter present only a civil theology of ›God bless Moab‹ while the Bible alone lofts the paradoxal declaration ›God damn Israel‹? Or is Eichrodt correct, that heathenism makes inroads into the Hebrew Bible, especially in several royal psalms?« (9) C. gibt sich redlich Mühe, diesen Fragen standzuhalten. Er arbeitet methodisch und argumentativ selektiv, indem er sechs westsemitische Inschriften auswählt, mit denen er in Kap. 2 zu demonstrieren versucht, dass sein Ansatz, demzufolge es eine »Aggression« bzw. eine »Aggressivität« Gottes gäbe, zutrifft (»Divine Aggression in Royal Inscriptions« unter Bezug auf Mesa von Moab: KAI 181; Zakkur von Hamat: KAI 202; Tel Dan: KAI 310; Panamuwa I: KAI 214; Azitawada: KAI 26; Amman Zitadelle: KAI 307). Er bringt diese Inschriften in Kap. 3 mit vier von ihm als »Royal Psalms« charakterisierten Psalmen zusammen (Ps 2; 110; 20; 21) (»Divine Aggression in Select Royal Psalms«; 93–149); dazu kommen in Kap. 4 Ps 89 und 132, die er als »Psalms of Defeat« charakterisiert (150–180). Kap. 5 (»Divine Aggression in Prophetic Texts of Defeat«; 181–199) befasst sich kurz mit einem anderen Textkorpus: den Propheten des 8. Jhs. v. Chr., welche die Grundlage für Wellhausens Darstellung der israelitischen Religionsgeschichte bilden. Hier werden zwölf Beispiele aus den Büchern Hosea und Micha angeführt, in denen JHWH ausdrücklich gegen seinen König und sein Land vorgeht. Der Sinn der Einführung dieser Materialien, auch wenn sie nur kurz und nicht diachron, sondern nur synchron betrachtet werden, besteht darin, ein »tertium comparationis« zu schaffen (37), mit dem insbesondere die königlichen Psalmen verglichen werden können, die ein vergangenes Ereignis »göttlicher Aggression« nennen.

Das abschließende Kapitel 6 (200–214) bietet zusammenfassende Überlegungen zum Ertrag der Studie, einschließlich ihrer Erkenntnisse für das Studium der Psalmen, der syro-palästinischen Inschriften, der Theologie der hebräischen Bibel und der israelitischen Religionsgeschichte. Der Band schließt mit einer Bibliographie (215–237), einem Index der Bibelstellen (238–241) und einem Stichwortverzeichnis (242–244).

Der dezidiert synchrone Ansatz C.s mag zwar in gewisser Hinsicht nicht nur ungewöhnlich, sondern gelegentlich irritierend sein, insoweit er nur auf eine Eigenschaft JHWHs fokussiert – nämlich den Zorn –, die auch noch als aggressive Verhaltensweise erfasst wird, dennoch ist er in vielen Hinsichten ertragreich. Spannend ist zunächst einmal die Entscheidung, nicht den göttlichen Zorn an sich zu untersuchen, sondern die »Aggression«: »Even the concept of aggression is meant as a conceptual re-description of various concrete, textual means of characterizing deity. Also: ›Divine aggression‹ intends as a topic to encompass more than ›divine anger‹; the latter is affective only, whereas the former includes the deity´s destructive actions.« (10)

Die Analyse der westsemitischen Inschriften (Kap 2) nach einem lexikalischen und rhetorischen Schema führt zu Schlussfolgerungen in Bezug auf die »Divine Aggression« in der jeweiligen Inschrift. Desgleichen verfährt er in den Kapiteln 3–4 vergleichend mit den oben genannten Psalmen. Dem vorangestellt ist die Beobachtung C.s, dass die Rhetorik der königlichen Psalmen die gleichen »metageschichtlichen Motive des Königtums« (32) wie die Inschriften aufweise. Trotz unterschiedlicher Verwendungszwecke tauchen dieselben Themen auf: Bestätigung durch göttliche Erwählung und Sieg über feindliche Könige, einschließlich Landverlust und (Rück-)Erwerb. Das einzige Motiv, das in den Psalmen fehle, sei der »sakrale Wiederaufbau« (»The only motif missing from royal psalms is sacred rebuilding, whose absence has to do with the psalms’ medium; unlike the royal inscriptions they are not concerned with a specific monument or royal building campaign.« 32 f.) Im Gegensatz zu den Inschriften gehe es in den Psalmen nicht um ein bestimmtes Denkmal oder eine Baukampagne. Sie seien von solchen Bezügen befreit, und ihr einziger dauerhafter Ort sei Zion – ein realer Ort, aber auch einer, der als eine Art Vorposten des Herrschaftsbereichs JHWHs fungiere, eine Erweiterung des Gottesraums.

Spannend ist die Beobachtung, dass die bedingte Beziehung zwischen der Gottheit JHWH und seinem »Klientelstaat« Israel Entsprechungen in Inschriften der Nachbarländer findet, insofern deren Schutzgötter wie JHWH eine singuläre Loyalität gegenüber ihrem jeweiligen »Klientelkönig« zeigen, indem sie alle anderen Parteien in die Gefahr einer Zerstörung durch die Gottheit bringen. Auf diese Weise entstand eine gemeinsame Form theologischer Konditionalität noch vor dem Wirken von Amos und der Unterwerfung Israels unter Neuassyrien.

Kühn ist die Studie auch in Bezug auf die Übersetzungen der biblischen Texte. So schlägt C. den Begriff der »solicitude« als Übersetzung des hebräischen Begriffes דסח in Ps 89 vor, wobei er die Beweggründe dafür stringent darlegt (153: n. 16.). Einzelne Übersetzungen erscheinen auch eigenwillig, so zum Beispiel ערכ in Ps 20,9 mit »to collapse« (34; 129) oder ריבּא Ps 132,2.5 mit »bull« (»Bull of Jacob«: 169). Aber sie sind zumindest anregend.

Die Studie stellt einen Beitrag zur Erforschung der Gottesvorstellungen in der Levante dar. C. kommt das Verdienst zu, mutige Fragen zu stellen und diesen standzuhalten. Auch wenn die eine oder andere Frage durchaus anders hätte gestellt und beantwortet werden können, ist es erst einmal wichtig, sie überhaupt zu stellen und plausible Antworten und Lösungsansätze zu versuchen. Hierfür ist es aber unabdingbar, mit klaren Begriffen und eindeutigen Konzepten zu arbeiten. Das komplexe Motiv »Zorn JHWHs« kann definitiv nicht mit einem Begriff erfasst werden, der sich primär auf menschliches Verhalten bezieht und im Biblisch-Hebräischen gar nicht vorkommt. Auch sind die biblischen Motivkreise von Zorn, Gewalt, Rache und Vergeltung nicht deckungsgleich mit dem, was der aus dem 18. Jh. stammende Begriff »Aggression« erfassen mag. Der wichtigste Beitrag der Studie besteht somit darin zu zeigen, dass es auch irreführend sein kann, moderne Konzepte direkt auf biblisch-hebräische Sachverhalte zu übertragen.