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Ausgabe:

April/2023

Spalte:

313-315

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kratz, Reinhard G., and Bernd U. Schipper [Eds.]

Titel/Untertitel:

Elephantine in Context. Studies in History, Religion and Literature of the Judeans in Persian Period Egypt.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2022. XII, 385 S. = Forschungen zum Alten Testament, 155. Lw. EUR 144,00. ISBN 9783161609961.

Rezensent:

Friedhelm Hoffmann

Als Ägypten 526 (!) v. Chr. von den Persern erobert wurde, musste die Südgrenze bei Elephantine (E.) gesichert werden. Dazu wurde eine judäische/jüdische Besatzung in die dortige Festung gelegt, aus der viele aramäische Papyri erhalten sind. Der Sammelband, herausgegeben von zwei Alttestamentlern, ist dem breit angelegten Studium der Gemeinde von E. gewidmet. Gesellschaft mit Verwaltung, Religion und Literatur werden aus der Sicht verschiedener Fächer beleuchtet. Hervorgegangen ist der Band aus dem DFG-Projekt »Elephantine in Context« (2015–2019).

E. war in der Perserzeit ein wichtiges administratives Zentrum mit einer multikulturellen Einwohnerschaft, die neben aramäi-schen auch ägyptische Papyri hinterlassen hat (Vf.; Ostraka und Hieroglyphentexte bleiben unerwähnt). Zu den drei Hauptfoki (1) Gesellschaft mit Verwaltung, (2) Religion sowie (3) Literatur werden case studies zusammengestellt, die während dreier Workshops 2016–2018 diskutiert wurden.

Grassi widmet sich den aramäischen Ethnonymen (3 ff.): »Aramäer« meinte offenbar Soldaten. Eine solche erweiterte Verwendung von Ethnonymen als Berufsbezeichnungen hat in Ägypten Tradition (z. B. hgr »Hagriter« > »Eilbote«). Die Argumentation wäre klarer, wenn zu den ägyptischen Namen auch die ägyptologische Umschrift angegeben würde. – Gzella (35 ff.) geht von einer normierten Schreiberausbildung im Perserreich aus, was zu einer Deregionalisierung und generellen administrativen Kultur führte. Das Ideal des weisen, fähigen Schreibers, der den Vorgesetzten glücklich macht (39), wurde zum Rollenmuster der Juden für das Leben in der Welt und vor Gott (vgl. Ezra und Daniel). – Im Vergleich von aramäischen Rechtsurkunden (1) aus Nordsyrien und Samaria, (2) aus E. sowie (3) demotischen Urkunden kann Schütze zeigen, dass die aramäischen Schreiber in Ägypten durch Aufnahme ägyptischer Urkundenklauseln ein hybrides Formular schufen und zudem die Abstandsschrift als Dokumenttyp übernahmen.

Honigman handelt von Judäern/Juden in Oberägypten von der Perser- bis in die Römerzeit (75 ff.), ausgehend von den aramäischen Dokumenten des 3. und 2. Jh.s besonders aus Edfu, die sie mit einer wohl in der Zweiten Perserzeit (341–331) gegründeten Militärkolonie verbindet. Anhand der Quellen und der in ihnen vorkommenden Namen entwirft H. ein Bild vom Schicksal der oberägyptischen Judäer/Juden. Aber bedeutet, dass manche Namen des perserzeitlichen E. von denen im ptolemäischen Edfu abweichen, wirklich, beide Kolonien hätten keinen Kontakt zueinander gehabt (83 f.)? Um 140 ist das Demotische übrigens als Verwaltungssprache in der Thebais noch nicht aufgegeben (78).

Für den Beitrag v. Lievens zur spätägyptischen Religion (131 ff.) stehen keine Quellentexte der Ersten Perserzeit zur Verfügung, aber ältere und jüngere, die die Kontinuität beweisen. Wichtig ist, dass die Göttertriade von E. keine Familie bildete! Nützlich ist die Liste der religiösen und wissenschaftlichen Brooklyner Papyri aus der Tempelbibliothek von E. (143 ff.). – Cornell und Strawn fragen, ob die jüdische Religion auf E. präexilisch war oder fremdbeeinflusst und synkretistisch (153 ff.). Sie fassen Kultur als Sprache auf, die Ausprägung der Religion auf E. als Dialekt. Ihrer Meinung nach handelte es sich um ein Pidginphänomen mit der jüdischen Kolonie als mächtiger Gruppe und der ägyptischen Kultur als der unterlegenen (Wo bleiben die Perser?), was sie in drei Fallstudien prüfen. Doch zur polytheistischen Grußformel (156 ff.) wird übersehen, dass es im demotischen Briefformular mehrere Grußformeln gab (s. Depauw). Zur Göttertriade von E. (160 ff.) wird nicht v. Lievens Beitrag bedacht. Zu »Herr des Himmels« (164 ff.) übersehen C. und S., dass dies auch ein häufiges ägyptisches Epitheton ist.

Becking beschreibt die Vorgänge um die Zerstörung des Yahō-Tempels von E. 411 v. Chr. und die Petition an den Perserkönig um Erlaubnis zum Wiederaufbau. Inwiefern ist es ein Zeichen von Loyalität zu den Persern, wenn man betont, der eigene Tempel sei bei der persischen Eroberung nicht zerstört worden (199 und 201)? – Schipper betrachtet die Judäer/Aramäer auf E. von ägyptologischer Seite (210 ff.): (1) E. selbst (Geografie und Bedeutung); (2) die Judäer/Aramäer und inwiefern ihre Religion ägyptisch beeinflusst ist, sowie (3) den Yahō-Tempel und die ägyptische Religion. S. sieht Belege dafür, dass der Yahō-Kult auf E. zum Teil ägyptische Vorbilder hatte. Der Tempel war ein kleines Heiligtum und musste weichen, als im 4. Jh. der Chnumtempel vergrößert wurde.

Moore (235 ff.) beschreibt den aramäischen Ahiqar-Papyrus Berlin P. 13446 sowie zugehörige Stücke und schlägt einige neue Lesungen vor, besonders zu einer isolierten Zeile auf dem Verso. Im Vergleich der frühen Ahiqar-Traditionen stellt sich der aramäische Text von E. nach M. in manchem als eine rein jüdische Fassung dar. M. geht auch auf die Frage nach dem historischen Vorbild für Ahiqar ein (ein neuassyrischer Beamter in Nimrud?).

Quack stellt ausführlich die demotischen Fragmente von Ahi-qar-Erzählung sowie -Sprüchen vor (265 ff.) und kündigt eine Edition an. Er verortet Ahiqar, den demotischen Chascheschonqi und den griechischen Aesop-Roman zueinander und meint, dass Letzterer in Ägypten entstanden ist. – In seinem Beitrag zu Ahiqar und der Bisitun-Inschrift Dareios’ I. plädiert Kratz (301 ff.) dafür, in ihnen die Literatur der Judäer von E. zu sehen, da von beiden Texten aramäische Papyri auf E. gefunden wurden (anders als von der Hebräischen Bibel!), prüft, wie sie in den kulturellen/religiösen Kontext der Gemeinde passen, und vermutet, dass derartige Literatur später in Ezra, Daniel und Tobit aufgenommen wurde: Aus der Loyalität zum König wurde Loyalität zu Gott.

Die letzten beiden Aufsätze des Bandes beschäftigen sich mit Papyrus Amherst 63 aus dem 4. Jh., der in demotischer Schrift aramäische Sprache notiert. Holm (332 ff.) will vor allem anhand der im Text vorkommenden Gottheiten und Orte Herkunft und Zweck des Papyrus klären und denkt, dass er eine nostalgische Anthologie zur Feier des Neujahrsfestes einer aramäischen Gruppe mit Verbindungen zu einer Vergangenheit u. a. in Syrien, Mesopotamien, Samaria und Juda sei. – Nach van der Toorn (353 ff.) weist der Text ein Substrat aus Samaria auf (Yahweh als Stier). Soldaten seien von dort Ende des 8. Jh. v. Chr. nach Juda gezogen, dann, als die Assyrer Jerusalem bedrohten, nach Palmyra geflohen, wo sie evtl. anlässlich der Neueinweihung des dortigen Tempels im 7. Jh. die Texte zusammenstellten, bevor die babylonischen, syrischen und samaritanischen Gemeinden nach Ägypten zogen. Ende des 7. Jh.s sei die Gemeinde in E. angekommen, wo sie jüdisch wurde.

Interdisziplinäre Arbeit ist schwer. Zu schnell gerät das erwartbare Vorwissen der Leser aus dem Blick. Oft vermisst man Querverweise zwischen den Aufsätzen. Und häufiger werden Quellen und Werkzeuge eines anderen Fachs gar nicht, ungenau oder aus zweiter Hand zitiert, Autorennamen falsch wiedergegeben (u. a. 261 Kopenhagen statt Ryholt), Wörter falsch geschrieben (z. B. 213 Ḫnm statt H_nm), falsch übersetzt (212 Ḏd-ḥr ist »Das Gesicht hat gesprochen«) oder Denkmäler missverstanden (225: das Rind ist ein Apis von einer griechischen Stele). Eine dichte Beschreibung ohne Primärquellen (194) oder bei Fehldatierung des frühptolemäischen sog. Codex Hermopolis (184) ist problematisch.

Textstellen- (369 ff.) und Namenregister (379 ff.) erleichtern den Zugriff auf das Material dieses trotz der Monita lesenswerten, aber teuren Bandes.