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Ausgabe:

März/2023

Spalte:

262–264

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Metz, Johann Baptist

Titel/Untertitel:

Ein Bekenntnis zum Glauben in dieser Zeit. Vorlesungen zum Würzburger Synodendokument »Unsere Hoffnung«. 2 Bde. Hg. v. J. Reikerstorfer. Bd. I: Theologisch-politische Grundperspektiven. Bd. II: Genese – Ausrichtung – Theologische Hintergrundprämissen.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2022. 576 S. Geb. EUR 48,00. ISBN 9783451391934.

Rezensent:

Johannes Schelhas

Johann Baptist Metz (1928–2019) gilt als einer der bedeutendsten christlich-katholischen Theologen des 20. und beginnenden 21. Jh.s. Er hat maßgeblich an der Erstellung des Würzburger Synodendokuments »Unsere Hoffnung« mitgewirkt. Das zu besprechende Werk ergänzt die 11-bändige, preisgünstige Werkausgabe der Gesammelten Schriften des Theologen um einen weiteren zweibändigen Titel. Er trägt dem ambivalent geschichtlichen Verständnis des Gottes Israels und der anderen Völker Rechnung. M. hat die »Neue Politische Theologie« begründet. In die Belange der Polis – als der Stadt und Gemeinde, der Kirchengemeinde und der Institutionen einer die Welt global umspannenden Kirchengemeinschaft, aber auch des gerechten Gemeinwohls und der gesellschaftlichen Öffentlichkeit – hat sich M. mit seinen Publikationen unentwegt »politisch« eingebracht. Sein Ziel besteht darin, diese Welt human und sozial, ekklesial und gesellschaftlich greifbar, durch Optionen der Begegnung von unten und oben, das heißt: der Armen, Entrechteten und der Reichen, Rechtsprechenden, zu gemeinsamer Teilhabe an den Gütern der Erde zu verändern. Das ad intra gerichtete Programm des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) von der »Ecclesia semper reformanda« (in Anlehnung an die Konstitution »Lumen gentium«, Artikel 8,3) hat M. um Gottes und der Menschen willen ad extra »gefährlich« auf die bürgerliche Gesellschaft appliziert. Denn darin finde in der Postmoderne das Engagement Gottes als engagierte Nachfolge Christi seinen vorläufigen, präsentisch-eschatologischen Finalpunkt.

Konkret geht es ihm darum, die Welt, die in der Kirche und um die christlichen Kirchen und Glaubensgemeinschaften herum in den Gesellschaften lebendig und beweglich existiert, empfindsam wahrzunehmen, leidsensibel zu erkennen und in der unbeirrten Hoffnung auf futurisch-eschatologische, das bedeutet für M.: hier und jetzt fragmentarisch wie fragil ansetzende Gerechtigkeit und Versöhnung anzuerkennen. An dieser Stelle müsse sich der christliche Glaube »in dieser Zeit« in unverwechselbarem gemeinschaftlichen Glauben mystisch bewähren und politisch inkarnieren. Hier hätten selbst die alten Orden ihren neuen Auftrag inmitten einer ungeteilten Welt (dazu die mystisch-politische Nachfolge-Denkschrift: Zeit der Orden? 1977). Quelle der Hoffnung sei der Gott des Jesus von Nazaret, den Christinnen und Christen im Glauben als den Retter der Welt bekennen. Die Grundzüge seiner christologisch-anthropologisch fundierten Theologie der Welt hat M. unter der Überschrift »Weltverständnis im Glauben. Christliche Orientierung in der Weltlichkeit der Welt von heute« bereits 1962 dargelegt (in: Geist und Leben 35, 1962, Heft 3, 165–184). Die programmatischen Kernaussagen dieses Textes wendet M. als derweil Münsteraner Fundamentaltheologe zwischen April 1973 und Jahresende 1975 auf das Synodendokument »Unsere Hoffnung. Ein Bekenntnis zum Glauben in dieser Zeit« (22. November 1975) an und denkt sie situativ fort (dazu: Bd. II, 15–20). Das Fortdenken im Querschnitt der Jetztzeit ist ebenfalls ein Fortdenken der Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils der römisch-katholischen Kirche, vornehmlich der dogmatischen Kirchenkonstitution »Lumen gentium«, der dogmatischen Offenbarungskonstitution »Dei verbum«, der Erklärung über die Haltung der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen »Nostra aetate« und der Erklärung über die religiöse Freiheit »Dignitatis humanae«.

Die narrative Christologie, die M. vom christlich-kirchlichen Apostolischen Taufbekenntnis her »in konfessorischer Absicht« (Bd. I, 59) konzipiert und mit den nötigen textlichen Umstellungen am Dokument »Unsere Hoffnung« der »Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland« (1971–1975), der so genannten Würzburger Synode, exemplifiziert, legt er in dem oben näher bezeichneten Sinn politisch und anthropologisch dar (dazu der Beschlusstext: Bd. I, 23–55, mit voranstehender Inhaltsübersicht; der Vorlagentext zur Ersten Lesung [Mai 1975] mit Erläuterungen [Mai und November 1975]: Bd. II, 23–55.56–82). Diese Chris-tologie wird ebenfalls ekklesiologisch auf die Gesamtkirche Jesu Christi bezogen, die in einer vielfach gespaltenen Welt in unterschiedlichen Kirchengebilden existiert. Sie wird ferner individuell und sozial inkarniert, gesellschaftlich kontextualisiert sowie in pneumatologisch und hier präsentisch, dort futurisch-adventhaft fundierter eschatologischer Hoffnung vorgelegt.

Die separate Anordnung der beiden Versionen von »Unsere Hoffnung« ruft einen detaillierten Blick auf den Inhalt beider Teilbände auf, für dessen inhaltlichen Aufbau der Herausgeber Johann Reikerstorfer verantwortlich ist (dazu sein Vorwort: Bd. I, 17–20). Im Anschluss an den erwähnten Beschlusstext »Unsere Hoffnung« enthält Teilband I M.s Credo-Erläuterungen (Bd. I, 57–308), die er in drei Kapiteln entfaltet. In den »Orientierungen zum christlichen Glaubensbekenntnis« (I.) stellt M. seine »[t]heologischen Leitlinien: eschatologische Orientierung, Theodizeefrage, intelligibler Rang der Nachfolge« heraus. In der in Kapitel II von Martin Buber aufgenommenen Rede von den beiden »Glaubensweisen« legt M. sein in die Praxis des Lebens entsprechend dem Reich Gottes eingezeichnetes Verständnis von Glauben als Tätigkeit und Habitus aller Jesus nachfolgenden Menschen mit Verve dar. Im langen dritten Kapitel erläutert und konkretisiert er unter acht Paragraf-Überschriften den Inhalt des christlichen Glaubens in einer zeit-sensiblen Konzeption, die die geistige Implantation der einzelnen Credoformulierungen »in dieser Zeit«, also den 1970er-Jahren, zu erkennen gibt.

Teilband II weist in seiner Gesamtheit drei Kapitel auf: Hingewiesen wurde auf Kapitel »I. Zur Genese des Credo-Textes ›Unsere Hoffnung. Ein Bekenntnis zum Glauben in dieser Zeit‹: Skizze eines Wegprotokolls« (Bd. II, 15–20) und Kapitel »II. Textdokumentation« (Bd. II, 21–82). Kapitel »III. Einleitungen, Exkurse, theologische Hintergrundprämissen des Credo-Konzepts der Würzburger Synode« bildet das Metzsche Denken in seinen weiten wie weit verzweigten Knotenpunkten kongenial ab (Bd. II, 83–248). Ein entsprechend dem Credo-Konzept der Synode zusammengestelltes Quellenverzeichnis und ein sich auf beide Teilbände erstreckendes Personenregister, das einen Einblick in die bunte Schar der Gewährsleute von M. gewährt, sind u. a. im »Anhang« dem zweiten Teilband beigefügt. Im Anschluss an die Lektüre des Titels lassen sich folgende Einsichten festhalten:

1) Der Dogmatiker der christlichen Theologie hebt die systematischen Darlegungen des Fundamentaltheologen M. zum Reich Gottes hervor. Bis heute sind derartige Überlegungen noch immer rar gesät. M. hat eine Leerstelle mit innovativen Gedanken besetzt.

2) Der erste Ort theologischer Reflexion auf das Wirken Gottes ist die offene, plurale und säkulare Welt, nicht der abgeschottete Kirchenraum, nicht der Olymp der fachtheologischen Denkfabriken noch das Palais der amtlichen oder beamteten Kirchenleute. Der Ort mittendrin erfordert um Gottes und der Menschen willen seine eigenen narrativen Stile und eine immerzu sympathische – das heißt: mitfühlende, mitleidende – Sensibilität.

3) Die Rede über Gott in praktisch-theologischer Reflexion und zu Gott im Gebet der Bitte und des Dankes geschieht inmitten der öffentlichen, unfertigen Welt. Sie verlangt Authentizität, Leidenschaft und Wahrhaftigkeit, um stets die Hoffnung auf den eschatologisch an Opfern und Tätern der Geschichte handelnden Gott in der Kraft seines lebendig machenden Geistes zu entzünden.

4) Die Beschlüsse der Würzburger Synode der katholischen Bis-tümer (West-)Deutschlands wären ohne die couragierte Mitarbeit von M. nicht das, was sie in ihrer Brisanz sind. Insgesamt sind sie ein zeitgeschichtliches Ereignis der Konzilsrezeption des Zweiten Vatikanums in Deutschland. Ihr geistiger Bogen erstreckt sich aktuell bis zu den Texten des »Synodalen Weges«.

5) Die pneumatisch-zeitgenossenschaftlich motivierte Einführung ins Credo, die M. mit dem Titel »Ein Bekenntnis zum Glauben in dieser Zeit« bietet (Bd. I, 57–308; Bd. II, 83–248), kann mit profilierter Akzentsetzung neben ähnlich lautende Titel von anderen prominenten katholischen Theologen der frühen nachkonziliaren Zeit gestellt werden: neben a) die »Einführung in das Christentum« von Joseph Ratzinger (1968), b) die »Einführung in den Glauben« von Walter Kasper (1972) und c) den »Grundkurs des Glaubens« von Karl Rahner (1976).

Johann Baptist Metz hat mit der Intention und Methode einer politisch-praktischen Theologie(-hermeneutik) seinen Platz markant und erinnerungswürdig eingenommen.