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Ausgabe:

März/2023

Spalte:

260–262

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Melloni, Alberto, and Luca Ferracci [Eds.]

Titel/Untertitel:

Dawn of Ecumenism.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2021. 774 S. = A History of the Desire for Christian Unity, 1. Geb. EUR 199,00. ISBN 9789004446694.

Rezensent:

Uwe Swarat

Dieses Buch will uns die »Morgenröte des Ökumenismus« (»dawn of ecumenism«) zeigen. Und wie eine Morgenröte auf die volle Tageshelle hin ausgerichtet ist, so dieses Buch auf die Gesamtgeschichte des Ökumenismus. Der Verlag spricht von einem »vielbändigen Handbuch«, das mit diesem Band begonnen wird und das den Titel »A History of the Desire for Christian Unity« mit dem Untertitel »Ecumenism in the Churches (19th–21th Century)« trägt. Herausgeber sind die Italiener Alberto Melloni und Luca Ferracci, beide tätig in der Fondazione per le scienze religiose (FSCIRE) in Bologna.

Dieser erste und bisher einzige Band des Handbuchs ist mit »Dawn of Ecumenism« überschrieben und im November 2021 erschienen. Er umfasst 774 Seiten im Lexikon-Oktav-Format, zweispaltig gesetzt, und ist vollständig englisch geschrieben bzw. ins Englische übersetzt worden. Von den insgesamt 34 Autoren sind neun in Deutschland tätig. Inhaltlich sind die Beiträge in »prehistory« und »beginnings« des Ökumenismus gruppiert. Die »Vorgeschichte« umfasst das lange 19. Jh., reicht also bis zum Ersten Weltkrieg. Die »Anfänge« reichen von den Friedensbewegungen vor dem Ersten Weltkrieg bis zum Internationalen Missionsrat 1961. Die Ereignisse und Entwicklungen, die vorgestellt werden, berücksichtigen die evangelische, katholische und orthodoxe Christenheit.

In seiner Einführung stellt der Herausgeber Melloni das neue Handbuch in die Traditionslinie folgender älterer Publikationen: R. C. Rouse/St. C. Neill, A History of the Ecumenical Movement, 1954; E. Fouilloux, Les Catholiques et l’unité chrétienne du XIXème au XXème siècle, 1982; W. Thönissen/J. Ernesti, Personenlexikon Ökumene, 2010 und N. Lossky, Dictionary of the Ecumenical Movement, 2. Aufl. 2003. Das neue Handbuch will aber eine Geschichte nicht von Konzepten oder Modellen sein, sondern von bestimmten Männern und Frauen, die dem Wort Gottes gehorsam sein wollten. Darum steht im Haupttitel nicht der Begriff »Ökumenismus«, sondern »Sehnsucht nach christlicher Einheit«.

Die insgesamt 32 Einzelbeiträge des Bandes kann man in einer Rezension unmöglich alle vorstellen und kommentieren. Darum nimmt der Verfasser eine Auswahl vor, die subjektiv begründet, aber nicht einseitig ist.

Im ersten Kapitel des Handbuchs haben die Herausgeber dem bedeutenden griechisch-orthodoxen Theologen Ioannis Zizioulas (Titularbischof von Pergamon) die Möglichkeit gegeben, die orthodoxe Position in der ökumenischen Theologie vorzustellen. Zizioulas schreitet die Reihe von Themen ab, die aus seiner Sicht ökumenisch relevant sind. Dabei hält er u. a. fest: Eine »diversity of confessions« ist theologisch legitim nur als Verschiedenheit von »theological opinions«, nicht als Verschiedenheit von Kirchen (»churches«). Darum kommt das protestantische Einheitsmodell der versöhnten Verschiedenheit nicht in Frage (22 f.). Die christliche Kirche ist ihrem Wesen nach eucharistische Gemeinschaft (»communion«) und darum im Kern die von einem Bischof geleitete Ortskirche (24). Der Bischof und die Gemeinde gehören ontologisch zusammen wie das Eine und die Vielen in der neuplatonischen Philosophie. Ein bloß funktionales Amtsverständnis greift zu kurz (25). Ökumenische Hermeneutik muss unterscheiden zwischen dem Zweitrangigen, in dem sich die Kirchen unterscheiden können, und dem »what is essential to the faith and what must be valued by all« (31). Das orthodoxe Prinzip der Oikonomia lässt sich nicht auf ökumenische Probleme anwenden. Die göttliche Trinität hat ihr Einheitsprinzip in Gott dem Vater, und darum braucht die universale Kirche, die Ikone der Trinität ist, einen Leitungsprimat – der allerdings weder nur durch ein ökumenisches Konzil noch durch den Jurisdiktionsprimat, den der Bischof von Rom in seiner Kirche hat, ausgeübt werden kann. Die Beziehungen zwischen Kirche und Kultur können sowohl positiv als auch negativ sein. Die Aufgabe der Kirchen heute aber ist es, »to articulate an alternative proposal to the crisis of Western values«. Konkret: Der Pluralismus in der Kultur sollte nicht zur Akzeptanz eines »confessional plural-ism« führen (40). Soweit Zizioulas. Dieses Kapitel ist sehr nützlich, weil es in komprimierter Form die orthodoxe Position innerhalb der ökumenischen Theologie vor Augen führt. Dass die Herausgeber ihm keine ähnlichen Beiträge aus römisch-katholischer und protestantischer Sicht an die Seite gestellt haben, ist allerdings ein unverständliches Versäumnis.

Martin Friedrich, Studiensekretär der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa und Lehrbeauftragter an der baptistischen Theologischen Hochschule Elstal, schreibt zum Thema »Unions, Alliances and World Communions in 19th-Century Prot-estant World«. Die Gründung von aus Lutheranern und Reformierten unierten Kirchen in Deutschland begann demnach 1802 in Mainz und anderen linksrheinischen Ortsgemeinden und setzte sich dann auf landeskirchlicher Ebene fort, zuerst in Nassau und in Preußen 1817. Das 300. Jubiläum von Luthers Thesenanschlag gab dazu den Anstoß. Unter aufklärerischem Einfluss wandten sich viele unierte Kirchen aber von Luthers Abendmahlslehre ab und Zwinglis Lehre zu. Als unbeabsichtigte Folge vor allem der preußischen Union entwickelte sich bei den Lutheranern ein neues konfessionelles Selbstbewusstsein. Unter dem Stichwort »Alliances« stellt Friedrich die Entstehung nicht-denominationeller Bewegungen Mitte des 19. Jh.s dar, vor allem natürlich der Evangelischen Allianz. Am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jh.s kommt es zur Gründung von konfessionellen Weltbünden: Als erster 1875 die »Alliance of the Reformed Churches holding the Presbyterian System«, dann 1891 der »International Congregational Council«. Obwohl die Kongregationalisten die Selbstständigkeit der Ortsgemeinden vertreten, haben sie sich also als eine der ersten Denominationen zu einem Weltbund zusammengeschlossen. So auch die Baptisten, die 1905 ihren Weltbund gründeten. Friedrich weist mit Recht darauf hin, dass eine wichtige Voraussetzung dafür der Zusammenschluss von General Baptists und Particular Baptists (im Text fälschlich Primitive Baptists genannt) war, die in England seit Beginn des 17. Jh.s getrennt existiert hatten. Die Bedeutung der Gründung von Weltbünden für die Ökumene sieht Friedrich darin, dass sie die Grundlage für die Akzeptanz des Ökumenismus in den protestantischen Kirchen legten.

Schließlich ein Blick auf den Beitrag der französischen Historikerin Marie Levant, Research Fellow der Gerda Henkel Stiftung. Sie beschreibt den Entstehungskontext der Enzyklika Mortalium animos von Papst Pius XI. aus dem Jahr 1928. Diese Enzyklika ist das klassische Dokument für die Vorstellung einer »Rückkehr-Ökumene«, d. h. einer Wiedervereinigung der getrennten Christen und Kirchen im Schoß der römisch-katholischen Kirche. Die ökumenische Bewegung wird in der Enzyklika in einer Linie mit theologischem Modernismus und protestantischem Proselytismus gesehen und ausdrücklich abgelehnt. Für den Rezensenten speziell bemerkenswert sind die Ausführungen Levants darüber, dass der Vatikan im Vorfeld der Enzyklika besonders über den weltweiten Einfluss des CVJM besorgt war, den er als Bedrohung für die römisch-katholische Kirche empfand, und dass die Enzyklika selbst vor allem die deutschen Katholiken ermahnen sollte, eine allzu große Nähe zum Protestantismus zu meiden.