Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2023

Spalte:

256–258

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Graulich, Markus [Hg.]

Titel/Untertitel:

Alles gleich gültig? Theologische Differenzierungen zum Votum »Gemeinsam am Tisch des Herrn«.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2022. 304 S. Kart. EUR 35,00. ISBN 9783451393020.

Rezensent:

Martin Hailer

Der Ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen veröffentlichte im Jahr 2020 das Votum »Gemeinsam am Tisch des Herrn« (GaTH), das die wechselseitige eucharistische Gastfreundschaft zwischen evangelischer und katholischer Kirche als theologisch möglich und mitunter auch pastoral geboten ansieht. Die Diskussion war ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung lebhaft und kontrovers, wozu die harsche Aburteilung des Dokuments seitens der römischen Glaubenskongregation das Ihre beitrug. Der ÖAK reagierte 2021 mit »Gemeinsam am Tisch des Herrn II«, in welchem Band auch die genannte lehramtliche Äußerung und andere Stimmen dokumentiert sind. Das vorliegende Buch versammelt v. a. kritische Stimmen vornehmlich aus dem römischen Katholizismus, aber auch einzelne aus byzantinischer Orthodoxie, Luthertum und dem freikirchlichen Spektrum. Fast alle eint eine Beobachtung aus dem Vorwort, die dem Band auch den Titel gab: »Beim Lesen des Votums kann der Eindruck entstehen, dass alles gleich gültig sei: Eucharistiefeier und Abendmahl; Weihe und Beauftragung zum Leitungsamt (Ordination); theologische Forschung und kirchliches Lehramt.« (9) Zu einigen (wenn auch nicht zu allen) der Beiträge:

Barbara Hallensleben (Fribourg) kritisiert den von ihr ausgemachten Anspruch des ÖAK, jedenfalls das bessere Argument zu haben und das kirchliche Lehramt dadurch als irrational und beratungsresistent darzustellen. Weiter hält sie GaTH vor, Eucharistie und die verfasste Kirche samt ihres Ordo in unzulässiger Weise zu trennen. Diese »Logik der Vergleichgültigung der ekklesialen Gestalten« (29) kollidiert mit einer ausgeführten römisch-katholischen Ekklesiologie.

Der ausführliche Beitrag von Kurt Kardinal Koch (Rom), in dem er u. a. seine Auseinandersetzung mit dem damaligen evangelischen Leiter des ÖAK, Volker Leppin, aufgreift, erinnert an den Grundsatz, dass gemeinsame Eucharistie die erreichte Kirchengemeinschaft voraussetzt und hält deswegen den Hinweis in GaTH, dass die Taufe das entscheidende sakramentale Band sei, für unzureichend. Auch ist für ihn die Gestalt der sichtbaren Kirche mitnichten so nachrangig, wie er es in GaTH ausmacht. Dies und ein für sein Dafürhalten deutlich evangelisches Amtsverständnis im Votum lassen ihn die eucharistische Gastfreundschaft ablehnen. Auch besteht das »Grundproblem« (66), wie sich Kommissionsergebnisse zu lehramtlichen Entscheidungen verhalten. Verbindlich ist jedenfalls nur das, was kirchenleitend »autoritativ angenommen worden ist« (ebd.).

Bertram Stubenrauch (München) meldet für sieben zentrale Themenfelder weiteren theologischen Klärungsbedarf an. Die Entfaltung ist mit siebeneinhalb Seiten allerdings sehr knapp, so dass dies hoffentlich eine ausführliche Wortmeldung ankündigt.

Andreas Wollbold (München) konstatiert, dass die evangelische Seite gute Übung darin habe, Geltungsansprüche liberal, historisierend oder subjektivierend zu relativieren. (100) Dem Votum hält er vor, die katholisch approbierte Verbindlichkeit der Tradition gänzlich zu unterlaufen. Auch er schärft die Autorität des Lehramts ein und merkt zugleich kritisch an, dass es befremdlich sei, wenn katholische Bischöfe ihre Gläubigen dazu ermutigen, eine Gewissensentscheidung zu treffen und wechselseitig eucharis-tisch zu kommunizieren.

Markus Graulich (Rom) legt eine kirchenrechtliche Argumentation vor: Er erinnert an Bestimmungen zur communicatio in sacris aus dem II. Vaticanum und geht dann über zum CIC von 1983. Dieser sieht Möglichkeiten zur eucharistischen Gastbereitschaft, beschränkt sie aber auf Notfälle, mit deutlicher Ausnahme der Spendung katholischer Sakramente an orthodoxe Gläubige. An GaTH bemängelt er, dass der evangelische defectus ordinis heruntergespielt sei, der Unterschied in der Präsenzvorstellung des Herrn in den Elementen – nach ihm »doch wesentlich verschieden« (169)– kaschiert werde und überhaupt evangelisches Abendmahl und katholische Eucharistie »etwas grundsätzlich […] Verschiedenes« seien. In GaTH liegt eine Nivellierung »im Sinne innerprotestantischer Konsenspapiere« (177) vor.

Zwei Beiträge fokussieren auf die Frage von Transsubstan-tiation bzw. Realpräsenz. Markus Lersch (Siegen) konstatiert beträchtlichen Fortschritt im gemeinsamen Verständnis von Realpräsenz, führt dann aber aus, dass die Formulierungen in GaTH bestehende Differenzen überspielen und »als einseitige Konzession an reformierte Sichtweisen betrachtet werden können.« (229) Römisch-katholisch unannehmbar ist die Formulierung, die Präsenz Jesu ereigne sich (lediglich) mit Brot und Wein. Dem springt Werner Klän (Oberursel) seitens der Selbständigen Evangelisch- Lutherischen Kirche bei. Mit dem auch bei Lersch zitierten Hermann Sasse hält er fest, dass es um die Gegenwart Jesu in Brot und Wein geht. Lutherische Grundpositionen scheinen für ihn an einigen Stellen von GaTH durch, bestimmen es aber nicht entscheidend. Das Bekenntnis zur »materiell-substanzhaften Identifizierung von Fleisch und Blut Christi mit den Elementen« (260, Zitat Sasse) ist unaufgebbar. In Sachen GaTH ergibt sich: »Non possumus«. (261)

Georgios Vlantis (München) teilt die Befürchtungen, dass eine katholisch-evangelische Annäherung neue Gräben zwischen Katholiken und Orthodoxen entstehen lassen könnte. Die Orthodoxie sollte, so fordert er, entsprechend bei einer Überarbeitung des Votums hinzugezogen werden. Aus freikirchlicher Perspek- tive informiert Jochen Wagner (Frankfurt) über Abendmahlspraxis und Amtsverständnisse insbesondere aus dem Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden und benennt Nähen und mancherlei Fernen zu den Bestimmungen in GaTH. Gerade angesichts dieser Unterschiede begrüßt er aber das Votum für eucharistische Gastfreundschaft, auch »über die bilaterale Perspektive hinaus« (289). In den unterschiedlichen Feierformen erblickt er Elemente von Komplementarität und die Möglichkeit, im für sich selbst Unvertrauten die wahre Eucharistie zu erkennen. Mit dieser Lesart der Differenzhermeneutik ist er in dem Band ein Solitär.

Ausführliche Auseinandersetzungen sind sinnvollerweise von Mitgliedern des ÖAK zu erbitten. Hier nur zwei Hinweise: (1) Es ist erstaunlich, wie von katholischen Stimmen die Autorität des Lehramts rein formal gegen eine gelehrte Äußerung in Stellung gebracht wird. Könnte es nicht sein, dass das Lehramt durch die gelehrte Äußerung in seiner Meinung bereichert und korrigiert wird? (2) Wertet GaTH zu Unterscheidendes wirklich gleich? Eine Überprüfung dieser These hätte die Hermeneutik des Votums bedenken müssen, die aus der Tradition des differenzierten Konsenses und – knapp angedeutet – der Idee vom wechselseitigen Gabentausch stammt. Das ist aber nahezu durchgängig nicht geschehen. Die These von GaTH etwa, dass der Konsens in Sachen Personalgegenwart Christi im Herrenmahl höher zu gewichten sei als die Differenzen in der Frage, wie diese Gegenwart Christi selbst sich ereigne, wird vielfach bemerkt, aber als Widerspruch auf gleicher Ebene verstanden, was zu Formulierungen wie »Verdrängung unliebsamer Themen« (207, Lothar Wehr, Eichstätt-Ingolstadt) führt. Die Möglichkeit, mit der Hermeneutik des differenzierten Konsenses zu denken, wird so jedoch nicht einmal erwogen. Die Frage, die der Haupttitel des Bandes ist, bleibt insofern noch offen.