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Ausgabe:

März/2023

Spalte:

265–266

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Talay, Shabo [Hg.]

Titel/Untertitel:

Überleben im Schatten. Geschichte und Kultur des syrischen Christentums. Beiträge des 10. Deutschen Syrologentages an der FU Berlin 2018.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2020. X, 318 S. m. 25 Abb. u. 17 Tab. = Göttinger Orientforschungen. I. Reihe: Syriaca, 58. Kart. EUR 59,00. ISBN 9783447114639.

Rezensent:

Martin Tamcke

Regelmäßig treffen sich die deutschen Wissenschaftler, die zum Bereich der Syrologie forschen, zum Deutschen Syrologentag. Der Berliner Syrologentag an der Freien Universität dort war der 10. Sy- rologentag seit Entstehen dieser Konferenz. Der vom Berliner Semitisten Shabo Talay herausgegebene Sammelband enthält zwar nicht alle Beiträge der Konferenz, aber doch eine exemplarische Auswahl.

Einige Beiträge sind für Theologen eher marginal, aber doch erhellend für den Kontext, in dem sich auf dem Boden der syri-schen Sprache und Kultur Forschung etabliert: so zu der einschlägigen Medienlandschaft (Abdulmasih Barabraham) oder zur Philosophierezeption (Martin Perkams und Helen Younansardaroud und Dorothea Weltecke zu Yuhannan Bar Zobis Memra über die Philosophie), den Himmelsdarstellungen (Rudolf), einer Open-Access-Datenbank (Schmidt), einer Namensetymologie (Tubach zu Manichaeus). Was auch sonst etwa für die spätantike Philosophierezeption gilt, gilt auch hier: es ist da nicht einfach zu scheiden zwischen Theologie und Philosophie oder ethnischer Geschichte und Kirchengeschichte. Was die Moderne da im Westen scheidet, ist nicht unbedingt auch in der Spätantike schon geschieden und auch darüberhinaus bis heute wird stets zu rechnen sein mit der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. So führt etwa der Beitrag von Shabo Talay und Anna-Simona Barbara Üzel zu einem Vorgang in Miden aus dem Jahr 1855 auf eine oberflächlich gesehen kaum kirchenhistorische Perspektive, aber ist von so fundamentaler Bedeutung für das Verstehen der Lage vor Ort, dass hier die Kirchengeschichte diesen Aspekt in ihre Selbstbeschreibung aufnehmen muss, will sie sich nicht an der historischen Situation vorbei konstruieren. Allessandro Mengozzi widmet sich der Poesie (Syrische Streitgedichte als mündliche Dichtung) und Bogdan Burtea nimmt das Gebet in den Blick (Zur Terminologie der Gebetsgattungen im Mandäischen und Syrischen). Luise Marion Frenkel befasst sich mit der syrischen Rezeption des Eusebius von Caesarea, Lijuan Lin mit der frühesten Übertragung des »Gloria in Excelsis Deo« ins Chinesische, Catalin-Stefan Popa geht den Begegnungen der Ostsyrer mit dem Sabas-Kloster nach und Jean-Paul Deschler macht sich an eine Übertragung zum Namen Emmanuel aus dem Mimro des Jakob von Serug. Harald Suermann geht den Verbindungen von Thomaschristen und dem persischen Rewardaschir nach (eine nach wie vor wichtige Etappe für die Geschichte der indischen Thomaschristenheit). Schließlich werden die Siedlungsgebiete der syrischen Christen in ihren jüngeren Gewalttraditionen des 19. und 20. Jh.s untersucht, beginnend mit der Untersuchung zu einer Rebellion in Midyat im Jahr 1855 und sodann einer Darstellung des Überlebenskampfes eines ostsyrischen Dorfes in der Urmia-Region bis zum Erlöschen des Dorfes. Dies alles bietet fast immer neue Fakten und Einsichten und zeigt, wie lebhaft die Syrologie immer noch betrieben wird in Deutschland, obwohl mit dem Fortfall der Spezialisierung auf Orientalische Kirchengeschichte nun auch der Göttinger Lehrstuhl nicht mehr speziell diesem Bereich gewidmet ist, auch wenn er in den neuen Lehrstuhl einbezogen wurde (er war lange Zeit der einzige Lehrstuhl für Syrische Kirchengeschichte, später Orientalische Kirchengeschichte).

Die speziellen theologischen Beiträge sollen hier am Ende stehen: Simon Birol von der Georg-August-Universität Göttingen be­ fasst sich mit der Überlieferung zur möglichen Annahme des Chalcedonense am Lebensende des Jakob von Sarug (und damit zugleich noch einmal unter spezifischer Perspektive mit dem Streit um dessen Christologie). Paul Krügers These wird gründlich nachgezeichnet und kann nachweisen, dass Krüger den entscheidenden Passus schlicht falsch deutet. »Eine Untreue Jakobs zur miaphysitischen Christologie severianischer Richtung ist weder in dem vorliegenden Panegyrikus noch in anderen Schriften Jakobs feststellbar.« (45) Für die weitere Arbeit an Jakob und seiner Christologie wird damit ein wichtiger Baustein zur Verfügung gestellt. Maros Nicak skizziert noch einmal die gängigen theologischen Vorstellungen zur »Verdorbenheit der menschlichen Natur in der Theologie Narsais«. »Die göttliche Natur kann keinem Verfall unterliegen, deswegen leidet am Kreuz der Sohn Adams« (177), die Reue aber stellt die »Voraussetzung zur Sündenvergebung dar« (ebd.). Das sind zwar nicht unbedingt neue Einsichten, aber Darstellungen zu einem Thema, für das Narsai in der ostsyrischen Tradition einige Bedeutung zukommt. Andrei Macar schließlich gibt eine so noch nicht vorhandene Darstellung des ostsyrischen Mönchtums in den Kanones (hier hat sich ein Fehler eingeschlichen: »Kanons« muss in »Kanones« geändert werden) aus dem Jahr 585 und zeigt, dass das herkömmliche Bild zur Herausdrängung des Mönchtums aus der Kirche korrigiert werden muss. Die Synode von 585 nimmt bereits vorauslaufende Bemühungen um das Mönchtum auf. Mit ihnen zielen die Ausführungen von 585 darauf, »das Mönchtum in der Kirche wieder einzugliedern« (146) und dessen Restauration zunächst mit den Wiederaufbauarbeiten der verfallenen Klöster zu beginnen, dann erst zu Neubauten voranzuschreiten. Insgesamt gilt, dass die Synode sich bemüht, »das Mönchtum unter der [sic!] Kontrolle der kirchlichen Hierarchie zu bringen« (ebd.).

Shabo Talay ist ein ansprechender Band gelungen, der belegt, dass die Syrologie in Deutschland lebt, auch ohne spezifische Lehrstühle. Das ist beeindruckend.