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Ausgabe:

April/2023

Spalte:

321-323

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Susnow, Matthew

Titel/Untertitel:

The Practice of Canaanite Cult. The Middle and Late Bronze Ages.

Verlag:

Münster: Zaphon 2021. 374 S. = Ägypten und Altes Testament, 106. Kart. EUR 112,00. ISBN 9783963271427.

Rezensent:

Mathias Litzenburger

Der von Matthew Susnow verfassten Monographie liegt seine Dissertation zugrunde, die von Assaf Yasur-Landau (Haifa) betreut wurde. Grundsätzlich versucht S. zunächst und vor allem anhand der Analyse des materiellen Befundes Formen kanaanäischer bzw. südlevantinischer Kulte aus der Mittel- und Spätbronzezeit zu erarbeiten; erst im Anschluss werden textliche Zeugnisse hinzugezogen. Daher steht in der Arbeit nicht nur die Frage nach der kultischen Praxis als solcher im Fokus, sondern auch die Reflexion des methodischen Zugangs, inwiefern durch materielle Funde religiöse Praxis rekonstruiert werden kann.

Die Untersuchung unterteilt sich neben der Einleitung und den Ergebnissen in drei Hauptteile, die eng an die methodische Vorgehensweise S.s geknüpft sind. S. legt in der Einleitung die Notwendigkeit eines neuen Zugangs zu kanaanäischer Religion dar, da er zum einen die Interpretation archäologischer Zeugnisse durch die textbasierte Brille – und vor allem: durch die Brille der spätbronzezeitlichen Texte aus Ugarit, die gerne für die gesamte Mittelbronzezeit herangezogen werden – kritisiert, und zum anderen betont, dass auch die Analyse materieller Funde eine eigenständige theoretische Fundierung benötigt: »defining architectural types and traditions is not the same as defining religious practices and ideologies« (19).

Für seinen Zugang fragt S. in drei Schritten nach den Orten kanaanäischer Kulte, den Aktivitäten und Ritualen an diesen Orten sowie nach dem Grund und der Vorgehensweise für die Rituale an den jeweiligen Orten (20). Diese drei Ebenen korrelieren dabei mit Low-, Middle- und High-Level-Theorie, so dass die Untersuchung von den empirischen Befunden über vergleichende Analysen bis hin zur übergreifenden Thesenbildung schreitet. Als Grundthese formuliert S. dabei, dass »Canaanite religion was remarkably responsive and adaptive and was reflective of the diversity of the various micro-regions in the southern Levant« (22).

Der erste Hauptteil »Cultic Architecture in the Southern Levant« (39–93) behandelt nun genau diesen empirischen Befund der kultischen Architektur der Mittel- und Spätbronzezeit. S. entscheidet sich für einen phänomenologischen Zugang in der Analyse der Architektur, um die Beziehung von natürlicher Landschaft und konstruiertem Raum und damit verbunden die Wahrnehmung der Orte durch die Lokalbevölkerung besser zu verstehen. Es folgt eine umfangreiche und klare Analyse der verschiedenen Ortslagen, die zum besseren Vergleich nach Freiluftheiligtümern, urbanen und ländlichen Migdaltempeln, Tempeln unklarer Zuordnung (alles Mittelbronzezeit), spätbronzezeitlichen Neuerrichtungen und Tempelhöfen gegliedert sind. Durch diese Vorgehensweise schafft S. es, die für die Südlevante der Mittel- und Spätbronzezeit relevanten Ausgrabungen knapp und auf aktuellem Stand darzustellen, was insbesondere angesichts der teilweise verstreuten oder nicht guten Publikationslage hilfreich ist.

Hinsichtlich der Tempelhöfe versucht S. die Größe der Plätze mit der ungefähren Populationsgröße einer Siedlung abzugleichen, um auf diese Weise ihre mögliche Rolle in der kultischen Praxis zu eruieren. Dabei stellt er selbst bei einer zurückhaltenden Schätzung der Populationsgröße fest, dass in zahlreichen Fällen nur ein Bruchteil der Bevölkerung gleichzeitig auf den Höfen Platz haben konnte, wodurch er insbesondere den begrenzten Platz bei urbanen Migdaltempeln auf hierarchische Strukturen bzw. Eliten als intendierte Gruppierung zurückführt. Bei Freiluftheiligtümern läge durch den relativ größeren Platz ein inklusiveres Verständnis kultischer Praxis vor. So wichtig diese Überlegungen sind, so sehr können sie nur mit Bedacht berücksichtigt werden. Wenn S. den sog. Stelentempel aus Hazor Areal C diskutiert und den geringen Platz in ein Verhältnis mit der ihn umgebenden Nachbarschaft setzt, kann ein Schluss sein, dass der Ort nur für eine kleine Elite gedacht war. Jedoch ist es nun nicht zwingend notwendig, dass in jedem Kultort große Feste und Riten stattgefunden haben müssen, so dass auch an kleinen Orten nicht notwendigerweise eine rigide Zugangsbeschränkung existiert haben muss.

Im zweiten Hauptteil »Activities in Canaanite Temples« (95–173) erörtert S. – angelehnt an eine Studie von M. Daviau aus dem Jahr 1993 – sieben Aktivitätstypen für kanaanäische Häuser: »consumption, preparation of food and drink, storage, production, personal adornment, objects signifying prestige or status, and ritual or cultic activities.« (97) Vor dem Hintergrund dieser Kategorien analysiert S. dann ausführlich ausgewählte, zuvor architektonisch diskutierte Heiligtümer (Hazor Areal H und C, Lachisch Fosse Temple, Tel Mevorakh und Nahariya), um die Kleinfunde für die kultische Praxis auszuwerten. Dass dies im Einzelfall nicht so leicht gelingt, wird an den Lebermodellen aus Hazor Areal H deutlich, die auf zugehörige kultische Praktiken hinweisen können – allerdings schränkt S. selbst ein, dass die geringe Anzahl auch darauf hinweisen könnte, dass sie von außen nach Hazor gelangt und z. B. als Votive dargebracht worden sein könnten (118).

Insgesamt arbeitet S. mit Rückgriff u. a. auf keramische Gefäße heraus, dass der Bereich consumption zentral in kanaanäischen Heiligtümern der Mittel- und Spätbronzezeit gewesen ist. Dabei standen interessanterweise in ländlichen Tempeln mehr Lagerraum und auch Kochmöglichkeiten als in urbanen Heiligtümern zur Verfügung. S. schließt aus diesem Befund, dass südlevantinische Tempel nicht im Sinne des mesopotamischen Konzeptes als Wohnort einer Gottheit verstanden werden konnten, da sie nicht analog zu Privathaushalten konzipiert seien (172). Unklar bleibt dabei jedoch, wie S. diese Zurückweisung mit dem verbreiteten literarischen Befund des Tempels als Haus (*bt oder É) einer Gottheit in Einklang bringen möchte.

Im dritten Hauptteil »Between Praxis and Ideology« (175–201) sollen die erarbeiteten Kultpraktiken mit ihren jeweiligen Orten in Beziehung gesetzt und daraus Schlüsse auf die gesellschaftliche Verortung gezogen werden. Dabei ist besonders die diachrone Veränderung der Tempelbauten von Bedeutung, die mit möglichen zeitgleichen Veränderungen in einer Siedlung oder Gesellschaft in Beziehung korreliert werden soll.

So sei die Veränderung von Freiluftheiligtümern in der frühen MB I zu großen, urbanen Kultorten in der MB II auffallend, die S. vor dem Hintergrund einer politischen und ökonomischen Stabilität und damit verbundenen urbanen Bauprogrammen sieht. Zugleich sind diese Tempel dann von einer urbanen Elite kontrolliert. Zeitgleich seien kleinere, ländliche Heiligtümer entstanden, die diese urbanen Zentren nachahmten und an lokale Bedürfnisse anpassten. Die Spätbronzezeit wiederum war von einer politischen und sozioökonomischen Fragmentierung der Siedlungen geprägt, so dass teilweise ältere Tempelbauten erhalten worden sind, aber vielmehr unregelmäßige, kleine und häufig außerurbane Tempel entstanden seien. Das monumentale Gebäude 7050 aus der Oberstadt Hazors wäre dann eine auffallende Ausnahme von dieser Entwicklung.

Sodann korreliert S. im dritten Hauptteil die in Texten nachgewiesenen kultischen Praktiken wie Libationen, das Verbrennen von Weihrauch oder die Nutzung von mas.s.ebot mit möglichen Riten und Festen sowie den archäologischen Funden und ikonographischen Belegen. Dabei sei kanaanäische Kultpraxis vielfältig und durch die sozialen Strukturen bedingt gewesen, stellte allerdings auch eine Möglichkeit für Eliten dar, durch die Kontrolle über den Kult soziale Hierarchien z. B. in Mahlfeiern zu festigen. Theologisch bedeutsam sei darüber hinaus die Verbindung von Heiligtum und einer von ihm ausgehenden – sowohl urbanen (Palast) als auch außerurbanen (Freiluftheiligtümer) – sacred landscape sowie die Vielfalt an verehrten Gottheiten an einem Ort (multivocality) gewesen. Schließlich geht S. noch auf die Bedeutung von Totenkulten ein, die sowohl literarisch belegt als auch materiell (z. B. in Hazor Areal C) anzunehmen sind.

Insgesamt waren nach S.s Darstellung sowohl die Tempelarchitektur als auch die anzunehmende kultische Praxis vielfältig und beide unterlagen einer dynamischen Entwicklung, so dass die vergleichenden Beobachtungen recht allgemein bleiben müssen und sich z. B. auf die Migdaltempel oder die Praxis der consumption beziehen. Und gerade letzterer Befund weist für S. darauf hin, dass die Bedeutung von südlevantinischen Tempeln als Ort für Feste und damit verbundene Gemeinschaftsmahle kaum überschätzt werden kann. Damit verbunden interpretiert S. Tempel als Orte, in denen soziale Hierarchien manifest werden und sich im Ritual widerspiegeln. Zugleich sei angesichts der fehlenden Produktions- und Lagermöglichkeiten in urbanen Tempeln anzunehmen, dass die Verbindung zu Privathaushalten für die Vorbereitung eines Festes essentiell gewesen ist. Schließlich werde die Verbindung von Tempeln zu ihrer urbanen und außerurbanen Umgebung auch insofern deutlich, als dass S. südlevantinische Tempel weniger als Wohnort einer Gottheit, als vielmehr als Kontaktmöglichkeit zur Gottheit sieht, die von dort auch jenseits des unmittelbaren Heiligtums präsent sein sollte: »[T]here was an effort to entice the deities out of temples in order to transform the entire landscape into a religious and sacred landscape.« (223)

Zum Schluss der Arbeit folgen ein (angesichts der Breite der Studie notwendigerweise) umfangreiches Literaturverzeichnis sowie zahlreiche Tabellen und Abbildungen, anhand derer noch einmal die enorme Materialfülle der Arbeit erkennbar und die Analyse der Ortslagen besser nachvollziehbar wird. Dem Autor ist für die umsichtige Zusammenstellung und methodisch reflektierte Analyse der archäologischen Fundorte zu danken, so dass seine lesenswerte Studie zwar auch als detailliertes Nachschlagewerk zu Fundorten und möglichen Riten, vor allem aber als wichtiger Beitrag zur Frage nach südlevantinischer Kultpraxis dient, die gerade nicht vorschnell mit den bekannten Texten argumentiert, sondern den materiellen Befund ernst nimmt und umsichtig übergreifende Ideen herausarbeitet.