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Ausgabe:

März/2023

Spalte:

198–200

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Kohnle, Armin, u. Irene Dingel [Hgg.]

Titel/Untertitel:

Die Crucigers. Caspar der Ältere, Caspar der Jüngere und Elisabeth Cruciger in ihrer Bedeutung für die Wittenberger Reformation.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2021. 480 S. m. 12 Abb. = Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie, 40. Geb. EUR 98,00. ISBN 9783374068074.

Rezensent:

Anneliese Bieber-Wallmann

Gleich drei Mitglieder einer Familie haben an der reformatorischen Umgestaltung von Theologie und kirchlichem Leben mitgewirkt: Caspar Cruciger d. Ä. (1504–1548), seine erste Ehefrau Elisabeth, geb. von Meseritz (um 1500–1535) und ihr Sohn Caspar d. J. (1525–1597). Die XIII. Frühjahrstagung zur Geschichte der Reformation, vom Institut für Kirchengeschichte der Universität Leipzig und dem Leibniz-Institut für Europäische Geschichte in Mainz in den Räumen der Leucorea zu Wittenberg vom 7. bis 9. März 2019 veranstaltet, war der Familie Cruciger gewidmet. Ein Tagungsband wurde von Armin Kohnle und Irene Dingel im Sommer 2020 herausgegeben.

Caspar Cruciger d. Ä. (C. d. Ä.) kam 1521 als Student nach Wittenberg. Dass er Vorträge schnell und genau mitschrieb, brachte ihm Anerkennung ein, aber auch den Ruf, er sei ein unselbständiger Mitarbeiter Luthers und Melanchthons gewesen. Seine eigenen Schriften sind später teilweise Melanchthon zugeschrieben, jedenfalls kaum noch beachtet worden. Timothy J. Wengert nannte ihn 1989 einen »Disappearing Reformer«. In den ersten acht Beiträgen des Bandes wird der Nachweis geführt: »Ein verschwindender Reformator ist der ältere Cruciger demnach nicht.« (Kohnle, 129)

Außerhalb Wittenbergs wirkte C. d. Ä. nur punktuell. So half er 1539–1540, in seiner Geburtsstadt Leipzig ein evangelisches Kirchenwesen aufzurichten, wie Johannes Träger zeigt (19–36). Stefan Michel würdigt (49–61), dass C. d. Ä. zwischen 1523 und 1548 insgesamt 15 Werke Luthers herausgab und an fünf Bänden der Wittenberger Lutherausgabe beteiligt war. Vor allem die Predigten Luthers sammelte und bearbeitete er zur großen Zufriedenheit des Reformators. Mit seinem wichtigsten akademischen Lehrer Melanchthon teilte C. d. Ä. die humanistische Gelehrsamkeit, in der die alten Sprachen ebenso gepflegt wurden wie die Astronomie. Kestutis Daugirdas untersucht, welche Rolle C. d. Ä. bei der Kopernikus-Rezeption in Wittenberg spielte (37–48). Zwischen Melanchthon und C. d. Ä. entwickelte sich eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, wie Marion Bechtold-Mayer darstellt (62–71). Schon bei der Neugestaltung des Schulwesens in Magdeburg 1524 bis 1528 hatte der Mentor C. d. Ä. unterstützt. Seit 1528 lehrte C. d. Ä. an der Philosophischen, nach seiner Promotion 1533 auch an der Theologischen Fakultät der Universität Wittenberg.

Zum Reichsreligionsgespräch in Hagenau, Worms und Regens- burg wertet Irene Dingel die Quellen neu aus (86–97). C. d. Ä. protokollierte die Gespräche exakt und fungierte als Melan- chthons »rechte Hand« (zeitweise im wörtlichen Sinn, vgl. 92). Er informierte Luther und Bugenhagen in Wittenberg zuverlässig; das Regensburger Buch lehnte er als »Formelkompromiss« (97) ab. Für Amy Nelson Burnett (98–111) war C. d. Ä.s Kommentar über Psalm 110–118 von 1546 eine eigenständige Leistung, auch wenn hier der »consensus of Wittenberg‘s pastors and teachers« (111) ausgedrückt wurde. Dass einige Aussagen weniger von Luther als von Melanchthon beeinflusst seien, trete hinter dieser Einigkeit zurück (vgl. ebd.). Die schwierigen Seiten der Laufbahn von C. d. Ä. werden in den Beiträgen von Anna Lena Jungk zum Cordatusschen Streit (72–85) und von Armin Kohnle zu Interimskrise und Tod (112–129) beleuchtet. Im Streit über die notwendigen Bedingungen der Rechtfertigung und des Heils bis 1537 sei es nicht nur um einen Streit der Worte gegangen, aber auch nicht um »contradiktorische Lehrgegensätze« (84). Nach Luthers Tod stand C. d. Ä. mit Melanchthon und Bugenhagen im Zentrum der Wittenberger Theologenschaft. Als Rektor der Leucorea blieb er während des Schmalkaldischen Kriegs in der Stadt. Danach wirkte er mit an der Ablehnung des Augsburger Interims im Vorfeld der Meißner Lehrformel und veröffentlichte diese (vgl. 123 f.).

Ist schon die Forschungslage zu C. d. Ä. lückenhaft, so gilt das noch mehr für seinen Sohn, Caspar Cruciger d. J. (C. d. J.), der nach kurzer Tätigkeit als Lehrer in Eisleben von 1556 an Professor an der Philosophischen Fakultät, nach dem Tod Melanchthons auch an der Theologischen Fakultät der Leucorea bis 1574 war. In fünf Beiträgen über ihn werden Quellen neu gesichtet. Beate Kusche zieht bisher kaum ausgewertete Bestände des Universitätsarchivs Halle-Wittenberg und des Sächsischen Hauptstaatsarchives in Dresden heran, um C. d. J.s akademische Laufbahn zu beschreiben (133−165). Demnach verstand er sich hauptsächlich als »Sachwalter und Verteidiger« des Erbes Melanchthons und seines Vaters; einen Anspruch auf Originalität habe er nicht erhoben (vgl. 164 f.). Wie seine Lehrer war C. d. J. humanistisch gebildet. Christiane Domtera-Scheichardt listet bibliographisch genau 27 Universitätsbekanntmachungen (Scripta publice proposita) zwischen 1547 und 1575 auf, die C. d. J. betreffen. Darunter sind zwei astronomisch-astrologische Gedichte und in Verse gefasste Vorlesungsankündigungen (166−203).

Im Erbsündenstreit 1570/71 mit Matthias Flacius vertrat C. d. J. Melanchthons Auffassung, legt Corinna Ehlers dar (232–249): Die Sünde sei eine bloße Verkehrung von Gottes Schöpfung und eine Verletzung der menschlichen Natur. Hans-Peter Hasse zieht die Prozessakten gegen die Wittenberger Philippisten heran (204–232). Am kurfürstlichen Hof lagen die »Argumenta aliquot de coena domini« von C. d. J. vor, als er mit drei Kollegen 1574 des Amtes enthoben, in Hausarrest gesetzt wurde und das Verbot erhielt, über das Abendmahl zu publizieren und zu predigen: Jedoch ist sein intellektuelles Profil schwer auszumachen, weil sich die Wittenberger Professoren als Gruppe präsentierten (vgl. 230). Wie C. d. J. − wohl nach einer Zwischenstation in Anhalt – 1580 nach Hessen-Kassel kam, zeichnet Jan Martin Lies nach (250−273). Wichtige Archivalien ediert er als Beilagen (274−288). So korrigiert er fehlerhafte Angaben bisheriger biographischer Artikel: C. d. J. war nicht in Nassau-Dillenburg an der Einführung des reformierten Bekenntnisses be-teiligt, nachdem er 1576 in Merseburg Urfehde geschworen hatte. Vielmehr könne sein Lebensweg als »beispielhaft für die Marginalisierung eines melanchthonisch geprägten Luthertums in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gesehen werden« (273).

Im dritten Teil des Bandes geht es zunächst um Elisabeth Cruciger. Von Volker Gummelt werden unklare Stellen aus ihrem Lebenslauf erhellt (291–302). So geht aus den Quellen eindeutig hervor, dass ihr Geburtsort Meseritz in Pommern war (nicht in Posen, wie gelegentlich angenommen). Zum Lied »Herr Christ, der einig Gottssohn« führt Hans-Otto Schneider aus (303−319), dass Elisabeth von Meseritz es wohl 1524 auf dem Hintergrund von 2Petr 1 dichtete. Eine hochdeutsche Fassung erschien im selben Jahr, eine niederdeutsche 1525. Für den hochdeutschen Text als den ursprünglicheren sprechen gute Gründe (vgl. 304 f.). Neben seiner Mutter hat auch C. d. J. als Poet gewirkt. So stellte er den Einzug Christi in Jerusalem in Versen dar und schrieb Gedichte auf die Sonnenfinsternis 1547 und die Mondfinsternis 1548. Die Frage, ob die Crucigers eine Dichterfamilie waren, verneint Stefan Rhein jedoch mit dem Hinweis, dass von C. d. J. Poetisches nur aus seiner Zeit als Grammatik-, Terenz- und Poetikdozent bekannt ist (320−348). Am Schluss steht der Beitrag von Ruth Slenczka zu einem Epitaphbild mit dem Thema der Kindersegnung aus der Werkstatt Lukas Cranachs d. J. Auf dem Gemälde, das um 1560 entstanden und in Schloss Gottorf zu sehen ist, ist die ganze Familie Cruciger dargestellt. Die Zuordnung der abgebildeten Personen, die Ferdinand Ahuis unternommen hat (vgl. 355), wird vertieft und es wird untersucht, aus welchen Gründen das Bild aus Wittenberg weggebracht wurde (349−359).

Hier wie auch in anderen Beiträgen des Bandes ist die Verbindung von Wort und Bild hilfreich für das Verständnis von Leben und Wirken der Crucigers (vgl. 351 sowie 25, 40, 42, 128, 202, 203, 205, 206, 231). Äußerst wertvoll für die weitere Forschung sind schließlich zwei Anhänge mit Bibliographien der gedruckten Beiträge und Werke von C. d. Ä. und C. d. J. sowie einer Liste der Briefe von und an C. d. Ä. (363−458).